Nach dem überstandenem Misstrauensvotum hat die britische Premierministerin Theresa May das Parlament zu Geschlossenheit für eine Lösung der Brexit-Frage aufgerufen. Die Abgeordneten hätten nun klargemacht, was sie nicht wollten, sagte May am Mittwochabend in London. Nun gelte es eine Lösung zu finden. «Wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten, um abzustecken, was das Parlament will», ergänzte sie. Sie habe deshalb Politiker aller Parteien zu Beratungen eingeladen, um einen Weg für den Ausstieg aus der EU zu finden. Das Unterhaus stellte sich einen Tag nach dem Votum gegen das Brexit-Abkommen hinter May. Bei dem von Labour beantragten Misstrauensvotum stimmten 325 Abgeordnete für May, 306 votierten gegen sie.
Erste Gespräche mit mehreren Spitzenvertretern anderer Parteien führte May noch am Abend. Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei war allerdings nicht erschienen. Darüber äusserte sich May enttäuscht. Die Tür für Labour stehe aber offen. Ihre weitere Brexit-Strategie will May am Montag im Parlament vorstellen.
Die Premierministerin erkärte, nun müsse ein Brexit-Weg gefunden werden, hinter dem auch das Parlament stehe. Dazu sollten die Abgeordneten Eigeninteressen hinten anstellen, um die Hängepartie zu überwinden. «Ich glaube, dass alle in diesem Haus sich dazu verpflichtet fühlen, die EU zu verlassen.» Corbyn forderte, die Regierung müsse nun klarstellen, dass es nicht zu einem ungeregelten Austritt aus der Europäischen Union komme.
Barnier: Grossbritannien muss rote Linien aufgeben
Die EU signalisierte Grossbritannien unterdessen Verhandlungsbereitschaft über das Brexit-Abkommen. «Falls das Vereinigte Königreich künftig eine Änderung seiner roten Linien zulässt (...), wäre die EU sofort bereit zu einer positiven Antwort», sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier vor dem Europaparlament in Strassburg. Darunter fällt eine noch stärkere Ausrichtung nach EU-Regeln, um künftig eine sehr enge Handelsbeziehung zu gewährleisten. Kein Entgegenkommen sei aber bei einem der zentralen Streitpunkte möglich: Barnier bekräftigte, eine physische Grenze zwischen Irland und Nordirland müsse verhindert werden.
Einem Zeitungsbericht vom Mittwoch zufolge prüfen EU-Vertreter, den Austritt des Vereinigten Königreichs bis 2020 zu verschieben. Dazu würden rechtliche Wege geprüft, berichtete die Zeitung «The Times» unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Quellen. Zuvor war von ein paar Monaten Verzögerung die Rede.
Kompliziert wäre eine Brexit-Nachspielzeit allerdings durch die Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai. Grossbritannien ist dann eigentlich nicht mehr dabei, die Sitze des Landes fallen weg. Der Chef der Liberalen im Parlament, Guy Verhofstadt, warnte deswegen vor zu viel Entgegenkommen. «Auch wenn das Königreich mehr Zeit braucht, wäre es ein schlechte Idee, den Austritt auf ein Datum nach der Wahl zum Europaparlament zu » Der Urnengang ist für den 26. Mai angesetzt.
Neue Linie der EU
May hatte am Dienstagabend eine herbe Schlappe einstecken müssen. Das Unterhaus votierte mit 432 zu 202 Stimmen gegen den von ihr ausgehandelten EU-Austrittsvertrag - die schwerste Niederlage für eine britische Regierung in der jüngeren Geschichte. Der Ausgang war zwar erwartet worden, weil auch viele Abgeordnete von Mays Konservativer Partei gegen das Abkommen waren, allerdings nicht in dieser Deutlichkeit. Grossbritannien steckt damit in der schwersten politischen Krise seit einem halben Jahrhundert.
Unklar ist das weitere Vorgehen. Möglich wären nach wie vor weitere Verhandlungen mit der EU und ein neuer Anlauf im Parlament, ein ungeregelter Austritt am 29. März, eine zweite Volksabstimmung über den Brexit oder ein Rücktritt von May. May kündigte eine Erklärung bis Montag an. «Es ist meine Verpflichtung, beim Brexit zum Ziel zu kommen.»
Grossbritannien will die EU nach gut 45 Jahren Mitgliedschaft verlassen. Bis Ende 2020 gibt es eine Übergangsphase, in der dort noch EU-Recht gilt. Die Zeit, die notfalls um zwei Jahre verlängert werden kann, gilt aber nur, wenn London vor dem Austritt den Scheidungsvertrag mit Brüssel unterzeichnet.
(reuters/ccr)