Der Nasdaq habe gerade zum 18. Mal seit dem Beginn der Corona-Krise ein Allzeithoch erreicht, auch die anderen Indizes seien nicht mehr weit von ihren alten Rekorden entfernt, freute sich US-Präsident Donald Trump diese Woche in einer Pressekonferenz.
Vor zwanzig Jahren, im Jahr 2000, ging eine ebenso spektakuläre Aktienrally zu Ende, als die Dotcom-Blase platzte. Was war passiert? Eine Tragödie – oder Komödie (?) – in drei Akten.
In den 1990er Jahren wurden der Computer und das Internet immer breiter genutzt, und damit nahm das Informationszeitalter seinen Anfang. Die digitale Revolution ging einher mit der Gründung zahlreicher Firmen.
Die Erwartungen an die neue Wirtschaft des nahenden 21. Jahrhunderts waren gewaltig – Startups im Internetbereich wurden riesige zukünftige Gewinne vorhergesagt, egal wie schwammig die Geschäftsidee, egal wie unrealistisch der Businessplan erschien.
Zugleich lagen die Leitzinsen der US-Notenbank Fed mit durchschnittlich etwa 5 Prozent tiefer als noch in den 1980er Jahren, als sie zeitweise über 20 Prozent erreicht hatten. Billiges Geld war damit zur Genüge vorhanden.
Dazu kamen noch weitere Gründe, weshalb neue Anleger an die Börsen drängten: So senkten die USA 1997 die Kapitalgewinnsteuer. Und in Deutschland sorgte der Börsengang der Deutschen Telekom im Jahr 1996 für eine Popularisierung der Aktie als Anlage. Die Titel waren damals in einer grossen Werbekampagne als erste «Volksaktie» angepriesen worden.
Gegen Ende der 1990er Jahre fielen bei zahlreichen Anlegern alle Hemmungen. Manche Investoren waren bereit, jeden Dotcom-Titel zu jedem beliebigen Preis zu kaufen. Simple Merkmale wie ein «.com» im Namen spielten eine grössere Rolle als Bewertungen oder Geschäftsberichte.
Ein bekanntes Beispiel war Pets.com. Das Unternehmen wurde 1998 gegründet und wollte Haustierbedarf übers Internet verkaufen. Finanziert wurde Pets.com unter anderem durch Amazon.com – und im ersten vollen Geschäftsjahr 1999 standen Werbeausgaben von rund 12 Millionen Dollar Einnahmen von nur gut 600'000 Dollar gegenüber.
Trotzdem warb der Online-Händler am Super Bowl 2000 und wagte im Februar des selben Jahres den Börsengang, wobei über 82 Millionen Dollar hereinkamen. Das Geld verwendete die Firma unter anderem dazu, den grössten Konkurrenten Petstore.com zu kaufen und um Waren weit unter dem Einkaufspreis anzubieten, womit die Verkäufe angekurbelt werden sollten. Das gelang. Aber Pets.com musste am 7. November 2000 in den Konkurs gehen.
Ein noch extremerer Fall war theGlobe.com. Das soziale Netzwerk ging 1998 an die Börse und schloss am ersten Handelstag 606 Prozent über dem Ausgangspreis – das bis dahin beste IPO der Geschichte. Ohne jede Basis und nur aufgrund der Hoffnung auf künftige Werbeeinnahmen erreichte die Firma eine Marktkapitalisierung von Hunderten Millionen Dollar. Doch wie wenig Substanz hinter theGlobe.com steckte, zeigte sich im Jahr 2000, als die Aktie von einst 97 Dollar auf weniger als 10 Cents fiel.
Auch die Titel der Deutschen Telekom stiegen bis im März 2000 von 14,57 Euro auf einen Höchststand von 103,50. Fast zwei Millionen Kleinanleger hatten auf das Papier gesetzt, als der Crash kam. Heute, zwanzig Jahre später, dümpeln die Titel wieder im Bereich des Ausgangspreises von rund 15 Euro.
Die zentrale Eigenschaft der Dotcom-Blase war nicht nur die Superbewertung von Zukunftsfirmen im Verhältnis zur alten Realwirtschaft, sondern insbesondere die Abkopplung der Börsenbewertung von den Firmengewinnen. Im wichtigsten Technologie-Index Nasdaq stieg das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf 200; das war mehr als doppelt so hoch wie im Nikkei 225, als 1991 die japanische «Bubble Economy» platzte.
Zinserhöhungen scheinen auf Jahre hinaus undenkbar. Weltweit drohen japanische Zustände. Doch was heisst das? Mehr hier.
Im spektakulären Blasenjahr 1999 legte der Mobilfunk-Anbieter Qualcomm um 2619 Prozent zu. Zwölf weitere Nasdaq-Titel gewannen über 1000 Prozent und nochmals sieben mindestens 900 Prozent. Der Nasdaq selbst stieg um 85,6 Prozent – eine Performance, die zuvor noch nie ein wichtiger Index in der Geschichte der US-Börse erreicht hatte.
Doch die Entwicklung war sehr uneinheitlich: «Wenn sie heiss waren, waren sie sehr, sehr heiss. Aber wenn sie es nicht waren, waren sie Verlierer», so die «New York Times» in ihrem damaligen Rückblick auf das Börsenjahr. Denn während der breite S&P 500 immerhin 19,5 Prozent zulegte, verlor die Mehrheit der einzelnen Titel an Wert. Investoren zogen ihr Geld ab, um es in Tech-Aktien zu stecken.
Seit der Corona-Krise finden amerikanische Tech-Titel erneut reissenden Absatz bei den Investoren. Der Nasdaq hat den Absturz vom Februar und März wieder wettgemacht und ist auf Rekordjagd, während die anderen Börsen noch immer zurückliegen. Hintergrund ist die Hoffnung auf einen Digitalisierungsschub durch die Pandemie.
Dabei gibt es Parallelen zur Dotcom-Blase: Der E-Auto-Hersteller Tesla, der im letzten Jahr nicht einmal 400'000 Autos auslieferte, überrundete nach dem Börsenwert Toyota mit über zehn Millionen verkauften Autos. Tesla wird an den Finanzmärkten momentan höher bewertet als Europas Traditionshäuser VW, Daimler, BMW, Fiat Chrysler, Peugeot und Renault zusammen.
Die Titel der Nikola Motor Company verdreifachten sich innert weniger Wochen beinahe; das Unternehmen wird mittlerweile mit 24 Milliarden Dollar bewertet, ähnlich hoch wie Ford. Und dies, obwohl die Firma noch kein einziges Fahrzeug verkauft hat.
Manchmal genügt – ähnlich wie zu Dotcom-Zeiten – sogar eine Namensähnlichkeit für den Erfolg an der Börse. Die Wirtschaftsagentur «Bloomberg» berichtete, dass die wenig bekannte britische Biotech-Firma Tiziana Life Sciences ihren Kurs in diesem Jahr verdreifachte. Der Verdacht: Händler verwechselten Tizianas Börsenabkürzung TLSA mit derjenigen von Tesla (TSLA).
Nachdem das gefürchtete Jahr-2000-Problem ausblieb, kündigte die Fed im Februar 2000 an, die Zinsen zu erhöhen. Dies sorgte für Volatilität an den Märkten, die Zweifel an der Nachhaltigkeit der Tech-Investitionen wuchsen. Mehrere Artikel in Wirtschaftspublikationen warnten davor, dass Internet-Firmen das Geld ausgehe.
Firmen wie Pets.com und theGlobe.com schrieben nicht nur Verluste, sondern ihr Börsenwert stand in keinem Vergleich zu den vorhandenen Sachwerten und die im Wachstum zusammengekauften Firmen waren ebenfalls nicht profitabel. Weil viele Dotcom-Firmen ihre Güter quasi verschenkten, um erst einmal Marktanteile zu gewinnen, schien zudem eine Wende bei den Unternehmensgewinnen weit entfernt.
5'000'000'000'000 Dollar weg
Konkurse wie derjenige von Pets.com trugen weiter zum Sinneswandel der professionellen Investoren bei. Deren Verkäufe lösten Panik bei den unerfahrenen Kleinanlegern aus, die ihre Verluste mit teilweise überstürzten Verkäufen eingrenzen wollten. All dies führte zu einem langanhaltenden Crash. Vom Höhepunkt von 5048 Punkten am 10. März 2000 fiel der Nasdaq bis 1114 Punkte am 9. Oktober 2002. Der Crash löschte eine Marktkapitalisierung von 5 Billionen Dollar aus.
Die Folge waren unter anderem Zinssenkungen, die dann wiederum massgeblich zur Immobilienblase in den USA beitrugen, welche die Weltwirtschaftskrise ab 2007 auslösen sollten.
Doch mit Amazon.com und Google erreichten zwei Überlebende der Dotcom-Blase in ihren Domänen eine marktbeherrschende Stellung. Und sie schreiben heute riesige Gewinne. Sie gehören – wie auch die älteren Tech-Konzerne Microsoft und Apple – zu den Firmen mit dem grössten Börsenwert.
Die Verheissungen der digitalen Revolution gingen damit tatsächlich in Erfüllung, wenn auch nur für eine sehr kleine Zahl von Firmen und Investoren.
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