Zürich, 9.00 Uhr. Lange mussten wir warten, doch jetzt steht er da. «12C Spider» heisst er kurz und bündig. Vor der Fahrt sind keine langen Erklärungen nötig, denn das Auto versteht sich von selbst. Leider ist in Zürich am Testtag kein Cabrio-Wetter, und wir müssen mit geschlossenem Dach losfahren. Nach einem Blick auf den Niederschlagsradar ist die Richtung klar: Süden, wohin denn sonst? Die Sonnenstube wird uns sicher ein paar schöne Open-Air-Momente bescheren.

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Autobahneinfahrt Glattbrugg, 9.20 Uhr. Der Respekt vor den ersten Metern auf nasser Strasse mit 625 PS ist gross. Doch dank den Fahrhilfen gestaltet sich die Fahrt unspektakulärer als befürchtet. Nur beim Scheibenwischer im schnellsten Modus wird die Geradeausfahrt auf der Autobahn zum nervösen Zickzack, und die Hände am Steuerrad werden feuchter. Die hinteren, riesigen 305er-Pirellis bieten im Trockenen einen Mörder-Grip, aber im Nassen werden sie zum grössten Handicap. Zum Glück lassen wir das kalte Nass schon bald hinter uns und bewegen uns auf trockenen Pfaden durchs Urnerland. Allerdings ist der Gotthardpass noch geschlossen, und wir müssen in die Röhre gucken. Dort wächst mit jedem Kilometer die Hoffnung auf ein Aha-Erlebnis bei der Tunnelausfahrt. Doch Fehlanzeige: Das Ticino grüsst uns mit grauer Tristesse.

Ambri, 11.17 Uhr. An der Raststätte Gottardo Sud mache ich mit dem Fotografen bei Prosciutto-Brötchen und Kaffee Lagebesprechung. Oliver ist gleicher Meinung: nach dem Espresso subito umkehren und wieder an den föhngetrockneten Alpennordhang zurückfahren.

Ambri, 11.32 Uhr. Als wir zum Auto gehen, ist es bereits von neugierigen Menschen umzingelt. Jungs einer deutschen Schulklasse bestaunen den McLaren, obwohl er in seinem dunkelroten Kleid gar nicht so auffällt. Klar, neben dem holländischen Camper sieht er extraterrestrisch aus, aber neben einem Lamborghini wirkt er wie ein Softie. Erstaunlich, die Jugend ist gut informiert und kennt die Marke McLaren. Das sollte den Briten Hoffnung machen, denn gerade beim Kult um erfolgreiche Marken wie Ferrari, Porsche oder Lamborghini hat McLaren noch einigen Nachholbedarf. Schliesslich wollen sie auch bei den erwähnten Konkurrenten Kunden abholen. Dem frischvermählten japanischen Pärchen ist unser Spider ein Handy-Erinnerungsfoto wert. Im Land der aufgehenden Sonne wird McLaren noch immer mit dem unvergessenen Ayrton Senna in Verbindung gebracht. Den grössten Showeffekt an unserem Fahrzeug bieten die Schmetterlingstüren. Ungeübte Fahrer und Beifahrer gehen beim Ein- oder Aussteigen mindestens einmal mit ihnen auf Tuchfühlung.

Quinto, 11.56 Uhr. Wieder mit geschlossenem Dach gehts zurück auf die Autobahn. Natürlich nutze ich die Einfahrt zur kleinen Beschleunigungsprobe. Der Spider geht ab wie Schmidts Katze. Kein Wunder, gerade mal 1474 Kilogramm und damit nur 40 mehr als beim Coupé müssen vom Doppelturbo-aufgeladenen V8-Motor vorwärtsbewegt werden. Wenn wir schon auf der Waage sind, muss eine noch beeindruckendere Angabe gemacht werden. Das ganze Chassis wiegt nicht mehr als 75 Kilogramm. Dafür verantwortlich ist der Verbundwerkstoff Kohlefaser. McLaren setzte ihn 1981 als erster Hersteller in der Formel 1 ein. Elf Jahre später war der McLaren F1 das erste Strassenfahrzeug mit Carbon-Chassis und -Aufbau. Das 12C-Coupé und der Spider sind die ersten Sportwagen, die in diesem Preissegment ein Chassis aus dem sündhaft teuren Material besitzen, das nur von Hand verarbeitet werden kann.

Das Resultat spürt man in jeder Kurve und bei jeder Unebenheit. Das Auto ist auch in der Cabrio-Version unglaublich verwindungssteif. Die Aufhängung basiert auf Doppelquerlenkern mit Schraubenfedern, wie in einem Formel-1-Wagen, und bietet erstaunlicherweise viel Komfort. Praktisch ist auch, dass sie sich unabhängig von der Getriebeeinstellung weicher oder härter einstellen lässt. Gerade auf Bergstrassen mit ihren Unebenheiten und Schlaglöchern bietet eine weichere Einstellung mehr Traktion als der brettharte Rennstrecken-Modus.

Göschenen, 12.19 Uhr. Am Gotthard-Nordportal angekommen, gehts Richtung Andermatt. Dank dem Föhn reisst der Himmel immer mehr auf, und auch die Temperaturen lassen es endlich zu, das ebenfalls aus Carbon hergestellte zweiteilige Dach zu öffnen. Dies geschieht in 17 Sekunden und kann auch während der Fahrt mit bis zu 30 Stundenkilometern erledigt werden.

Teufelsbrücke, 12.35 Uhr. Jetzt kommen Fahrer und Fahrzeug in ihr Element. Frische Bergluft und ohrenbetörender Sound wecken die Sinne. Ja, was aus dem 6300 Franken teuren, optionalen Sportauspuff kommt, ist alles andere als eine Sinfonie. Das ist Heavy Metal vom Feinsten. Der kleine Rote setzt auf dem Weg durch die Galerien der Schöllenen einen Klangteppich, der seinesgleichen sucht. Dabei drehe ich den Motor erst knapp über 4000 Touren und nicht bis 7000. Aber das spielt keine Rolle, denn das maximale Drehmoment von 600 Newtonmetern liegt zwischen 3000 und 7000 Umdrehungen pro Minute. Das ist nicht nur zum Alpenpässe-Hinaufhetzen toll, sondern ermöglicht auch extrem schaltfaules Bummeln. Erst beim nachträglichen Studium des Manuals entdecke ich, dass das Fahrzeug über einen sogenannten Intake Sound Generator verfügt. Dieses System überträgt die Ansauggeräusche des Motors je nach ausgewähltem Fahrmodus mit unterschiedlichem Lautstärkepegel in den Innenraum. Ob das bei geöffnetem Verdeck wirklich hörbar gewesen wäre? Keine Wünsche offen lässt das Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. Nur im Stop-and-go-Verkehr muckt die Kupplung ab und zu auf. Klares und präzises Feedback kommt von der Lenkung, und so sind durch die Haarnadeln weder kräftige Oberarme noch Lenkkorrekturen nötig.

Andermatt, 13.13 Uhr. Beim nächsten Fotostop donnert eine Lawine ein paar hundert Meter neben uns das Tal hinunter – ob da wohl unser infernalischer Sound bei der Teufelsbrücke Auslöser war? Weiter geht die Kurvenhatz Richtung Realp. Bald ist Schluss mit unserem Bergtrieb, denn auch die Furka hat Wintersperre. Dafür gibts eine lustige Begegnung mit Herbie und seinen zwei kleinen Hunden. Welten prallen da aufeinander. Meinen wir. Doch der Bergler trifft mit seinem Schätzpreis von 300 000 Franken für unseren Mac den Nagel auf den Kopf. Wie immer, wenn ich ein Traumauto testen darf, vergeht die Zeit viel zu schnell.

Sisikon, 15.45 Uhr. Bei inzwischen sommerlichen Temperaturen von über 20 Grad geniesse ich jede Minute der Fahrt entlang des Vierwaldstättersees und überlege, wer sich so einen 12C Spider kaufen würde. Schulkinder haben sich nach ihm umgedreht. Meiner Meinung nach ist er ganz klar ein Big Boy Toy. Männer, denen ein Ferrari zu arrogant, ein Lamborghini zu obszön und ein Porsche zu bieder ist, finden in diesem Supersportler eine reizvolle Alternative. Für meinen Geschmack geriet die Front zwar auch beim 12C etwas brav. Doch eben diese Schnauze gefiel einer Freundin und erinnert sie an ein lachendes Gesicht. Bis die McLaren-Manager lachen können, müssen sie zwar noch etliche 12C verkaufen, was nicht einfach sein wird angesichts der etablierten Kultmarken. Dass der 12C und sein offener Bruder auf Augenhöhe mit dem Porsche 911 Turbo, dem Ferrari 458 und dem Lamborghini Gallardo sind, ist jedoch klar. Uns jedenfalls hat dieser Mac prima geschmeckt.