Mit 57 Kilometern Länge wird der Gotthard-Basistunnel vorübergehend der längste Eisenbahntunnel der Welt. Sein Bau war ein Meisterwerk der Präzision. Ein Beispiel? Beim Durchstich am 15. Oktober 2010 betrug die vertikale Abweichung einen Zentimeter, die horizontale acht Zentimeter.
«Selbst Tunnelbauer erlauben sich nur 0,00014 Prozent Abweichung», heisst es auf der Webseite gottardo2016.ch. Und auch mit anderen Zahlen kann das Jahrhundertbauwerk beeindrucken: Die Felsüberdeckung, das heisst die Höhe des Felsens über den Tunnelröhren, ist von sechs bis zu 2300 Metern dick. Damit ist der Tunnel derzeit nicht nur der längste, sondern auch der tiefste der Welt.
Insgesamt schufteten ab 1999 bis zu 2400 Arbeiterinnen und Arbeiter bei Temperaturen von bis zu 50 Grad im Berg. Neun Menschen verloren bei den Bauarbeiten ihr Leben. Die Tunnelbohrmaschine mass 410 Meter, war also so lang wie vier aneinandergereihte Fussballfelder. Die «fahrende Fabrik» transportierte alles Notwendige - von der Versorgung des Tunnelbohrers bis hin zum Abtransport des Materials.
Zug von 7200 Kilometern Länge
Insgesamt wurden 28,2 Millionen Tonnen Material aus dem Berg gebrochen. Das entspricht rund 560'000 Eisenbahnwagen Ausbruchmaterial oder einem Zug von rund 7200 Kilometern Länge. Das entspräche etwa der Strecke von der Schweiz bis durch die Mongolei.
Die Vorgabe war eine maximale Wiederverwertung des Materials im Projekt selbst. So kam ein grosser Teil des Gesteinsausbruchs in Form von Beton wieder in den Berg hinein. Die Aufbereitung war aber keine einfache Aufgabe, denn wegen der langen Transportwege musste der Beton bis zu sieben Stunden lang flüssig bleiben.
Kleines Insel-Archipel
Mit 3,3 Millionen Tonnen des Gesteins wurde auch Neuland geschaffen: Im Urnersee entstand mit dem Material ein kleines Insel-Archipel. Es besteht aus drei Naturschutz- und drei Badeinseln namens Lorelei. Die Schütttätigkeit dauerte insgesamt fünf Jahre. Auch für die Hülle des Besucherzentrums in Bodio-Pollegio TI wurde Ausbruchmaterial verwendet.
Das Tunnelsystem mit Verbindungs- und Zugangsschächten misst 152 Kilometer. Insgesamt wurden darin 2600 Kilometer Lichtwellenreiter installiert, damit im Tunnel nicht Dunkelheit herrscht. 2600 Kilometer entspricht etwa der Distanz von Zürich nach Reykjavik.
Erste Flachbahn durch die Alpen
Auf der Gotthard-Bergstrecke beträgt die Steigung bis zu 26 Promille. Mit dem Basistunnel wird die Steigung zwischen Altdorf und Lugano auf 12,5 Promille reduziert. Damit gilt die Strecke als erste Flachbahn durch die Schweizer Alpen und der Güterverkehr kann auf Schiebeloks verzichten und längere und mehr Züge einsetzen. Der Lötschberg-Basistunnel erfüllt die Anforderungen an eine Flachbahn ganz knapp nicht.
Die Vision der flachen Alpenquerung ist aber schon fast 70 Jahre alt: Der Basler Ingenieur und Verkehrsplaner Carl Eduard Grune skizzierte die Idee eines Gotthard-Basistunnels als Teil eines Schnellbahnsystems schon 1947, also vor 69 Jahren.
Fahrzeit von 17 Minuten
Die Fahrt durch den Basistunnel dauert künftig im Personenzug rund 17 Minuten, wenn er mit den erlaubten 200 km/h fährt. Zum Vergleich: Die Durchfahrt des 34,5 Kilometer langen Lötschberg-Basistunnels dauert rund elf Minuten - auch bei 200 km/h.
Die Strecke von Altdorf im Kanton Uri nach Bellinzona im Tessin verkürzt sich um total 30 Kilometer. Bis im Jahr 2020 soll die Bahnreise von Zürich nach Lugano 45 Minuten kürzer werden. Doch bis dahin dauert diese Reise nur 25 Minuten weniger lang als heute. Gute Aussichten gibt es auch für Mailand-Fans: Dank der neuen Zufahrtsstrecken wird die Reise ab Zürich in die Metropole unter drei Stunden dauern.
Wettkampf der Superlative
Doch die Superlative sind immer auch relativ. Sucht man auf Wikipedia nach der Liste der längsten Eisenbahntunnel der Welt, so führen die Chinesen die Rangliste an mit der U-Bahn-Linie in Guanzhou. Mit 60,4 Kilometern ist dies der längste Tunnel der Erde. Die U-Bahnlinie 10 in Peking misst 57,1 Kilometer.
Dann allerdings kommt bereits der Gotthard-Basistunnel an dritter Stelle mit seinen 57,091 Kilometern. Er löst den bisherigen Rekordhalter, den Seikan-Tunnel in Japan, der 53,9 Kilometer lang ist, als längsten Eisenbahntunnel der Welt ab.
Konkurrenz durch den Brenner-Basistunnel
Doch schon bald erwächst dem Gotthard-Basistunnel Konkurrenz durch den Brenner-Basistunnel, der von Österreich und Italien gebaut wird und unter dem Brennerpass durchführt. Er wird 55 Kilometer lang werden.
Doch auch dieser wartet mit einem Superlativ auf: Zusammen mit der bereits bestehenden Umfahrung Innsbruck erreicht der Brenner Basistunnel eine Länge von 64 Kilometern. Das ist dann gemäss Wikipedia "die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt".