Zwei Volksbegehren bedrohen Bauern als Unternehmer

Coop und Migros zeigen in der Werbung für Nahrungsmittel gerne die Heidiwelt: eine sonnige Bergwiese, auf welcher Kühe grasen und Kälblein an Zitzen saugen. Doch damit ist kein Leben zu verdienen. Der Aufwand, gerade für Bergbauern, ist viel grösser als der Ertrag aus extensiver Kälberzucht oder Milchwirtschaft. Wirtschaftlich betrachtet müssten sie abwandern oder würden verhungern. Dabei produzieren Bergbauern oft in Bio-Qualität.

Das Problem sind die Konsumenten und Konsumentinnen: Sie kaufen viel weniger Bio-Produkte, als die Bauern in Bio-Qualität anbieten könnten. Den höheren Preis sind sie nicht zu zahlen bereit. Nur rund 10 bis 12 Prozent der Nahrungsmittel werden in Bio-Qualität gekauft. Obstbauer Daniel Weber fasst es so zusammen: «An der Urne wollen Konsumenten strenge Vorschriften, aber im Laden entscheiden sie sich für günstige Nicht-Bio-Produkte». Ein Verbot von Pestiziden, Insektiziden oder ein Verbot von Kunstdüngern würde Bauern grosse Verluste bescheren, die ihnen keiner deckt - ausser der Staat zahlt noch mehr Subventionen.

Bauernfamilien reklamieren Work-Life-Balance

In der Schweiz gibt es 50'000 Höfe mit 150'000 Beschäftigten, die Hälfte arbeitet Vollzeit. Die jüngeren und modernen Bauern sind nicht mehr bereit, die Opfer zu erbringen, wie es ihre Grosseltern in 12- bis 15-Stunden-Tagen getan haben. Auch sie wollen eine Work-Life-Balance: Freizeit, freie Wochenenden, drei bis vier Wochen Ferien und einen anständigen Lohn. Sie verstehen sich als Kleinunternehmer, sie führen Vollkostenrechnungen ihrer Produkte und eliminieren defizitäre Betriebszweige.

Sie wollen rentieren wie andere KMU. Deshalb engagieren sich Bauern gegen die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative. Sie bezeichnen die Volksbegehren als extrem, weil sie den betrieblichen Spielraum stark einschränken und heutige Investitionen gefährden. Die Initiativen würde sie zurück in eine extensive Produktion drängen, die ihre Kunden nicht zahlen wollen.

Spezialisieren, Automatisieren und Marge vergrössern

Bauernfamilien verdienen genug zum Leben, wenn sie drei Dinge tun: spezialisieren, automatisieren und vertikalisieren. Spezialisierung heisst, dass ein Hof nur auf Kartoffeln, nur auf Milch, nur auf Obst oder nur auf Bio-Fleisch fokussiert. Automatisieren heisst beispielsweise, dass Milchbauern Melkroboter installieren, welche die Kühe zweimal täglich melken, oder dass Obstbauern Unkrautroboter anschaffen, die Unkraut mechanisch zerstören. Oder dass Kartoffelbauern Erntemaschinen kaufen, die die Kartoffeln waschen, sortieren und abpacken. Dafür braucht es viel Kapital und Investitionssicherheit. Und schliesslich das Vertikalisieren: Dazu gehört, dass Bauern nicht nur Rohprodukte an die Industrie verkaufen, sondern direkt den Konsumenten, und dass sie Markenprodukte kreieren, die ihnen höhere Margen einbringen. Schlechte Bauern verdienen heute 15 Franken pro Stunde, gute Bauern 5500 bis 9500 Franken monatlich.

Die Übersicht zeigt: Drei der vier Bauern produzieren nicht Bio, investieren aber in Bio-ähnliche Methoden. Sie sperren sich nicht gegen weniger Herbizide, Insektizide oder Kunstdünger. Sie verwenden diese aber nur weniger, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten sie mit einer höheren Kaufbereitschaft dafür belohnen.

Milchbauer im Thurgau: Melkroboter als Hilfsbauer

Es ist Nachmittag, 95 Milchkühe von Christof Baumgartner sind auf der Weide. Als er auftaucht, kommen sie näher. Sobald er die Stromschranke beiseiteschiebt, strömen sie in den Stall hinein, wie wenn alles perfekt eingespielt worden wäre. Dort erwarten sie das Futter und zwei Melkroboter. Letztere bestehen aus Boxen, worin je eine Kuh passt. Daneben stehen je eine Apparatur und ein Melkarm mit Saugnäpfen. Angelockt von Zuckerrübenschnitzeln betritt eine Kuh nach der anderen die Boxen, ohne Dazutun des Bauern. Die Gatter schliessen sich, die Kühe bleiben ruhig. Ein Sensor scannt die Euter. Nach 20 Sekunden hängen Saugnäpfe an jeder Zitze, das Melken beginnt. Es endet nach einigen Minuten automatisch, die Gatter öffnen sich und die Kühe treten heraus, weil der Futtertrog leer ist. Die Szene wiederholt sich, bis alle gemolken sind.

Baumgarnter besitzt die Roboter seit drei Monaten. Er kaufte sie als Occasion aus Deutschland für 180'000 Franken und schreibt sie auf 10 Jahre ab. «Wir erhoffen uns damit 5 bis 10 Prozent mehr Milch im Vergleich zum normalen Melken», sagt er. Der Hauptvorteil aber ist, dass er mit dem Roboter 20 bis 30 Prozent seiner Arbeitszeit freispielt im Vergleich zu früher. So bleibt mehr Zeit für Projekte und Freizeit.

milchbauer_melkroboter

Christof Baumgartner: Auf seiner Weide in Märwil TG grasen 95 Milchkühe.

Der Roboter ist auch sein Buchhalter. Er zählt die Milchmenge pro Kuh, die er an den Ohrmarken erkennt. Und er weiss, wenn sich ein Tier dem Melken entzogen hat. Baumgartners Hof ist spezialisiert auf Rohmilch zur Verkäsung. Ein Drittel wird zu Emmentaler verarbeitet. Baumgartner engagiert sich deshalb auch in der Vermarktung: je mehr Export, umso besser für ihn und weitere achtzig Bauernfamilien. In seinem Hof arbeiten der Vater und der Bruder. Der Umsatz beträgt rund 750'000 Franken. Der grösste Aufwand ist, das Heu zu ernten. Die Hälfe produziert er selber: je mehr eigenes Futter, desto besser die Auslastung und desto mehr Lohn. «Der Grenzertrag ist höher», sagt Baumgartner, der eine Vollkostenrechnung führt. Auch Kunstdünger erhöhe den Ertrag, wenns wenig regnet. Gerne hätte er noch mehr Land. Doch wird Land frei, schnappen es sich die Gemüsebauern, deren Höfe dank Grenzschutz besser rentieren.

Die Baumgartners nehmen sich zwanzig Tage Ferien pro Jahr. «Bauer sein ist kein Zustand, sondern ein Beruf», sagt der Dozent einer Landwirtschaftsschule. Aber er liebt seine Tiere. Unter Nachhaltigkeit einer Kuh versteht er Langlebigkeit: «Je älter und je weniger krank, desto nachhaltiger.» Auf Bio setzt er trotzdem nicht.