Die Gewinner des nationalen «Story2023 Wettbewerbs» - Derya Baris, Niklas Jung und Lukas Steiner -erzählen über ihre transmediale Erfahrung und ihre Erkenntnisse aus San Francisco.
Unser Alltag ist von der Nutzung verschiedener Medien geprägt: Sei es das Anhören eines Podcasts im Tram, die Unterhaltung in sozialen Netzwerken oder das Anschauen eines Filmes am Abend. Obwohl wir täglich mit einer Bandbreite an unterschiedlichen Kanälen konfrontiert sind, ist der Begriff «Transmedia» in der Schweiz noch nicht weit verbreitet. Der US-amerikanische Medienprofessor Henry Jenkis gilt als prägende Figur des «Transmedia Storytelling» und publizierte im Jahr 2003 einen Artikel mit dem gleichnamigen Titel im MIT Technology Review. Dabei wird bei einer transmedialen Geschichte der Inhalt anhand mehrerer Medien erzählt. Gemäss Jenkis geht es jedoch nicht um eine reine Wiedergabe durch mehrere Formate. Viel mehr ist die Herausforderung die Erschaffung eines einzigartigen narrativen Konstrukts, einer virtuellen Welt, in der jedes Medium mit seinen spezifischen Eigenschaften zur Geschichte beiträgt.
Michael2023.com – ein Beispiel für Transmedia
swissnex San Francisco, eine Aussenstelle des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), organisierte den nationalen Transmedia-Wettbewerb namens „Story2023“ um seine nächsten zehn Jahre zu zelebrieren. Studierende wie auch Alumni von Schweizer Universitäten und Hochschulen wurden dazu eingeladen, eigene transmediale Projekte über die Zukunft in zehn Jahren einzureichen. Der Inhalt der Projekte war der Kreativität der Teilnehmer überlassen und konnte beispielsweise sozialpolitische Themen, Innovation & Technik oder das Transportwesen im Jahr 2023 umfassen.
Das Projekt Michael2023.com von den Teilnehmern Derya Baris, Niklas Jung und Lukas Steiner wurde von einer internationalen Jury als Gewinner gekürt. Die Geschichte wird aus den Augen von der fiktiven Person Michael erzählt, einem 29-jährigen Ingenieur aus San Francisco und Mitarbeiter bei der Firma Oculusix Ltd. Ihr Hauptprodukt ist eine digitale Kontaktlinse, sozusagen «Google Glasses» komprimiert auf eine Linse, die Michael während der gesamten Erzählung trägt.
Michael2023.com kombiniert drei mediale Plattformen: Website, Video und Social Media. Die Website bildet den roten Faden der Geschichte, wobei es sich um eine interaktive Website handelt. So bewegt der Betrachter durch Scrollen der Maus (oder Pfeiltaste nach unten) den Tagesablauf von Michael und wird vom stillen Voyeur zur involvierten Person. Zudem ermöglicht das Scrollen dem Benutzer die Geschichte im eigenen Tempo zu erleben – und kann somit von langsamen sowie schnellen Leser gleichermassen genossen werden.
Das integrierte Video verbindet Realität mit futuristischen Elementen. Die eingebundenen persönlichen Texte, welche von Michael via Twitter (@2023Michael) geschrieben sind, verbessern die Einfühlsamkeit der Benutzer und das Erlebnis der Geschichte. Zusätzlich ermöglicht es einen persönlichen Austausch ausserhalb der Website zwischen der fiktiven Person aus der Zukunft und realen Personen der Gegenwart.
3 Transmedia Tipps aus San Francisco
Als Gewinner wurde das Michael2023.com Team nach San Francisco eingeladen und erlebte ein spezielles einwöchiges Programm. Neben Workshops bei bekannten internationalen Marketingagenturen sowie Startups, stand die Verbesserung der transmedialen Erzählung im Vordergrund. Folgende drei Tipps nehmen sie aus der Reise mit:
- Erschaffe Emotionen!
Ein wichtiger Punkt bei transmedialen Projekten ist die Schaffung von Emotionen durch die Verbindung mehrere Medien. Zwar steht bei Michael2023.com der Hauptcharakter im Mittelpunkt, doch es stellen sich auch kritische Fragen. Wer ist er? Warum soll mich seine Geschichte interessieren? Die Erzählweise hat einen direkten Einfluss auf die Wahrnehmung der Charaktere und der Einfühlsamkeit.
- Erstelle eine Welt, nicht nur eine Geschichte!
Bei einer transmedialen Erzählung werden nicht einzelne Kanäle wahllos zusammengelegt, sondern Synergien zwischen den einzelnen Medien erzielt. Dabei sollen die einzelnen Kanäle im Gesamtbild nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern den Betrachter in eine einzigartige Umgebung versetzen. Jenkins erwähnt als Beispiel das Matrix Universum, welches durch die Kinofilme, Comics und Videospiele aufgebaut wurde.
- Verwische die Grenzen zwischen Fiktion und Realität!
Aus dem vorherigen Abschnitt folgt der dritte Tipp: Breche aus der digitalen Welt aus. Dabei soll sich der Betrachter nicht nur angesprochen fühlen, sondern sich auch fragen: Ist es eine fiktive Erzählung oder Teil der Realität? Am Beispiel von Michael2023.com könnte man beispielsweise die Aufschaltung eines Zeitungsinserates für die digitale Kontaktlinse oder die Teilnahme an einer IT-Messe prüfen.
Transmedia Förderung in der Schweiz
Mit dem aufkommenden Datenvolumen («Big Data») wird es in der Zukunft nicht nur darum gehen, Daten richtig zu verwerten, sondern auch transmedial zu präsentieren. Die transmediale Erzählweise steht in der Schweiz in den Kinderschuhen, wird aber bereits gefördert. Als Beispiel sei die neu lancierte Ausschreibung «Transmedia Projects» zu erwähnen, welche auf Initiative der Kulturstiftung Pro Helvetia und des Bundesamtes für Kultur beruht. Wie sich Transmedia weiterentwickeln wird bleibt ein interessante Fragestellung – genau so spannend wie die Geschichte von Michael.
Über die Autoren:
Derya Baris und Niklas Jung sind die Gründer der Schweizer Agentur Videodesign.ch GmbH, welche sich auf Video Animation und Produktion spezialisiert hat. Lukas Steiner ist Software Engineer bei Videodesign.ch