Die Weinwelt ist sich einig. Grosse Weine zeigen ihr volles Potenzial, ihre spezifische Terroirprägung und ihren ganzen Facettenreichtum meist nicht schon in den Kinder- und Jugendjahren, sondern erst nach einer gewissen Reifezeit. Als Regel gilt, dass ein grosser, nobler Wein sich während mindestens zehn Jahren in positiver Richtung weiterentwickeln muss. Herausragende Gewächse, die dieses Kriterium erfüllen, gibt es grundsätzlich in allen Weinbaugebieten, wenn auch freilich nicht überall im gleichen Ausmass. Wie aber steht es diesbezüglich mit den Schweizer Weinen? Was hat es mit der nach wie vor weitverbreiteten Ansicht auf sich, dass helvetische Gewächse nicht oder nur schlecht zu altern vermögen? Ist die Schweiz tatsächlich in der Weinwelt ein negativer Sonderfall?

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Gewiss nicht – davon waren die Weinjournalisten Andreas Keller, Susanne Scholl, Stefan Keller und Martin Kilchmann überzeugt. Um den Beweis anzutreten, dass dem nicht so ist, gründeten sie vor zehn Jahren den Klub Mémoire des Vins Suisses (MDVS), der zwei Jahre später in einen Verein umgewandelt wurde. In einem ersten Schritt selektionierten die MDVS-Gründer 21 Weine von ebenso vielen Spitzenproduzenten aus der ganzen Schweiz. Die ausgewählten Weine gehören zu den verlässlichsten Werten ihres Typs und ihrer Region. Aufgrund früherer Degustationen traute man ihnen zu, dass sie ein Alterungspotenzial von mindestens zehn Jahren haben könnten. Da das MDVS ein Langzeitprojekt ist, werden seither von jedem Jahrgang 60 Flaschen in einem zentralen Keller eingelagert. So lässt sich der Alterungs- beziehungsweise Reifeprozess der selektionierten Weine über die Jahre hinweg in Vergleichsdegustationen verfolgen und dokumentieren.

Seit der Gründung hat das MDVS Jahr für Jahr Zuwachs erhalten. Zurzeit gehören 50 der besten Winzer aus allen Weinbauregionen des Landes dem exklusiven Klub an. «Wir wollen jetzt einen Zwischenhalt einlegen», kommentiert Andreas Keller und fügt an: «Das heisst freilich nicht, dass die Mémoire-Türen künftig verschlossen bleiben werden.» Das MDVS entwickle sich immer mehr in Richtung einer Akademie des Schweizer Weins. Deshalb wolle man in Zukunft den Verein auch für Weinjournalisten und -publizisten sowie der Branche nahe stehende Wissenschafter und Gastronomen öffnen.

Das macht Sinn, denn längst hat sich der Verein zu einem wichtigen und glaubwürdigen Sprachrohr für die Belange des helvetischen Qualitätsweinbaus entwickelt. Tatsächlich liest sich das Mitgliederverzeichnis des MDVS wie ein Who is Who des Olymps der Schweizer Top-Winzer. Ging es anfänglich vor allem darum, das unterschätzte Alterungspotenzial des Schweizer Weins aufzuzeigen, so kamen mit der Zeit neue Aufgaben hinzu. «Als praktisch einzige gesamtschweizerische Organisation, die Produzenten aus allen sechs Weinbaugebieten vereint, wagt sich das MDVS auch an Aufgaben, an denen die offizielle Weinbranche unseres Landes aufgrund ihrer kantonalen und regionalen Partikularinteressen zu scheitern droht», erläutert Andreas Keller. Mit anderen Worten hat sich das MDVS zu einer gesamtschweizerischen Organisation gemausert, die – ohne Bundesgelder zu beziehen – die Weinschweiz mit viel beachteten Auftritten im In- wie auch im Ausland repräsentiert.

So hat es sich eingebürgert, dass das MDVS einmal pro Jahr seine Schatzkammer öffnet. Bei diesem Anlass, der mit der jährlichen Generalversammlung des Vereins zusammenfällt und der an einem jeweils wechselnden Ort stattfindet, wird dem Fachpublikum die Möglichkeit geboten, ausgewählte Jahrgänge von teilweise längst ausverkauften Mémoire-Weinen zu verkosten und dabei das Entwicklungs- und Alterungspotenzial und damit die Nobilität der präsentierten Weine zu prüfen. Ein breiteres Publikum kann dagegen beim ebenfalls jährlich im Kongresshaus in Zürich durchgeführten Grossanlass «Mémoire & Friends» die aktuellen Jahrgänge verschiedener Weine der Mémoire-Mitglieder und befreundeter Top-Winzer aus der ganzen Schweiz degustieren. Dieses Jahr wird «Mémoire & Friends» am 27. August stattfinden.