Weinbau im Thurgau? Selbstverständlich – auch wenn der Kanton vorab als Obstbaugebiet bekannt ist, kann der Weinbau auf eine lange Geschichte zurückblicken. Wie anderswo waren es auch hier die Klöster, die seit dem 8. Jahrhundert in ihren Landwirtschaftsbetrieben Reben kultivierten und die geernteten Trauben zu Wein verarbeiteten. Um 1850 soll die Rebfläche im Thurgau noch mehr als 2000 Hektaren betragen haben, weshalb das Gebiet mit seinen sanften Hügelzügen als das «Chianti nördlich der Alpen» galt.

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Viele Flurnamen verweisen auf die einstige grosse Bedeutung des Weinbaus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgte dann der dramatische Niedergang. Jahre mit Hagel und nasskalter Witterung führten wiederholt zu Missernten. Die aus Übersee eingeschleppten Rebkrankheiten, die Ausbreitung der Reblaus und die zunehmenden Weinimporte als Folge des Ausbaus des europäischen Eisenbahnnetzes liessen den Rebbau zusammenbrechen.

Erst im Laufe des letzten Jahrhunderts konnte die Rebe im Thurgau – allerdings in viel bescheidenerem Rahmen – wieder Fuss fassen. Heute sind 272 Hektaren mit Reben bestockt. Das Hauptanbaugebiet ist das Thurtal mit rund 170 Hektaren und den wichtigsten Lagen Ottenberg und Iselisberg. Bei den Rebsorten dominieren klar der Blauburgunder mit 153 Hektaren und der Müller-Thurgau mit 61 Hektaren Anbaufläche. Eine gewisse Verbreitung gefunden haben auch die roten Varietäten Garanoir (Gamay × Reichensteiner) und Regent. Bei den weissen Sorten erweitern Pinot gris, Sauvignon blanc, Gewürztraminer, Pinot blanc und Chardonnay den Sortenspiegel. Der Elbling dagegen, diese einst im nördlichen Europa und auch im Thurgau weit verbreitete Sorte, wird kaum mehr angebaut.

Prägten einst die gekelterten Beerliweine – aus Maische erhitzten Blauburgundertrauben – und die nach durchgeführter malolaktischer Gärung eher säurearmen Riesling×Sylvaner das (nicht immer über alle Zweifel erhabene) Image der Thurgauer Weine, so hat sich inzwischen das Bild radikal gewandelt. Eine jüngere Generation von gut ausgebildeten, engagierten Winzern zeigt heute, wo es im Thurgauer Weinbau langgeht. Als Pionier fungierte während Jahren der jüngst verstorbene Hans Ulrich Kesselring vom Schlossgut Bachtobel in Weinfelden. Zum stattlichen Anwesen, das heute von Kesselrings Neffen Johannes Meier mit Umsicht geführt wird, gehören 6 Hektaren Rebland, auf denen mit fast vier Fünfteln der Blauburgunder dominiert.

Drei Varianten werden gekeltert: Die erste ist der fruchtbetont-süffige Klassiker des Hauses, teils im traditionellen Verfahren mit Maischeerwärmung, teils mit Maischegärung hergestellt. Die zweite und die dritte werden nach zehn Tagen Vorstandzeit in burgundischen Eichencuvées vergoren und nachher in 800-Liter-Eichenfässern respektive in Barriques ausgebaut. Zeigt der No. 2 fruchtige Vielschichtigkeit und burgundische Eleganz, so präsentiert sich der No. 3 stoffig-dicht und komplex (degustiert wurden die 2008er). Doch auch auf anderen Weingütern versteht man es, herausragende Pinot noirs zu keltern: Der «Schloss Weinfelden» 2008 des Weinguts Burkhart (Weinfelden), der «Ottenberger Alte Rebe» 2010 des Weinguts Broger (Ottoberg) und der «Sélection Alte Reben» 2010 des Weinguts Saxer (Nussbaumen) verbinden auf beeindruckende Weise Kraft und Tiefgang mit Eleganz und Saftigkeit.

Bei den Weissweinen steht klar der Riesling×Sylvaner im Zentrum. Um ihm Fruchtfrische und Spritzigkeit zu verleihen, verzichten die Winzer heute auf die Durchführung der malolaktischen Gärung. Diese bekömmlichen, süffigen Weine lassen sich ebenso zum Apéro wie auch als Essensbegleiter zu leichten Speisen servieren. Jeder Winzer, der etwas auf sich hält, füllt natürlich auch seine weissen Spezialitäten ab.

So zählt etwa der Sauvignon blanc des Weinguts Bachtobel mit seiner fruchtig-saftigen Eleganz wohl zu den besten Interpretationen, die von dieser aromatischen Sorte hierzulande gekeltert werden. Zu begeistern vermögen auch der gut strukturierte Weissherbst, den Michael Broger aus dem Saignée-Saft seiner Blauburgundertrauben keltert, und die vielschichtige, harmonisch ausbalancierte Cuvée «Schloss Weinfelden», die das Weingut Burkhart aus Chardonnay, Sauvignon blanc und Pinot blanc komponiert.