Labor-Day ist vorbei. Die heisse Phase im US-Wahlkampf läuft an. In zwei Monaten wird gewählt. Sowohl das Szenario einer USA unter der Demokratin Hillary Clinton als auch unter dem Republikaner Donald Trump ist möglich. Setzen die Kandidaten ihre Wahlversprechen wirklich um, hätte dies auch Auswirkungen auf die Schweiz. Clinton etwa will die Pharmabranche stärker regulieren, Trump die Banken. Zeit, zu eruieren, was das «Szenario Clinton» oder «Szenario Trump» für die Schweizer Wirtschaft bedeuten würde.
Herr Emmenegger, laut einer UBS-Studie würden Banken unter Trump profitieren. Was halten Sie von dieser Schlussfolgerung?
Patrick Emmenegger*: Wir wissen wenig darüber, welche Politik Donald Trump als Präsident tatsächlich verfolgen würde. Seine Aussagen sind oft widersprüchlich und ambivalent. Relativ konsistent ist jedoch sein Wille, Steuern zu senken. Angesichts der Finanzlage des amerikanischen Staats ist es zwar unglaubwürdig, dass er die Steuerbelastung um sehr viel würde senken können. Man könnte damit aber die Hoffnung verbinden, dass niedrigere Steuern Luft für private Investitionen geben und damit den Banken die Möglichkeiten bieten würden, ihr Geschäftsfeld auszuweiten. Das wäre natürlich auch gut für die Schweizer Banken, die in den USA breit vertreten sind.
Trump forderte zuletzt eine Zinserhöhung – nachdem er zuvor auch schon gesagt hatte, er sei eine «Tiefzins-Person». Dies könnte die Geschäfte der Banken durch höhere Margen und Kreditwachstum ankurbeln. Ist er ein Förderer des Bankenplatzes?
Trump hat sehr wenig Einfluss auf die Zinspolitik. Janet Yellen wird sich nicht in ihre Kompetenzen als Präsidentin der US-Notenbank reinreden lassen. Trump kann in der US-Geldpolitik also viel verlangen, durchsetzen aber kaum etwas. Vor allem nicht, wenn sich die Demokraten die Mehrheit im Senat zurückholen, wonach es derzeit aussieht. So hätte Trump, sollte er gewählt werden, nicht die Handlungsfähigkeit, die Kompetenzen der amerikanischen Zentralbank zu ändern.
Andererseits soll unter Trump der Glass-Steagall-Act wieder eingeführt werden. Das steht zumindest in der «Republican Platform 2016» vom Juli. Was hätte das für einen Einfluss auf die Banken?
Sollte ein solches Trennbankensystem eingeführt werden, würde dies den amerikanischen Bankenplatz komplett auf den Kopf stellen und in die 60er und 70er Jahre zurückversetzen. Dies würde viel Unsicherheit generieren. Die Reformen zum heutigen System haben den amerikanischen Bankenplatz zum grössten der Welt gemacht. Würde dies rückgängig gemacht, würde sich die Macht in der Finanzwelt in andere Teile der Welt verlagern. Etwas, was die Amerikaner nicht so leicht hinnehmen und die Akteure in der Finanzwelt mit allen Kräften bekämpfen würden. Die Umsetzung einer solchen Reform ist also unwahrscheinlich.
Wie würde es für die Banken unter Clinton aussehen?
Wie auch im republikanischen gibt es im demokratischen Lager grosse bankenkritische Gruppen. Clinton ist im Wahlkampf wegen des Drucks durch Kandidaten wie Bernie Sanders relativ stark nach links gerutscht. Wenn man ihre Aussagen wörtlich nimmt, würde dies für diverse regulatorische Eingriffe, zum Beispiel bezüglich der Reservehaltung, sprechen. Diese dürften den Banken nicht gefallen. Wie Clintons Politik dann tatsächlich ausgestaltet würde, ist aber noch unklar. Letztlich darf doch erwartet werden, dass sie die insgesamt wirtschaftsfreundliche Politik von Präsident Barack Obama fortführen würde. Das wäre vorteilhaft für die Schweizer Wirtschaft. Ich erwarte also, dass Clinton mit der Zeit politisch wieder mehr in die Mitte rutschen wird.
Clinton wird oft als Pharma-Schreck bezeichnet. Von ihrem Vorhaben, die Preise kappen zu wollen, weicht sie erstaunlich wenig ab. Wie stünde es unter ihr für die Schweizer Pharma?
Für den Pharmasektor gilt dasselbe wie für den Bankensektor: Er ist nicht besonders populär und man kann mit ihm gut Wahlkampf betreiben. Beide Sektoren sind aber sehr komplex und lassen sich nur schlecht regulieren. Sie sind ausserdem gut organisiert und haben viel Einfluss auf die Politik – gerade der Pharmasektor ist eng mit den Demokraten verbunden. Insofern erwarte ich nicht, dass es unter Clinton einschneidende Massnahmen geben würde. Auch Clinton wäre vom Kongress abhängig. Selbst wenn die Demokraten den Senat zurückholten, bliebe das Repräsentantenhaus mit grosser Wahrscheinlichkeit in republikanischer Hand. So bliebe das Parlament gespalten und es wäre schwierig, fundamentale Änderungen vorzunehmen. Das Klima zwischen den Parteien bleibt voraussichtlich vergiftet, parteiübergreifende Koalitionen sind unwahrscheinlich. Der politische Stillstand der letzten Jahre dürfte sich also sowohl unter Clinton, als auch unter Trump, fortsetzen.
Wie sieht es mit anderen Industriezweigen aus, die weniger im politischen Fokus stehen: Könnten etwa exportorientierte Schweizer Unternehmen unter den von Trump angekündigten Handelsbarrieren leiden?
Der Freihandel steht weltweit unter Druck. Nicht nur Trump, auch Clinton hat sich im Wahlkampf kritisch darüber geäussert. Das kann bedeuten, dass sich in den USA tatsächlich Mehrheiten finden könnten, um diesen einzuschränken. Oft wird dabei aber unterschätzt, wie sehr amerikanische Unternehmen von diesen Abkommen profitieren. Mächtige Interessengruppen stützen diese. Bestehende Abkommen werden deshalb vermutlich nicht fundamental in Frage gestellt. Schwieriger wird es jedoch in jedem Fall, die Freihandelsagenda weiter voranzutreiben und neue Abkommen zu schliessen.
Gibt es ein Szenario, in dem einer der Kandidaten handlungsfähig wäre, die Wirtschaft neu zu regulieren?
Sollte Trump gewinnen und die Republikaner die Mehrheit im Senat behalten, könnten die Republikaner bis zu den nächsten Parlamentswahlen grundlegende Veränderungen durchdrücken. Dieses Szenario ist aber eher unrealistisch. Ausserdem darf man nicht unterschätzen, wie zerrissen die Republikaner derzeit im Kern sind und wie viele Parteimitglieder Trumps Politik nicht mittragen.
Trotz wirtschaftsfeindlicher Äusserungen Trumps haben viele Schweizer Unternehmen für die Republikaner gespendet. Wieso?
In den USA gibt es eine starke Tradition, im Wahlkampf beiden Parteien Geld zu geben – auch wenn eine davon Politik macht, die den Interessen des Unternehmens entgegen läuft. Gibt sich eine Partei etwa bankenkritisch, wird sie dennoch Geld von Banken erhalten. Diese werden versuchen, sich gut mit der Partei zu stellen und den Zugang zur Politik zu bewahren. Diesen muss man sich im US-System erkaufen. Besonders Banken und Pharmaunternehmen werden darauf bedacht sein, Beiträge gleichmässig auszuzahlen. Es geht dabei nicht darum, spezifische Kandidaten zu stützen, sondern den Zugang zu allen Kandidaten zu wahren.
Die heisse Phase im Wahlkampf steht bevor und die Demokraten haben sich noch nicht weiter auf Trumps Steuererklärung und seine Geschäftstüchtigkeit eingeschossen. Behält Hillary diesen Angriff als Ass im Ärmel?
Das ist eine Möglichkeit. Wenn man einen guten Pfeil im Köcher hat, muss man überlegen, wann man diesen einsetzt. Die Demokraten haben viel Geld gesammelt und könnten eine konzentrierte Werbekampagne fahren. Denkbar ist aber auch, dass die Demokraten gar kein riesiges Interesse haben, auf Finanzangelegenheiten Trumps loszugehen – einem Bereich, in dem die Republikaner aggressiv zurückschiessen könnten. Im Clinton-Lager gibt es ebenfalls unbeantwortete Fragen was Spendengelder, Honorare oder die Finanzen in ihrer Clinton Foundation anbelangt. Clinton hat auf diesem Feld möglicherweise sogar mehr zu verlieren als Trump. Jedem Amerikaner ist bewusst, dass in seinem Firmenimperium einiges mit komischen Dingen zugeht.
Könnten Clintons E-Mails ihr im Umkehrschluss das Genick brechen?
Die Kampagne hält sich erstaunlich lange in den Medien – etwas wirklich problematisches ist dabei aber nicht rausgekommen. Auch hier stellt sich wohl eher die Frage nach der Transparenz der Clinton Foundation.
*Patrick Emmenegger ist Professor für Vergleichende Politische Ökonomie und Politikfeldanalyse an der Universität St. Gallen.