Es klingt im ersten Moment nostalgisch. Velos aus Stahl? Wirklich? In einem Zeitalter, in dem Zweiräder praktisch nur noch aus Kohlefaserverbundstoff gefertigt werden, ist Stahl zum Exoten geworden. Der Grund ist das hohe Gewicht. Doch ganz weg vom Fenster ist der Werkstoff noch nicht - auf keinen Fall beim Zürcher Velobauer Wim Kolb.

Das heutige Material sei nicht mit früherem Stahl zu vergleichen, sagt er: «Natürlich hat es auch bei Stahl eine Weiterentwicklung gegeben.» Es gebe heute wesentlich leichtere und auch rostfreie Legierungen sowie zum Beispiel sogenannte konifizierte Rohre, die an den Enden dicker und gegen die Mitte dünner sind und den modernen Stahlrahmen leichter machen. Der Zürcher Unternehmer muss es wissen, denn er gehört zu den wenigen, die auch im 20. Jahrhundert noch voll auf Stahl setzen.

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Puristisch, schnörkellos, individuell

Wim Kolb radelte als kleiner Junge zur Schule und flickte schon damals sein Velo selbst. Die Leidenschaft zum Zweirad ging bis heute nicht verloren. Und sie gilt dem Puristischen, Schnörkellosen, Individuellen. Nach absolvierter Kunstschule arbeitete Kolb als Grafiker und Video Editor, half aber nebenbei bei einem Velomechaniker aus. Nach dem Besuch eines Velorahmenbaukurses von Manofacto bei Bernhard Leu im Jahr 2008 fing er an, zuerst für sich selber, dann für Freunde Rahmen herzustellen. 2011 entschied er sich, daraus einen Beruf zu machen, und richtete sich in einer Scheune im Aargau ein.

Vor vier Monaten ist Kolb an die Zürcher Grubenstrasse umgezogen und baut dort Rahmen aus Stahlrohren, die noch immer vom italienischen Hersteller Columbus stammen. Dabei wird nicht nur geschweisst, sondern auch noch gelötet. Mit Silber oder Messinglot werden die Rohre mit den Muffen vereint. Das sieht wunderschön aus, braucht aber mehr Zeit als Schweissen. Etwa anderthalb bis zwei Tage benötigt Kolb für den Bau eines Rahmens.

Zeit für ausgefallene Kundenwünsche

Noch mehr Zeit in Anspruch nehmen der Austausch mit den Kunden sowie die Planung. «Da gehen Tage und Wochen drauf, besonders wenn es sich um ausgefallene Kundenwünsche handelt», sagt Kolb Und von denen hatte Kolb bereits einige: vom Bahnvelo, das 24-karätig vergoldet wurde, über ein Velo mit 36-Zoll-Rädern bis hin zum 12'000 Franken teuren Luxusbike mit Elektromotor, Nabenschaltung und Hinterradbremse.

Gerade in diesen Tagen kommt ein Kunde mit Ideen, Teilen und Naben-Elektromotor und möchte diese zu einem Stahl-E-Bike gedeihen lassen. Auch ein Projekt, die Kultmarke Cilo mit einer auf 100 Stück limitierten Sonderedition wiederaufleben zu lassen, steht momentan zur Diskussion. Neben Rennrädern macht Kolb auch Touren- und Bahnvelos, und selbst Kindervelos wurden in seiner Werkstatt schon gebaut.

Stahl macht das Velo komfortabel

Zunächst nur für den Eigenbedarf hatte Kolb zudem angefangen, Schutzbleche und Lenker aus Holz herzustellen. Auch an diesen Unikaten finden immer mehr Freunde und Kunden Gefallen. Was reizt ihn denn am Arbeiten mit diesen für moderne Velo-Verhältnisse veralteten Materialien? «Die Tradition, aber auch die Eigenschaften der Materialien. Stahl ist extrem langlebig und hat eine reiche Tradition», erklärt Kolb.

Doch nicht nur das. Stahl verfügt auch über Eigenschaften, die ein Velo nicht steinhart, sondern selbst ohne Federgabeln komfortabel machen. Wer stundenlang im Sattel sitzt, sucht genau das sowie eine auf ihn abgestimmte Rahmen-Geometrie. Und unangenehme, nervende Rahmengeräusche, wie sie bei Karbon-Velos gerne auftreten, gebe es bei Stahlrahmen nicht.

Jeses Rad ein Unikat

Jedes Rad, das Wim Kolbs Manufaktur verlässt, ist ein Unikat; Dimensionen und Geometrie des Rahmens werden individuell auf den Wunsch und die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt. Dagegen ist jedes noch so teure Markenvelo Massenware. Ein Rahmenset mit Gabel und Pulverbeschichtung kostet bei Kolb zirka 1900 Franken, ein komplettes Fahrrad gibts je nach Komponenten ab etwa 3700 Franken.

Wird die Tradition des Stahlrahmenbaus überleben? Gut möglich, jedenfalls wächst das Interesse, sodass Wim Kolb sogar begonnen hat, Kurse für Interessierte zu geben, die unter seiner Anleitung ihr eigenes Velo bauen möchten. An sechs Samstagen in Folge fertigen die Teilnehmer ihren Rahmen - von der Zeichnung bis zum fertigen Einzelstück. Und wer sich in Grossstädten umschaut, wird bemerken, wie viele Menschen sich auf den alten "Stahl-Göppeln" ihrer Väter oder Grossväter fortbewegen.

Stahl ist längst nicht out.