Es sind ungemütliche, nasskalte Tage in Berlin, an denen es bei den Sondierungen zwischen CDU/CSU und SPD über eine neue Regierung zum Finale kommt. Schauplatz: das Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale der Sozialdemokraten. Ein Protokoll:
Donnerstag, 8:00 Uhr: Die ersten Unterhändler treffen ein. Sitzungen von Fachgruppen beginnen.
8.05 Uhr: Draussen steht eine Gruppe von Kohlekumpeln von der Gewerkschaft IG BCE, sie demonstrieren gegen einen Kohleausstieg. Schon bei den Jamaika-Sondierungen haben sie protestiert. Einige Meter weiter wirbt die Kampagnenorganisation Avaaz mit dem Slogan «Make Europa great again» für die EU. Ein Mann, der eine Pappmaske mit dem Gesicht des französischen Präsidenten Emmanuel Macron trägt, hält ein Schild hoch mit der Aufschrift «Deutschland, willst Du mit mir gehen?». Macron hat bereits vor Monaten Reformvorschläge für die EU vorgestellt – bis heute ohne Antwort aus Berlin.
9.00 Uhr: Für CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ist die Tür des Willy-Brandt-Hauses zunächst zu, bevor sie ein SPD-Mitarbeiter öffnet. «Schon die ersten Hindernisse», schmunzelt Scheuer.
9.25 Uhr: Der Gastgeber kommt an. SPD-Chef Martin Schulz betont in einem fast vierminütigen Statement, für ihn stehe das Thema Europa im Vordergrund. «Wenn wir in eine solche Regierung eintreten, dann unter der Bedingung, dass diese Regierung Europa stark macht.» Schulz erwähnt die Reformpläne Macrons. Bei den Sondierungen gebe es in einer «Menge von Punkten» bereits Gemeinsamkeiten. Aber: «Es gibt dicke Brocken, die wir noch aus dem Weg zu räumen haben.»
9.35 Uhr: Deutlich kürzer ist die Stellungnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie vor die zahlreichen Kameras tritt. Die CDU-Chefin wählt eine fast wortgleiche Formulierung wie Schulz: «Es liegen noch grosse Brocken auf dem Weg, die aus dem Weg geräumt werden müssen.» Sie ergänzt: «Insofern wird es ein harter Tag werden.» Und: «Ich gehe auch mit grosser Energie in diesen Tag. Die Menschen erwarten auch, dass wir Lösungen finden, und in diesem Geiste werde ich heute arbeiten.»
9.50 Uhr: CSU-Chef Horst Seehofer trifft ein, begleitet von Sicherheitsleuten. Im Vorbeigehen sagt er: «Wir wollten schweigen.» Vor den Sondierungen hatten sich die Unterhändler Stillschweigen verordnet, Zwischenstände und «Durchstechereien» über inhaltliche Fortschritte sollten nicht nach aussen dringen – das aber hat nicht ganz geklappt.
11.03 Uhr: Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ringt sichtbar mit sich, ob er auf Fragen von Reportern antworten soll. Dann sagt er: «Es wird hart verhandelt, es wird sehr lange dauern, das ist jetzt schon absehbar.» Auf die Frage, ob die SPD an einer Bürgerversicherung im Gesundheitssystem – also der Abschaffung der deutschen Sonderrolle, die Krankenversicherung in gesetzliche und private Versicherungen zu trennen, festhalte, sagt Lauterbach: «Wir kämpfen bis zum Schluss, das ist ja ganz klar.« CDU und CSU lehnt eine Bürgerversicherung ab.
13.25 Uhr: Unterdessen wird im Foyer des Willy-Brandt-Hauses schon mal aufgebaut. Mitarbeiter stellen für eine Medienkonferenz Stühle auf, vor einer neutralen blauen Wand stehen drei Pulte, für die drei Parteichefs.
16.15 Uhr: Ein CDU-Insider beschreibt die Stimmung bei den Sondierungen als «sachorientiert». Es gebe aber noch grosse Knackpunkte, dazu zählen Steuern und Finanzen, Migration und Gesundheit.
16.38 Uhr: CDU-Unterhändler Jens Spahn, ein prominenter Newcomer der Partei, der sich oft betont konservativ gibt, meint auf die Frage, ob es am Donnerstag eine Einigung gibt: «Schaun wir mal».
21.00 Uhr: Nichts Konkretes dringt nach aussen, nur Beschreibungen der Stimmungslage, die sich seit Stunden gleichen. Es gehe nur zäh voran, die Stimmung sei nicht wirklich gut. Und immer wieder von allen Seiten: Es stehe Spitz auf Knopf.
22.13 Uhr: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, kommt aus seiner Heimat zurück. Der CDU-Mann hatte sich für ein paar Stunden für einen Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Köln aus den Sondierungen ausgeklinkt und dort vor einem Scheitern der Verhandlungen gewarnt.
23.35 Uhr: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat bei einem Spaziergang frische Luft geschnappt. «Wird noch ein bisschen dauern», sagt er bei seiner Rückkehr.
Freitag, 00.30 Uhr: Die Sechser-Runde der Partei- und Fraktionschefs tagt erneut.
1.40 Uhr: Die SPD-Verhandler haben untereinander getagt - sichtbare Fortschritte bei den grossen Bereichen Migration, Steuern oder Rente gibt es nicht.
2.10 Uhr: Erneut kommt die kleine Runde der Partei- und Fraktionschefs zusammen. Auch in den nächsten Stunden dringt immer wieder nur nach aussen: Lage schwierig – aufgeben wolle man aber nicht.
4.27 Uhr: Kein Ende der Sondierung absehbar, heisst es von den Verhandlern.
5.18 Uhr: Kanzleramts-Staatsminister Helge Braun (CDU) verlässt das Willy-Brandt-Haus.
6.26 Uhr: Agrarminister Christian Schmidt (CSU) verlässt den Verhandlungsort, um Luft zu schnappen.
7.30 Uhr: De Maizière kehrt nach einer Pause ins Willy-Brandt-Haus zurück. In Verhandlungskreisen heisst es, es werde noch rund eine Stunde verhandelt.
8.00 Uhr: Die Sondierungen dauern nun länger als 24 Stunden.
8.33 Uhr: Es ist zu erfahren, dass die Partei- und Fraktionsspitzen einen Durchbruch erzielt haben. Das vorläufige Sondierungspapier hat 28 Seiten.