Im Jahr 1991 testete der US-Pharmakonzern Pfizer an Männern in England ein neues Medikament gegen die Herzkrankheit Angina Pectoris. Doch das neue Medikament war wirkungslos. Pfizer brach den Versuch ab. Aber nun passierte etwas sehr Verwunderliches. Die am Test beteiligten Männer waren vom nutzlosen Medikament begeistert und wollten es auf keinen Fall zurückgeben. Es kam sogar zu einem Einbruch ins Labor von Pfizer, bei dem Restbestände des nutzlosen Medikaments gestohlen wurden.
Denn dass nutzlose Medikament hatte eine für Männer sehr interessante Nebenwirkung. Sieben Jahre später brachte Pfizer dieselbe Substanz – Sildenafil – für eine ganz andere Anwendung auf den Markt. Viagra hiess nun das Produkt.
Hornpulver als wirkungsvolles Aphrodisiakum
Damit wären wir bei den Nashörnern. Noch vor zwanzig Jahren schienen die Nashörner dem unausweichlichen Aussterben geweiht. Die Tiere wurden von Wilderern erbarmungslos gejagt. Ihr Horn, zu Pulver gemahlen, galt als wirkungsvolles Aphrodisiakum. Vor allem die Chinesen und die Vietnamesen versprachen sich davon eine Stärkung ihrer Manneskraft. Ein Gramm Hornpulver kostet um die hundert Dollar.
Inzwischen hat sich der Bestand der Nashörner wieder verdoppelt. Von den zwei häufigsten Arten, dem Breitmaul- und dem Spitzmaulnashorn, gibt es wieder über 25 000 Exemplare. Die meisten leben im südlichen Afrika.
Die Wiederkehr der Nashörner ist das Resultat von Viagra. Selbst manche Chinesen lassen sich inzwischen überzeugen, dass die Pille von Pfizer ihrer Libido bessere Dienste leistet als das Hornpulver, und das zu einem Zwanzigstel des Preises. Die Jagd nach dem Horn ging damit zurück.
Viagra ist eine Premiere in der Wissenschaftsgeschichte. Zum ersten Mal hat die Wissenschaft, in diesem Fall die Pharmakologie, einen konkreten Beitrag zur Artenvielfalt auf diesem Planeten geleistet.
Krebsmittel könnte Löwen retten
Leider haben die Löwen eine ähnliche Entwicklung bisher nicht erleben dürfen. Löwen gehören mittlerweile zu den hochgradig gefährdeten Tierarten. Ihre Population schwindet enorm schnell. In Afrika leben nur noch etwa 20 000 Löwen, weniger als die Hälfte des Bestands vor noch zwanzig Jahren.
Ein Grund ist die vermeintlich heilsame Kraft ihrer Knochen. Der Handel mit Löwenskeletten ist ein Riesengeschäft. Verarbeitet zu Pulver, Tabletten und allerlei Elixieren, gelten sie in Südostasien als Wundermittel, das selbst Krebs kurieren soll. Nur ein Krebsmittel, das wie Viagra einen medizinischen Durchbruch bringt, kann die Jagd auf die Löwen, so wie bei den Nashörnern, entscheidend reduzieren.
Viagra ist erst das zweite Medikament, das die Krone eines medizinischen Wundermittels für sich beanspruchen darf. Es rivalisiert in der Rolle des besten Präparats aller Zeiten mit dem über Jahrzehnte bewährten Wundermittel Aspirin.
Länger frische Schnittblumen dank Viagra
Aspirin, 1921 von Bayer patentiert, hilft unter anderem gegen Fieber, Schmerzen, Rheumatismus, Migräne, Herzinfarkt, Schlaganfälle, Arteriosklerose und Alterung.
Viagra, 1997 von Pfizer patentiert, hilft unter anderem gegen Potenzstörungen, Jetlag, Lungenschwäche, Gedächtnisverlust, Diabetes, Hypertonie, multiple Sklerose und Unfruchtbarkeit.
Legendär wurden auch die Forschungsergebnisse, dass schon eine kleine Dosis von Viagra genüge, um Schnittblumen eine Woche länger frisch zu halten. Blumenstengel reagieren offenbar genauso wie Männerstengel.
Aspirin gegen Viagra. Im Wettstreit liegen die beiden erfolgreichsten Arzneien der Geschichte gleichauf. Viagra aber hat einen Zusatznutzen: Keine andere Pille hat bisher eine ganze Spezies vor dem Aussterben gerettet.
*Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.