Charlotte Casiraghi hat schon einiges ausprobiert. Sie schrieb für eine Tageszeitung, gab ein eigenes Magazin heraus und setzte sich für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie ein. Das mag ein kleiner Insiderkreis wohlwollend zur Kenntnis genommen haben – wirklich berühmt wurde sie dadurch nicht. Musste sie auch nicht. Die Tochter von Prinzessin Caroline und Enkelin von Grace Kelly braucht nur auf der richtigen Party aufzutauchen, um am nächsten Tag in den Medien zu sein. Und natürlich ist jede Party, auf der sich die schöne Monegassin zeigt, automatisch «die richtige».
Dass die 26-Jährige neuerdings als Weltstar gehandelt wird, hat sie weder ihrer Herkunft noch ihrem Gesellschaftsleben und schon gar nicht ihrer bislang eher mässigen Karriere als Springreiterin zu verdanken, sondern dem Modelabel Gucci. Die Kreativchefin der Firma, Frida Giannini, machte Casiraghi zum Gesicht ihrer Werbekampagne «Forever Now» und katapultierte sie sozusagen über Nacht in die VIP-Model-Liga von Angelina Jolie (Louis Vuitton), Kate Winslet (Longines) und Scarlett Johansson (Moët & Chandon).
Die Folgen übertrafen sämtliche Erwartungen. Weltweit berichteten Magazine über den Werbescoop, auf Internet-Blogs brach ein Charlotte-Hype aus, das Making-of-Video vom Fotoshooting ist ein Hit auf YouTube. Gucci wurde in der öffentlichen Wahrnehmung mit Charlotte Casiraghi gleichgesetzt, was Frida Giannini nur recht sein kann: «Ich bin froh, unsere charakteristischen Designs von einer Person präsentieren zu lassen, die so eng mit der Geschichte des
Hauses verbunden ist. Charlotte verleiht dem Gucci-Spirit Eleganz und Lebendigkeit», sagt sie.
Glamouröse Stars ersetzen anonyme Schönheiten. Tatsächlich ist Charlotte nicht die erste Dame aus dem Fürstentum, die Gucci trägt: Der berühmte «Flora»-Seidenschal wurde 1966 von Rodolfo Gucci eigens für Prinzessin Gracia Patricia entworfen. Es gibt Fotos, die sie und später auch Prinzessin Caroline damit zeigen. Allerdings sind dies zufällig entstandene Schnappschüsse, die keinem Werbezweck dienten und für die kein Geld bezahlt wurde. Trotzdem wird es dem Hause Gucci genützt haben, mit diesen glamourösen Persönlichkeiten in Verbindung gebracht zu werden – umgekehrt dürfte dies eher weniger wichtig gewesen sein.
Dass bestimmte Menschen einen bestimmten Stil repräsentieren und damit den Geschmack einer ganzen Generation beeinflussen, ist nicht neu. Neu ist, dass die Industrie diesen Effekt bewusst einsetzt und sich das Vergnügen einiges kosten lässt. Werbestars kommen zunehmend aus den Reihen der Sport-, Film- oder Musikgrössen. Wo früher anonyme Models ihr hübsches Gesicht in die Kamera hielten, sind nun prominente Zeitgenossen mit einem Namen und einer Geschichte erwünscht. Bleibt die Frage, wer sich in 50 Jahren noch an Angelina Jolie, Kate Winslet oder Scarlett Johansson erinnert und wie lange es dauern wird, bis Louis Vuitton, Longines oder Moët & Chandon ihre Testimonials wechseln. Denn natürlich taugt nicht jede Celebrity zur Ikone. Und diejenigen, die das Zeug dazu hätten, sind lediglich in seltenen Fällen bereit, ihr Image zu verkaufen. Sie tun und tragen einfach das, was ihnen gefällt.
«No Dior, no Dietrich» soll Marlene Dietrich 1947 zu Alfred Hitchcock gesagt haben. Der Regisseur liess sich auf die Launen der Diva ein, und so konnte die Dietrich in «Stage Fright» («Die rote Lola») unter anderem ein pinkfarbenes Traumkleid ihres Lieblingsschneiders tragen. Auch privat war Marlene Dietrich meist in Dior gehüllt, berühmt ist ein Foto von Richard Avedon, das sie im Pariser Ritz-Hotel mit einem Dior-Turban und der unvermeidlichen Zigarette zeigt. Als sie 1951 in Los Angeles einen Oscar überreicht, bekommt sie Standing Ovations. Ihr Auftritt in einem schulterfreien Dior-Kleid machte mehr Schlagzeilen als jener der Preisträger und warf in den Medien die Frage auf, weshalb es keinen Oscar für Glamour gibt.
Die 1992 verstorbene Schauspielerin setzte Kleider gezielt als Ausdruck ihrer Persönlichkeit ein und blieb ihrem eigenen, eher strengen Look treu. Als Marlene Dietrich in den dreissiger Jahren als eine der ersten Frauen in einem eleganten Anzug mit weit geschnittener Hose auf der Bildfläche erschien, stand die Damenwelt kopf. Sie prägte damals nicht nur die bis heute populäre «Marlene-Hose», sondern auch eine gesellschaftliche Entwicklung – sie wurde zur Leitfigur der unabhängigen, selbstbewussten Frau.
Einen ganz anderen Typus der modernen Frau verkörpert die zierliche, mädchenhafte Audrey Hepburn, die 1961 im Film «Frühstück bei Tiffany» am frühen Morgen auf der menschenleeren Fifth Avenue aus einem Taxi steigt. Sie trägt ein schwarzes Cocktailkleid von Hubert de Givenchy, lange schwarze Handschuhe und eine Sonnenbrille, in den Händen hält sie einen Kaffee zum Mitnehmen und ein Croissant.
Diese nicht einmal besonders lange Filmsequenz verwandelt das «kleine Schwarze», einst von Coco Chanel erfunden, zum Inbegriff urbanen Chics, und zwar bis heute. Kaum ein Kleiderschrank, in dem es nicht zu finden ist, seine extreme Wandlungsfähigkeit machte es zu einem Lieblingskleidungsstück für jede Frau. Obwohl sich auch Marilyn Monroe, Jeanne Moreau, Sophia Loren oder Sharon Stone immer wieder im «little black dress» zeigten, ist es Audrey Hepburn, die in diesem Kleid und vermutlich ohne jede Absicht zur Stilikone geworden ist. Oder erinnert sich jemand noch an das Bild der vier Tussen von «Sex and the City», die im schwarzen Etuikleid für das Cover ihrer ersten DVD posieren?
Umsatz bolzen mit George Clooney. Männer brauchen nicht modern zu sein, um als Stilikonen zu gelten. Humphrey Bogart wurde als geheimnisvoller, Trenchcoat-tragender Exilamerikaner berühmt, Marlon Brando wurde in einem schlichten weissen T-Shirt zum weltweiten Sexsymbol. David Bowie schaffte das Kunststück, im androgynen Ziggy-Stardust-Look Musikgeschichte zu schreiben, und Woody Allen ging im schlabberigen Kordanzug als sein eigener Filmstar durch. Kaum vorzustellen, dass einer von ihnen Werbung für Nespresso gemacht hätte.
Dass man dadurch nicht automatisch unglaubwürdig wird, zeigt der smarte George Clooney, der konsequent seinen lässigen «No Nonsense»-Stil verkauft und sich nicht in für ihn fremde Posen drängen lässt. Offenbar mit Erfolg. Von Nespresso-Seite heisst es, der Umsatz sei seit 2006, also seitdem Mr. Clooney unter Vertrag steht, von 1,2 auf 3,5 Milliarden Franken (Stand 2011) geklettert. Ob diese Steigerung tatsächlich dem Charisma des Hollywood-Stars zu verdanken ist, lässt sich zwar nicht belegen. Sicher ist aber, dass er Nespresso international bekannt gemacht hat. Dafür gibt man gerne ein wenig Geld aus – angeblich bekommt George Clooney ab fünf Millionen Dollar pro Spot. Und vermutlich so viel Nespresso, wie er mag. Ob das alles zum Kultstatus reicht, wird sich zeigen.
Nicht, dass es heute keine Ikonen mehr gäbe. Madonna machte erst die Schmuddel-Jeans und dann die Korsage zum Must-have und Jane Birkin eine nach ihr benannte Hermès-Tasche. Kate Middletons unkomplizierte Eleganz wird millionenfach kopiert, Kate Moss’ Shabby-Chic ebenso. Dass Kate Moss auch berufshalber vor der Kamera steht und mit ihrem Bild Bekleidung verkauft, darf als Zufall gelten, denn das, was sie zur Ikone macht, ist nicht die Haute Couture ihrer «Vogue»-Titelseiten, sondern ihr ureigener, lässiger Stil.
«Sie ist lustig, sie ist grosszügig, sie ist Rock’n’Roll, sie hat Geschmack, sie ist schön», sagt Mario Testino, der zu den weltweit erfolgreichsten Modefotografen zählt und dessen Bilder in den wichtigsten Museen hängen. «Sie war immer mein Lieblingsmodel. Ich glaube, ich habe ihr Leben in den rund zwanzig Jahren, in denen wir miteinander gearbeitet haben, gut dokumentiert.» Nicht nur das. Indem er Kate Moss’ oft brüchige Schönheit stets einfühlsam einfing, dürfte er seinen Teil zum Moss-Mythos beigetragen haben. Fragt man Mario Testino allerdings, welches sein wichtigstes Sujet gewesen sei, dann antwortet er stets: «Prinzessin Diana, denn sie hat meine Karriere auf ein anderes Niveau gebracht.»
Auf Du und Du mit Königs. Er war es, der Lady Di 1997 kurz vor ihrem Tod für die Zeitschrift «Vanity Fair» fotografierte und eine Princess of Wales zeigte, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. «Wir redeten ein wenig, und ich sagte, lass uns so tun, als ob wir uns einfach unterhielten, nur wir beide, hier auf dem Sofa», erinnert sich Mario Testino an den «most memorable day of my career». Er sagt, er habe nicht geplant, sie so natürlich zu fotografieren, doch als die Bilder gedruckt waren, hiess es, er habe sie völlig verändert. Nie hatte sich Prinzessin Diana so entspannt, so lässig und so sinnlich gezeigt, und es waren sicher auch diese Fotos, die sie zur unvergessenen «Königin der Herzen» machten.
Offenbar sah man das bei Hofe ähnlich, denn Mario Testino wurde immer wieder beauftragt, die Royals abzulichten. Er fotografierte die Queen, Prinz Charles mit seinen Söhnen, es gelang ihm sogar, die Duchess of Cornwall (ehemals Camilla Parker Bowles) beinahe so attraktiv wie Diana erscheinen zu lassen. Auch das offizielle und erfrischend ungezwungene Verlobungsfoto von Prinz William und Kate Middleton ist von ihm, und es zeigt einmal mehr, warum die Königsfamilie Mario Testino schätzt: Er zeigt sie glamourös und gleichzeitig sehr menschlich.
Königskinder – ob echt oder angeheiratet – sind eben eine Klasse für sich und kaum je für Werbung zu haben. Insofern bleibt ein Coup, wie er Gucci gelungen ist, sicherlich die Ausnahme. Und Charlotte Casiraghi hat noch ein paar Jahre Zeit, um zu zeigen, ob – trotz oder dank ihrem Werbeauftritt – eine Ikone in ihr steckt.