Sins im Aargau, Affoltern am Albis oder Erstfeld gelten nicht als Perlen des Ferienlands Schweiz. Auch viele Schweizer haben diese Orte noch nie besucht. Und doch haben es die drei unscheinbaren Städtchen auf die touristische Landkarte der Schweiz geschafft: Die Zahl der chinesischen Gäste ist in wenigen Jahren sprunghaft gestiegen.

Die Erklärung für diesen Boom in der Schweizer Peripherie ist einfach – und sehr aufschlussreich: Denn er sagt viel über einen Trend im Schweizer Tourismus aus. In allen drei Orten gibt es ein Hotel, welches sich in den letzten Jahren auf chinesische Gruppenreisende spezialisiert hat. Im «Holiday Inn Express» in Affoltern, im «Arcade» in Sins und im Erstfelder «Frohsinn» übernachteten letztes Jahr Tausende von Chinesen.

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Ein sehr kurzer Zwischenhalt

Alle drei Orte sind nahe von Luzern und Zürich gelegen, neben den Betrieben hat es Carparkplätze: Die chinesischen Gäste kommen meistens am Abend an, strömen ins Hotel und verlassen es am nächsten Morgen wieder. «In weniger als einer halben Stunde sind sie am Löwendenkmal in Luzern», erzählt der Erstfelder Gemeindeschreiber Markus Herger. Die Hotels sind bei den Tourveranstaltern beliebt, weil sie günstiger sind als die Betriebe in der Stadt, und weil sie dort ihre Cars parkieren können.

Das lokale Gewerbe profitiert kaum von den vielen chinesischen Gästen. Die Touristen spazieren zwar herum, oder kaufen vielleicht Schokolade in einem Laden. «Sie sind an allem interessiert, und haben beispielsweise grosse Freude an einer frisch gemähten Wiese», heisst es auf der Gemeindeverwaltung von Sins. Doch teure Einkäufe oder Restaurantbesuche machen sie anderswo – nicht im Aargau oder Uri.

Touristen mit kleinem Budget

Das Beispiel Affoltern oder Sins zeigt auf, wieso der Schweizer Tourismus aus Sicht der Credit Suisse nicht auf asiatische Gruppenreisende setzen sollte. Sie geben in der Schweiz nur wenig aus – die über 330 Franken, für die chinesische Gäste hierzulande im Schnitt täglich konsumieren, stammen aus den Portemonnaies von Individualtouristen.

«Für die Schweiz kann dieser Gruppentourismus nicht die Zukunft sein», sagt CS-Experte Sascha Jucker. Kommt hinzu, dass die chinesischen Gruppen vor allem das Berner Oberland und die Zentralschweiz besuchen – Interlaken, das Jungfraujoch oder die Rigi etwa. Das Wallis, Graubünden oder das Tessin profitieren nicht. Und diese Konzentration auf wenige Orte hat Folgen: In Luzern klagen beispielsweise Bewohner über Reisecars, welche die Strassen blockieren. Es ist ein weiteres Problem des Massentourismus: Das exklusive Image des Reiselands Schweiz könnte darunter leiden.

Die Schweiz bleibt beliebter Zwischenstopp

Chinesische und andere asiatische Gäste werden auch künftig gerne in Gruppen die Schweiz besuchen. Immer mehr Asiaten können sich Ferien in Europa leisten, wenn auch nur mit einem kleinen Budget. Viele davon werden auf der Durchreise kurz in der Schweiz Halt machen. Aus Sicht der CS ist dieser Trend nicht nur negativ: «Der Gruppentourist von heute ist der Individualtourist von morgen», sagt CS-Experte Jucker. Vielleicht werden manche, die heute die Schweiz per Car durchqueren, später für einen längeren Aufenthalt zurückkehren.

Ob chinesische Touristen bei der zweiten Reise auf eigene Faust wieder in Sins oder Affoltern nächtigen, ist fraglich. Schliesslich können diese Orte keine international bekannten Sehenswürdigkeiten bieten. Dem einen oder anderen Gast wird der Besuch dennoch in Erinnerung bleiben – darauf lässt zumindest eine Anekdote des Sinser Gemeindeschreibers schliessen.

Er erzählt, wie ein Bekannter von ihm in Chinas Hinterland unterwegs war. Dort erhielt der Mann Fotos gezeigt, welche jemand auf seiner Reise durch Europa gemacht hatte. Der Aargauer entdeckte im Album Bilder von der Rigi und von Luzern – und auf einem Foto war zu seiner Überraschung auch seine Wohngemeinde Sins zu sehen.