Der Mann, der alles weiss und fast alles kann, heisst Francesco. Jedenfalls, wenn es um feine Leisten aus Holz geht. Schuh- und Modeunternehmer aus aller Welt bauen auf seine Dienste, Jimmy Choo etwa, Fendi, Hugo Boss – oder auch der Zürcher Schuh-Entrepreneur Dominik Risch. Auf Risch werden wir noch zu reden kommen, einstweilen aber wollen wir neben Leistenbauer Francesco stehen bleiben.

Wir befinden uns in einer Leistenmanufaktur irgendwo in der Nähe von Florenz, präziser dürfen wir es nicht verraten. Eben hat der Mann ein rohes Scheit aus Buchenholz aus einem Metallkorb gefischt, in die Drechselmaschine eingespannt, hurtig ein paar Knöpfe gedrückt und das Programm gestartet. Das Scheit dreht sich rasant um die Längsachse, Fräsköpfe fahren hin und her und fressen sich kreischend ins Holz. Eine Viertelstunde später kommt eine Art Holzfuss im Massstab eins zu eins zum Vorschein, ein Schuhleisten, der für den Laien schon ziemlich perfekt aussieht. Für Francesco indes ist das maschinell gefertigte Stück nur die Basis für sein Kunsthandwerk, ein Rohling, den er gewissermassen zum hölzernen Fuss-Diamanten schleift.

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Kreatives Chaos herrscht auf der Werkbank des Leistenkünstlers, wild durcheinander sind Schuhleisten aller Art aufgetürmt, da liegt eine Feile, dort ein High-Heel-Absatz, hier ein Bleistift, da ein Schraubenzieher, daneben eine gefaxte Order. Francesco greift zur Feile, nimmt ein wenig Material vom Rist weg, betont die Spitze, und zuletzt gibt er hingebungsvoll mit einer scharfen Glasscherbe aus seinem kreativen Fundus den letzten Feinschliff.

Feinschliff auf Ansage

Doch Auftraggeber Dominik Risch, der danebensteht, schüttelt sanft den Kopf. Die Spitze dürfe ruhig «un po’ più importante» sein, wünscht er sich, die Spitze solle einen Hauch voluminöser sein. Francesco nickt stumm, greift zum Stucco in einer runden weissen Plastikdose – das ist eine Art schnell trocknende Spachtelmasse –, setzt die Masse an der Spitze an, feilt, kontrolliert, feilt nochmals, kontrolliert wieder, feilt und schabt. Endlich, nach einer Stunde etwa, ist das Werk vollbracht. «K4» schreibt er zufrieden mit Bleistift auf das Holz, K4 steht für den Zürcher Kreis 4, so wird der Leisten in Zukunft heissen. Und natürlich hat das einen tieferen Grund: Im Kreis 4 hat Risch eine traditionelle Schuhmacherei eröffnet.

5000 Kunden hat Risch heute in seiner Kartei, sie alle ordern bei ihm Schuhe, die je nach Modell mal Emil heissen, mal Albert, Ernesto, William, Louis, Jack, Linus oder auch anders. Risch bietet vor allem Klassiker fürs Business an – «immer mit einem modischen Twist», wie er sagt. Und genau diesen Twist sucht er jetzt beim K4-Leisten.

«Man kann sehr viel am Computer simulieren, am Ende aber musst du die Sache sehen», sagt Dominik Risch. Die Kunst beim Leistenbau sei es, eine schöne Linie zu finden, die dennoch hohen Komfort bietet. «Einen komfortablen Schuh bauen, der aussieht wie eine Kartoffel, kann jeder.»

Wachsendes Bewusstsein

Klassische Männerschuhe erleben seit ein paar Jahren einen Boom. Während früher selbst hochrangige Wirtschaftsführer mitunter zwar perfekte Anzüge trugen, gleichzeitig indes auf traurig ausgelatschten blassen Tretern standen, darf man heute ein wachsendes Bewusstsein für gutes Schuhwerk konstatieren. Mindestens durchgenäht sollte die Sohle sein, gerne auch rahmengenäht, wir kommen noch darauf zurück. Vor allem aber muss der Schuh sauber und gut gepflegt sein. Dann hält er auch lange: Ein Schuh, der nicht malträtiert wird, kann gut und gerne zehn Jahre alt werden. Man muss ihm höchstens dann und wann eine neue Sohle spendieren. Und die wichtigsten Pflegetipps der Profis befolgen.

Ganz am Anfang der Schuhmacherei steht die Gerberei. Dominik Risch besucht auch hier seine wichtigsten Lieferanten im Herzen der toskanischen Schuhindustrie immer wieder. Im Kühlraum der Fabrik, die sehr viel für den Schweizer produziert, sind Felle noch mit Haaren und Fleischresten aufgetürmt, es riecht streng, sehr streng. Doch hier lagert ein Vermögen. Später werden die Häute zunächst enthaart und dann in gigantischen drehenden Holzfässern mit Chrom und anderen Mineralzusätzen oder auch mit rein pflanzlichen Stoffen gegerbt.

Analogie zur Schweizer Uhrenindustrie

Im Raum, der die fertigen Ledermuster beherbergt, wird Risch die neuste Kreation gezeigt: ein Kalbsleder, das dank aufwendiger Verarbeitung aussieht wie veritables Cordovan, das luxuriöse, strapazierfähige und äusserst langlebige Pferdeleder. Doch Risch wird diese Kreation nicht bestellen. Wenn schon Cordovan, dann echtes Cordovan, so sein Credo. Ein blau gefärbtes Leder hingegen gefällt und kommt auf die Bestellliste des Unternehmers.

Die toskanische Schuhindustrie hat viel mit der alten Schweizer Uhrenindustrie gemeinsam, vor allem die Arbeitsteilung und die Spezialisierung der Betriebe. Es gibt Gerbereien, es gibt Sohlenproduzenten, es gibt Nähereien, Leistenbauer, Schnittmusterhersteller etc. Und es gibt Unternehmen, welche die Komponenten am Schluss zusammenbauen.

Wichtigste Schuhnationen

Nach wie vor behauptet sich das «made in Italy» vorab im Luxussegment auch gegen asiatische Produzenten. In Italien sind legendäre Marken wir Gucci, Santoni, Fratelli Rosetti und viele andere daheim, in der Toskana lassen aber auch Marken wie UGG, Paul Smith, Louis Vuitton, Tom Ford, Dolce & Gabbana oder Valentino produzieren. Vor allem wenn Qualität gewünscht ist – Billigeres kommt von asiatischen Förderbändern.

Wichtigste Schuhnationen für Qualitätsware sind neben Italien übrigens England mit Marken wie Church’s oder Cheaney und die USA mit Alden oder Bass. Marken, die von Schuhfreunden hoch geachtet werden, gibt es aber auch in Frankreich (etwa J.M. Weston), Österreich (Ludwig Reiter), Ungarn (Vass Shoes und Heinrich Dinkelacker) und – seltener – in Deutschland (Eduard Meier). Aber auch die Schweiz war im Spitzensegment einst ein stolzer Player, vor allem dank Bally in Schönenwerd SO.

Und das bringt uns nochmals zu Risch, der Ende der neunziger Jahre bei Bally tätig war, zuerst als Chefeinkäufer für die damals 50 Bally-Boutiquen in der Schweiz, dann als Leiter des internationalen Bally-Entwicklungsteams für Damenkollektionen in Florenz. Risch, Jahrgang 1968, geboren in dritter Generation einer Schuhmacher- und Schuhhändlerfamilie, darf mit Fug und Recht von sich behaupten, ein Top-Schuhkenner zu sein. Um das Metier wirklich von Grund auf zu beherrschen, entschied er sich nach Absolvierung der Handelsschule sogar dafür, eine klassische Schuhmacherlehre zu machen.

«Fuss-DNA» als Geschäftsidee

Von da an bis zu seiner Bally-Zeit ärgerte ihn immer wieder ein Problem, dessen Lösung er nun zu seiner Geschäftsidee gemacht hat: «die fehlende Passformkontinuität», wie er sagt. Mit anderen Worten: Wer bei einer Marke einmal einen passenden Schuh der Grösse 42 gekauft hat, kann sich nicht darauf verlassen, dass zwei Jahre später ein anderer Schuh derselben Grösse und von derselben Marke sicher passt. Schon gar nicht der Schuh der Grösse 42 einer anderen Marke. Als Folge kommt man um das Anprobieren eines neuen Schuhs nicht herum. Rischs Lösung heisst «Fuss-DNA» und baut auf Computerhilfe. 15 Jahre lang hat Risch an der Idee herumlaboriert, bis er sie endlich umsetzte.

So funktioniert es: Der Kunde bucht einen Termin im Zürcher Showroom oder sonst wo in der Schweiz, streift eine Hightech-Socke mit Gittermuster über den Fuss und stellt sich auf ein kleines rundes Podest. Langsam fahren zwei Kameras um den Fuss herum und halten jeden Quadratmillimeter fest. Das Podest registriert gleichzeitig Grösse und Druckstellen des Fusses akkurat. Am Ende resultiert ein dreidimensionales Abbild des Kundenfusses – und das wird mit einer Leistendatenbank verglichen: 50 verschiedene Passformen gibt es, und zwar für jede Konfektionsgrösse. Die Basis dafür waren 1000 Männerfüsse, die Risch als Grundlage einscannen liess.

Gelockerte Konventionen

Wer nicht ein ungewöhnliches anatomisches Problem hat, erhält ein Produkt, das zwar nicht Massschuh genannt werden darf, aber nicht weit davon entfernt ist. Und der Kunde kann fortan seine Schuhe über die Risch-Internetseite bestellen, drei Wochen später bringt sie der Pöstler. Egal was der Kunde bestellt, welches Modell, welche Machart, welche Farbe, passen sollte der Schuh fortan immer, auch ohne Anprobe. Übrigens: Wer einen Schuh zum Anzug sucht, liegt mit einem Oxford sicher richtig.

Doch allzu eng muss man es heute nicht mehr sehen. Dass braune Schuhe nur bis 18 Uhr getragen werden dürfen, ist ebenso passé wie die Behauptung, der Gürtel müsse zwingend in der Schuhfarbe gehalten sein. Wahr ist: Der Gürtel muss passen, aber ein grünblaues Stoffmodell zum Beispiel kann sehr gut zu braunen Loafers kombiniert werden.

Herrschende Konfusion

Ohnehin herrscht Konfusion, auch bei den Begriffen. Brogue, als Beispiel, ist nicht die Bezeichnung für eine bestimmte Form, sondern der Name für Schuhe mit Lochverzierung. Auch mit dem Wort «rahmengenäht» wird mitunter Schindluder getrieben. Rahmengenähte Schuhe haben zwischen Sohle und Brandsohle einen Rahmen. So entsteht ein Zwischenraum, der mit Kork und Naturkautschuk ausgeballt wird. Kork reagiert auf Druck und Wärme, und so nimmt die Innensohle langsam die Form des Fusses an – fast wie ein Gipsabdruck. Der Tragekomfort ist enorm hoch.

Es gibt aufwendig handgemachte rahmengenähte Schuhe und im sogenannten Goodyear-welted-Verfahren stark maschinell hergestellte. Durchgenähte Schuhe sind ähnlich gefertigt wie rahmengenähte, werden allerdings in nur einem Durchgang genäht, was etwas einfacher in der Produktion ist. Solche Schuhe sind flexibler beim Tragen, manchmal auch leichter. Sie sind auch immer eine gute Wahl.

Generell gilt: Ein No-Go sind nur qualitativ schlecht gemachte und ungepflegte Billigschuhe. Umgekehrt sehen gut unterhaltene Schuhe nicht nur gut aus – es ist auch ein Genuss, sie zu tragen.