Für das triste Schwarz der Wände aus rohem Karbon gibt es einen guten Grund: Karbon ist von Natur aus schwarz, und hätte man die Wände des Boots weiss gestrichen, wäre es wegen des Gewichts der Farbe 30 bis 40 Kilogramm schwerer geworden. «Auf solche Dinge», so sagt Skipper Ian Walker, «kommt es am Ende des Tages an.»

Das schwarze Boot mit dem arabischen Namen «Azzam» (Entschlossenheit) nimmt mit Schweizer Unterstützung derzeit am Volvo Ocean Race teil, der wohl härtesten Segelregatta der Welt. Und da es beim neun Monate dauernden Rennen wirklich auf jedes Kilo ankommt, müssen sich auf der «Azzam» zwei Männer eine Koje und einen Schlafsack teilen – nur einer von zwei kann jeweils ruhen. Pro zwei Männer gibt es einen Trinkbecher, als WC dient ein Behälter, den zivilisierte Menschen bestenfalls als Kübel bezeichnen würden, bei Zahnbürsten wird der Griff abgesägt, und auf alles nicht wirklich Notwendige wird konsequent verzichtet.

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Eine eigentliche Küche gibt es deshalb nicht, die Nahrung ist gefriergetrocknet und wird nur gerade mit warmem Wasser angerichtet. Auch eine Dusche sucht man auf dem 21,5 Meter langen Schiff vergeblich, duschen und die Haare waschen kann man an Deck, wenn es einmal regnet.

Es herrschen, wie man sieht, frugale Sitten am Volvo Ocean Race, das vor zweieinhalb Wochen in Alicante gestartet wurde – und das muss so sein: Das Rennen sei «eine der weltweit grössten Herausforderungen in der Welt des Sports», sagte kurz vor dem Start ein gut gelaunter Georges Kern, CEO der Uhrenfirma IWC. Es würden von der Mannschaft «mental und physisch» Höchstleistungen abverlangt, «gefragt sind Männer mit Hirn und Mumm».

Georges Kern weiss, wovon er spricht, denn IWC ist am Anlass zuvorderst dabei. Erstens als offizieller Zeitnehmer der Regatta und zweitens als Sponsor der «Azzam»-Besatzung, des Teams Abu Dhabi Ocean Racing mit Skipper Ian Walker. Und für die Schaffhauser startete die Sache prächtig. Den Auftakt des neunmonatigen Rallyes auf See, das In-Port Race in Alicante, gewann mit beinahe 15 Minuten Vorsprung Ian Walkers Mannschaft. «Ein grosser Sieg», freute er sich auf dem Siegerpodest: «Ich fühle mich fantastisch.»

Doch Glück und Pech liegen oft nahe beieinander: Ein paar Tage später brach bei der «Azzam» der Mast – das Schiff musste zur Reparatur in den Hafen zurück. Das Rennen indes bleibt offen.

Suche nach Sturm. In neun Etappen segeln am Volvo Ocean Race sechs Mannschaften von Alicante, Spanien, nach Galway, Irland. Bis zu 25 Tage sind sie jeweils unterwegs. Das längste Teilstück führt von Auckland in Neuseeland nach Itajaí in Brasilien und misst in der Direttissima 7605 nautische Meilen. Doch den kürzesten Weg wählt keine Mannschaft, denn die beste Route führt dort durch, wo der Wind am stärksten bläst. Deshalb nützt auch ein Autopilot herzlich wenig. «Wir suchen den Sturm», sagt Skipper Ian Walker. Der bringe das Schiff am schnellsten vorwärts.

Bricht umgekehrt der Wind zusammen, klettert ein Mann auf den 31,5 Meter hohen Mast in schwindlige und mörderisch schwankende Höhe und hält Ausschau. Dort, wo der Wagemutige von Auge kleinste Wellen kräuseln sieht, die vorher kein elektronisches Instrument erfassen konnte, hat es noch ein bisschen Wind. Und dorthin wird er also seine Kollegen dirigieren.

Elf Männer sind auf dem Boot, neben Skipper und Navigator auch ein Medienmann, der fünf fest installierte und zwei bewegliche Kameras bedient und laufend mit Fotos, High-Definition-Videos und Texten berichtet. Essen zubereiten darf er auch. Sonst aber ist ihm, so will es das Reglement, jede weitere Tätigkeit an Bord untersagt. Wer nun meint, der Medienmann sei wegen seines körperlich vergleichsweise wenig anstrengenden Jobs unbeliebt, irrt sich gewaltig. Er, korrekt «Media Crew Member» genannt, bringt seinen Kollegen auch mal einen warmen Kaffee, und er hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen der Mannschaft. Das macht ihn zu einem besonders wichtigen Mitglied der Crew.

Neuland für die Uhrenschmiede. IWC unterstützt seit Jahren verschiedene Projekte im Bereich Corporate Social Responsibility, darunter zum Beispiel die Stiftung Laureus für Kinder und Jugendliche. Mit dem Sponsoring im Segelsport betreten die Schaffhauser indes Neuland. Die Kombination von Teamarbeit, Natur und Technik passe zu IWC und mache das Projekt höchst spannend, sagt CEO Georges Kern. Und: «Mit dieser Partnerschaft haben zwei Organisationen zusammengefunden, die sich der Perfektion verschrieben haben und mit Leidenschaft ihre Ziele zu übertreffen suchen.» Auch Skipper Walker sieht logische Argumente für die Zusammenarbeit: «Was wir machen, hat immer mit Zeit zu tun.»

Der 41-jährige Brite ist ein ausgefuchster Profi im internationalen Segelzirkus. Und einer der erfolgreichsten überhaupt. Im Jahr 1996 holte er an den Olympischen Spielen in Atlanta seine erste Silbermedaille. Silber gab es für ihn auch vier Jahre später in Sydney. Ian Walker war zweimal Skipper am America’s Cup und coachte überdies die Seglerin Shirley Robertson, die 2004 olympisches Gold errang.

Neben solch erfahrenen Sportlern schreibt das Reglement des Volvo Ocean Race ausdrücklich zwei Crewmitglieder unter 30 Jahren vor. Auf der «Azzam», die für die Vereinigten Arabischen Emirate segelt, ist das zum Beispiel der 22-jährige Olympiasieger Adil Khalid. Mit ihm und dem 27-jährigen Butti Al Muhairi sind erstmals Athleten der Arabischen Emirate am Rennen dabei.

Gerne wird der America’s Cup, die älteste Segelregatta der Welt, mit einem Formel-1-Autorennen verglichen. Das Volvo Ocean Race entspreche eher einem gigantischen Rallye, sagen Connaisseurs – entsprechend brutal sei das Material den Naturgewalten ausgesetzt. Darum ist die «Azzam» vollständig aus Karbon gebaut, einem Werkstoff so hart wie Stahl und so leicht wie Holz. Für die Reling und andere Metallteile wurde ausschliesslich Titan gewählt, ein sehr hartes, korrosionsresistentes und vor allem ultraleichtes Material.

49 000 Arbeitsstunden wurden allein für die Konstruktion des Boots verwendet, das allerlei aufwendige Features bietet. Der Kiel mit der sieben Tonnen schweren Bombe kann zum Beispiel seitlich geschwenkt werden. Wenn das hart am Wind segelnde Schiff schräg im Wasser liegt, wird der Kiel gegengleich geschwenkt, was die Hebelwirkung und mithin den Effekt des Kiels vergrössert. Vereinfacht gesagt: Man erreicht mit weniger Gewicht die gleiche Wirkung. Zur Stabilisierung der Yacht fährt dann übrigens ein einziehbares Schwert aus.

Nie zuvor konnte aufs Deck geschwapptes Wasser so rasch abfliessen wie bei der «Azzam». Das hilft erstens der Mannschaft und spart zweitens Gewicht. Kein Wunder, ist die 14 Tonnen leichte Rennyacht pfeilschnell: Die von Farr Yacht Design in den Vereinigten Staaten entworfene und von Persico SpA in Italien gebaute «Azzam» erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 39 Knoten oder 72 Kilometern pro Stunde, das ist im Wasser schlicht atemberaubend.

Wie auf der Galeere. Was das konkret heisst, kann man als Anfänger an Bord der «Rothmans» erahnen. Dieses einst ebenfalls speziell für das Volvo Ocean Race gebaute Schiff war 1998 technisch so revolutionär wie derzeit die «Azzam». Heute ist es also zwar technisch nicht mehr ganz Avantgarde, doch es ist nach wie vor rasend schnell: Kaum sind die Segel gehisst, gibt es einen gewaltigen Ruck, und das Schiff geht ab wie ein Flugzeug beim Start.

Ein paar Dinge lernt auf dem Schiff auch der Anfänger rasch. Erstens: Man muss arbeiten wie auf einer Galeere. Kurbeln an der sogenannten Winch zum Hissen der Segel ist schweisstreibende Schwerarbeit – und Kurbeln muss man ständig. Zweitens: Disziplin ist oberstes Gebot. Der Skipper gibt die Befehle, die Mannschaft führt aus. Sagt der Skipper Stopp, meint er Stopp – sofort. Drittens: Warum man mit Vorteil die wasserdichten Seglerhosen trägt, wird bei der ersten über Bord schwappenden Welle klar. Sie kommt unweigerlich und unangemeldet über das Deck.

Doch mit den harten Entbehrungen auf der grossen Reise hat ein kurzer Ausflug mit dem 20-jährigen Rennboot natürlich nichts gemein: Im Vier-Stunden-Rhythmus wechselt sich die Mannschaft ab, wenn nicht gerade der Befehl «All hands on deck!» erschallt und alle Mann gefragt sind. 15 Meter hohe Wellen in eiskalten Stürmen müssen ebenso bewältigt werden wie nervenaufreibende Windflauten unter brennender Sonne.

Trophäe für den Rekord. Von minus 15 Grad im Südpolarmeer bis plus 45 Grad am Äquator gehen die Temperaturen, in den Kojen wird es mitunter entsprechend heiss, der Lärm ist infernalisch, das Raumangebot minimal. Beliebt sind die oberen Plätze der zweistöckigen Kojen, denn bei tropischen Temperaturen tropft schon mal Schweiss vom oberen Schläfer aufs untere Bett.

IWC verleiht an der Regatta mit der IWC 24-Hour Speed Record Challenge eine Trophäe für das Team, das innerhalb einer Etappe jeweils die grösste Distanz während 24 Stunden zurücklegt. Am Ende des Rennens gibt es dann einen Spezialpreis für den Rekord der Rekorde: eine Portugieser Yacht Club Chronograph Volvo Ocean Race 2011–2012 für jedes Crewmitglied (mehr zur «Rennuhr» unter 'Nebenartikel'). Im vergangenen Jahr lag der Rekord bei 1105 Kilometern in 24 Stunden.

Ian Walker, der Skipper der «Azzam», weiss übrigens schon heute ganz genau, was er sich nach der Regatta schwören wird: «Nie wieder!» Das war schon letztes Mal so. Nie wieder, schwor er sich, werde er an so einem verrückten Rennen teilnehmen, eiskalten Stürmen trotzen müssen, kaum schlafen, sengende Sonne ertragen und null Privatsphäre haben: «Nie wieder!»

Na ja, sagt der Brite dann, und ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit, irgendwie setze dann mit den Wochen eine Art Gedächtnisschwund ein. «Und plötzlich willst du es doch wieder wissen.»