Der Entrepreneur Ulrich Rotermund überrascht mit schonungsloser Offenheit gegenüber BILANZ: «Meine Kernkompetenz ist die Pornografie.» Das klingt für Laien nach geradezu optimaler Voraussetzung für das Gewerbe, dem der 57-jährige Wahlschweizer sein dreistelliges Millionenvermögen verdankt. Der Vater von zwei Söhnen nämlich profitiert als (noch) grösster Aktionär von Europas führendem Erotikkonzern, der in Deutschland börsenkotierten und nach seiner Mutter benannten Beate Uhse AG.

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Und doch steht ihm gerade diese Kernkompetenz im Wege, denn es ist nicht Pornografie, die sticht. «Erotik ist die Zukunft von Beate Uhse», doziert der Aufsichtsratsvorsitzende. Und gesteht freimütig, in diesem weicheren Geschäftsfeld, so beim Handel mit erotischer Wäsche, eben eher inkompetent zu sein und deshalb den Vorstoss in die neuen Nischen der käuflichen Liebesutensilien kaum befruchten zu können.

Dabei wäre gerade jetzt höchster Sachverstand geboten. Die Beate Uhse AG nämlich steht am Scheideweg. In allen Separées des Konzerns – ob im klassischen Versand- oder Detailhandel, im Geschäftsverkehr mit Grossabnehmern und auch beim jüngsten Ableger, dem Entertainment, mit dem Dienstleistungen wie Online- oder Telefonsex und Bezahlfernsehen angedient werden – läuft es nicht mehr wie geschmiert.

Das deutsche «Manager Magazin» lästert bereits: «Tote Hose bei Beate Uhse», und moniert «die miesen Geschäfte des Erotikkonzerns». Das für das Jahr 2006 vollmundig in Aussicht gestellte Umsatzziel von annähernd 300 Millionen Euro in 15 Ländern Europas hat der Konzern mit seinen knapp 1500 Mitarbeitenden ebenso verfehlt wie angekündigte Gewinnsprünge. Das Management im norddeutschen Flensburg sucht in den Kernmärkten hektisch neue Potenz – durch Enthaltsamkeit vom sogenannten Hardcore-Geschäft. «Erotik», proklamiert Vorstandssprecher Otto Christian Lindemann, «ist kein Nischenmarkt mehr. Erotik ist Lifestyle.»

Wie der Markt künftig wieder erfolgreicher penetriert werden soll, demonstrieren die Ladenhüter seit wenigen Wochen mit ihrem brandheissen Flagshipstore im Herzen von München: raus aus der Schmuddelecke, hinein in die hochpreisigen Flaniermeilen. Mindestens zwölf neue Filialen sollen jährlich neu aufsperren, wahlweise «für unser klassisches Erotik- und Lifestylekonzept» oder «für unser zukunftsweisendes Soft-Boutique-Konzept».

Die operativ Handelnden wirken allerdings verstört. Es ist, so scheint es, wie im richtigen Leben: Der eine will, kann aber nicht; der andere könnte, will jedoch nicht. Wo liegt die profitträchtige Zukunft? Im Angebot klassischer Sortimente wie Dildos oder Lack und Leder? Im Verkauf von Potenzbier im Sixpack für 9.95 Euro? Oder vielleicht im Online-Sex, wo Beate Uhse vor wenigen Tagen mit «Abgedreht. Die Sex-WG» eine Soap für Barzahler startete? Die Homepage verspricht derzeit jedenfalls «Frühlingserwachen», rechtzeitig vor der Bilanzpressekonferenz am 30. März.

Auch wenn die aktuellen Zahlen nicht befriedigen, sieht es gar nicht so düster aus im Gewerbe der Beate Uhse. Im zurückliegenden Jahrzehnt haben sich die Erlöse immerhin fast verfünffacht. Und in den vielversprechenden Verkaufsmärkten Osteuropas, aber auch in Italien oder Frankreich verharrt Uhse noch beim Vorspiel. In der Schweiz droht Ende April hingegen ein grosses schwarzes Loch, wenn der Lizenzvertrag mit dem langjährigen Partner Heinz Bleisch endgültig ausläuft (siehe Artikel «Lichter aus»). Ob Beate Uhse hierzulande kurzfristig in Eigenregie nochmals angreift, lässt der Grossaktionär offen. «Die Schweiz ist ein guter Standort», bescheinigt Rotermund aber seiner Wahlheimat. Der im Sternzeichen des Stiers Geborene schwärmt geradezu von der Spendierfreudigkeit der Eidgenossen, für die Geiz anscheinend nicht geil ist: «Für eine DVD, die in Deutschland für 19.95 Euro angeboten wird, bezahlen Schweizer locker 100 Franken», gewährt er Einblick in einen Markt mit höchsten Traumrenditen. Online und mit dem Versand bleibt die Ur-Uhse natürlich auch ab Mai «im gelobten Land Schweiz» (Rotermund).

Weniger Profit strich der Konzern im Krisenjahr 2006 ein. Die Delle wäre jedoch weniger dramatisch in der Aussenwirkung ausgefallen, hätte Vorsteher Lindemann vor zwölf Monaten den Mund nicht so voll genommen, als er die bevorstehende Fussballweltmeisterschaft zum Glücksfall hochjubelte: «Das Megaturnier wird unseren Umsatz deutlich beflügeln.» Hätte er nur seinen Oberkontrolleur Rotermund gefragt. Denn der weiss aus jahrzehntelanger Erfahrung: «Jede Sportgrossveranstaltung ist schlecht für unser Geschäft.» Die private Spielwiese lockt augenscheinlich weniger, wenn in öffentlichen Stadien angestossen wird.

Die Lust verloren hat Grossaktionär Rotermund angesichts des harzigen Geschäftsganges zwar nicht gänzlich. Sein Auftrag an die Bayerische Hypo- und Vereinsbank, sämtliche Optionen für sein Aktienpaket zu evaluieren, einschliesslich eines eventuellen Komplettverkaufs, kam gleichwohl nicht überraschend. Ein Vollblutverkäufer wie Mutter Beate Uhse war der Stammhalter nie. Während die Grande Dame der Erotik gern werbewirksam vor jeder Kamera posierte, liebt der Sohn den Hintergrund. Vielleicht braucht der Konzern tatsächlich Impulse, die ein scheuer Verfechter der Hardcore-Fraktion wie er nicht geben kann. Rotermund kokettiert damit, mit seinem Abgang von der Erotikbühne womöglich «neue Wachstumsperspektiven für den Konzern zu schaffen». Für ihn bleibt die Aktiengesellschaft «ein Edelstein, dessen Wert mit mehr Schliff erheblich gesteigert werden kann».

Vielleicht käme ein Rückzug aus dem Aktionariat für Rotermund auch einer Befreiung aus der Schusslinie oft bösartiger Kommentare gleich, etwa über vermeintlich «seltsame Transaktionen der Grossaktionäre» («Manager Magazin»). In der Tat wirkt der Handel mit Wertpapieren der Uhse AG zwischen den drei wesentlichen Teilhabern auf den ersten Blick anrüchig. Neben Rotermund mischen da der Unternehmer (und Uhse-Vorstand) Gerard Cok mit rund 23 Prozent der insgesamt 47 Millionen Titel und Rotermunds langjähriger Steuerberater Richard Orthmann mit, der Fiskalfachmann freilich in erster Linie treuhänderisch für seinen Mandanten.

Auf den zweiten Blick aber entpuppt sich das geschäftliche Gebilde des Trios als stimmig – und völlig legal. Der Holländer Cok hat 1999 sein familiäres Seximperium bei Beate Uhse eingebracht und im Gegengeschäft gewichtige Anteile übernommen. Dass sich der Erbe und sein Steueroptimierer Orthmann nahezu zeitgleich mit der Emission der Uhse-Aktien aus Deutschland (und aus der bundesrepublikanischen Steuerpflicht) verabschiedeten, musste das Duo ja nicht an die grosse Glocke hängen. Die beiden Norddeutschen sind eben keine Masochisten, die um – verbale – Prügel von deutschen Politikern ob ihres leisen Abgangs ins Steuerexil betteln.

Deshalb blieb auch lange unentdeckt, dass formaljuristisch das verschlafene 3300-Seelen-Dorf Steinach im Kanton St. Gallen über Nacht zum Nabel der internationalen Sexszene avancierte. Dort ging Orthmann privat mit Frau Almut und drei Kindern diskret am Schweizer Ufer des Bodensees vor Anker. Eine Orthmann AG in Steinach führte sich fortan ein als dominanter Anteilseigner der Uhse AG. Ulrich Rotermund selbst, der jüngste Sohn der Erotikpionierin Beate Uhse, zügelte derweil mit Gattin Jutta und den beiden Söhnen Philipp und Reuben an den Vierwaldstättersee. Sie fanden Quartier in prominenter Nachbarschaft, etwa von Uhrenhändler Jörg Bucherer.

Die vierköpfige Familie gliederte sich schnell ein in der Zentralschweiz. So locht der Senior im honorigen Lucerne Golf Club am Dietschiberg ein und liegt mit seinem Handicap von 17.1 leicht unter der vom ihm gesetzten «Idiotengrenze von 18». Mit der Entfernung von exakt 1073 Kilometern zwischen Vierwaldstättersee und der Zentrale in Flensburg ist womöglich auch das Verlangen geschwunden, die jeweils gebotene Stossrichtung im ererbten Erotikbusiness anzusagen. Und ob die beiden Sprösslinge mal richtig Lust verspüren werden, das Imperium in dritter Generation zu coachen, steht nicht fest. Während Philipp Rotermund als Geschäftsführer bei der Telco-Media der Erotic Media in Baar noch den Spuren der Grossmutter und des Vaters zu folgen scheint, wendet sich Reuben Rotermund artfremden Branchen zu. Der Absolvent der European University in Montreux VD beschäftigt sich mit Nahrungsergänzungsmitteln für Tierfutter und gründete mit Partnern vor wenigen Monaten in Hergiswil NW die Retro Entertainment.

Über Junior Reuben führt eine heisse Spur ins Fürstentum Liechtenstein: Eine im Ländle domizilierte Rotermund AG steht unter seiner Kontrolle. Dass er dieses Versteckspiel dem Vater nachgemacht hatte, blieb jahrelang verborgen. Der Senior selbst hatte dort, quasi als steuerminimierenden Höhepunkt, in der Hauptstadt Vaduz seine beinahe gleich klingende Rotermund Holding AG etabliert. Darauf angesprochen, gesteht der Emigrant aus Flensburg, fürwahr «eine komplizierte Struktur» gewählt zu haben, zumal in der Aussendarstellung «die Orthmann AG treuhänderisch tätig» gewesen sei für seine verborgene Rotermund Holding in Vaduz. Nichts zur Transparenz konnte auch beitragen, dass im Fürstentum parallel eine Orthmann Trading AG an den Start ging, die zum Beispiel bei der gleichfalls in Deutschland börsenkotierten Erotic Media in Baar ZG die Strippen zieht. Doch wehrt sich der Oberaufseher der Aktiengesellschaft und Verwaltungsratspräsident der Erotic Media gegen Unterstellungen, jemals börsenrelevante Informationen verheimlicht zu haben. «Ich stehe im Telefonbuch. Bei mir hat nie jemand nachgefragt.»

Auf der Homepage der Beate Uhse AG finden sich in der Rubrik «Director’s Dealings» tatsächlich seitenweise Auflistungen von Aktientransaktionen. Bei der Lektüre nur schon der Pflichtmeldungen seit dem Börsengang kann selbst der geübte Leser den Überblick verlieren. Aufgelistet hat die Gesellschaft zudem alle Transaktionen – und die Nebengeschäfte. «Wir werden von der international renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young geprüft», meint Rotermund und nimmt damit absolute Durchsichtigkeit in all seinem Handeln für sich in Anspruch.

Die Verärgerung von Kleinaktionären ist gleichwohl leicht nachvollziehbar. Wenn der Kurs zunächst extrem explodierte und die Uhse-Aktien unter die 100 gewichtigsten deutschen Aktien in den sogenannten M-DAX katapultierte – um dann im freien Fall von knapp 25 Euro im Dezember 1999 in Richtung 4 Euro zu crashen, schmerzt das. Am heftigsten jedoch den grössten Aktionär, Rotermund. Auf dem Papier haben die Grossaktionäre am Vierwaldstättersee sicher gegen eine Viertelmilliarde Euro eingebüsst.

Bei einer derzeitigen Teilhabe von noch 27,6 Prozent dürfte Rotermund immer noch deutlich mehr als umgerechnet 100 Millionen Franken für dieses Paket erwarten, sollte er sich in wenigen Wochen tatsächlich für einen Verkauf entscheiden. Wird sich der am 9. Mai 58-Jährige wie viele Deutsche in diesem Alter in den vorgezogenen Ruhestand verabschieden, den Winter ganz entspannt in Florida verbringen? Ein Dasein als Pensionär kann – und will – sich Rotermund noch lange nicht vorstellen. «Es gibt noch diverse andere Aktivitäten – bei der Erotic Media und im Immobiliensektor.»

Als VR-Präsident der Erotic Media kann Rotermund unverändert seine Kernkompetenz ausleben: Tausende Filmtitel aus dem schärfsten Pornografie-Genre werden da gebunkert.