An der Bar im Hotel Lydmar, Freitagnachmittag um sechs. Weisse Sofas, livrierte Kellner, eine Bibliothek, helles Licht, viele unglaublich gut aussehende Gäste. Dieser Platz im Stadtteil Östermalm ist der After-Shopping-Treff der Stockholmer höheren Töchter. Sie tragen Blusen mit Stehkragen, und um ihre grazilen Hälse hängen silberne Schlüssel, die wohl von Tiffany stammen. Aber steif oder unterkühlt-vornehm geht es hier keineswegs zu, auch das Publikum ist gut gemischt. An einem Seitentisch, neben einer Gruppe der Stehkragenfraktion, sitzt eine Blondine, von der man vermuten könnte, es sei Iggy Pop mit aufgehelltem Haar.

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Das Bild des braven, zurückhaltenden Schweden aus dem Ikea-Katalog hat sich gewandelt: Die Menschen schienen nur immer so harmlos wie das Liebesleben ihres Königs, aber die Realität ist eine andere. Wäre die Welt ein Pferderennen, dann wäre Stockholm das bunte VIP-Zelt. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren mächtig verändert. Im Hafen liegen Boote wie in St-Tropez. Der Stockholmer ist längst zum Weltstädter aufgestiegen. Sein Motto: Mein Haus, mein Boot, mein Model.

Draussen auf der Terrasse des «Lydmar» sitzen Herren im Daniel-Westling-Stil und läuten, wie sie betonen, einen lässigen Sommerabend ein: Quatschen mit Freunden, lachen und dem Öl zusprechen – so heisst Bier auf Schwedisch. Im «Lydmar» kostet das Glas sieben Euro. Die hohen Alkoholpreise in Schweden haben den angenehmen Nebeneffekt, dass hier nicht so schnell zu viel getrunken wird und die Gäste zwar heiter, aber nicht betrunken sind. Eine Bootsfahrt weiter drüben, auf der Halbinsel Djurgarden, sprudelt das Öl an diesem Abend noch intensiver. Vor einigen Jahren noch war Djurgarden, Stockholms fantastischer Stadtwald, bekannt für seine Beschaulichkeit und das Vasa-Museum, in dem ein altes, 1626 auf seiner Jungfernfahrt gesunkenes schwedisches Kriegsschiff ausgestellt wird – ein perfektes Ausflugsziel für Familien.

Und heute? Das Zauberwort heisst «Josefina», ein riesiger Open-Air-Tempel, eine Mischung aus Lounge und dekadenter Ibiza-Partymeile, mit Gästen, die offenkundig nicht durchweg die Etikette einer streng katholischen Glaubenslehre verinnerlicht haben. Es ist einer jener Orte, die zum Aufstieg von Stockholm zur Partystadt beigetragen haben. Im «Josefina» fläzt man sich auf bunten Sofas, trinkt Rosé mit Limonade und Eis, und je näher man der Bar in der Mitte kommt, desto weiter spritzen wild gewordene Jungs den Champagner auf ihre angenehm angeheiterten Begleiterinnen. Kurz vor Mitternacht bestätigt sich das Bild, auch wenn der Stockholmer Abend um diese Uhrzeit noch immer aussieht wie ein Tag. Die schwedische Sonne denkt auch zu dieser späten Stunde nicht daran, mit dem Horizont zu kuscheln. An der Ausgehmeile Birger Jarlsgatan, dem Vorzeigeboulevard, sind zu dieser Zeit Tausende junge Menschen unterwegs, die Stadt ist hier ein reines Bienennest.

Erstaunlich viele fahren in alten Saab-Cabrios auf und ab, als hätte Schweden gerade Kanada im Eishockey besiegt. Halb Stockholm scheint auf den Beinen zu sein, um Party zu feiern. Und es sind keineswegs nur Leute unter 30 unterwegs, auch die Älteren mischen noch kräftig mit in den entspannten Bars. Das zeigt sich beispielsweise dort, wo der Ausgehboulevard auf den Platz Stureplan trifft, genauer: Im «Utecompagniet», einer schrägen Mischung aus Restaurant, Bar und Nachtclub, die zu einem grossen Teil nur aus einer Plastikplane besteht, die etwas ungelenk über ein Baugerüst gestülpt wurde und Tische, Stühle und Tresen überdeckt.

Gegen zwei, wenn auch in Stockholms Sommer für ein paar Minuten das Licht gedimmt wird, zieht das Partyvolk weiter in die umliegenden Clubs, ins «Laroy», «Hell,s Kitchen» oder «White Room». Städten wie New York, Paris oder London, deren Nachtleben mittlerweile ein bisschen zu etabliert, zu teuer, zu erwartbar ist, würden Gäste, wie man sie in diesen Stockholmer Clubs sieht, durchaus gut zu Gesicht stehen.

Eine Sache, die auch mit Gesichtern zu tun hat, muss hier aber noch offen angesprochen werden: Warum bloss verwenden so viele Mädchen in Stockholm Selbstbräuner? Hier wäre weniger mehr, zumal dort doch in diesen Tagen ohnehin dauernd die Sonne scheint.