Es ist wie bei Asterix und Obelix: Die globale Textilwelt scheint besetzt. Nicht von Römern, sondern von Produzenten aus China, Indien oder Taiwan. Sie beherrschen die Weltproduktion an Stoffwebereien. Doch halt! In Helvetien, inmitten der Alpen, bieten ein paar standhafte Schweizer den Asiaten die Stirn. Beispielsweise die Seidenweberei Weisbrod in Hausen am Albis. Ein Name mit Tradition in der Zürcher Seidenindustrie, mit fast 200-jähriger Geschichte.

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Weisbrod liefert Feinwebstoffe an die grossen Adressen der Modewelt: Alles, was Rang und Namen hat, von Dior über Max Mara, Brioni, Escada, Akris, Strellson bis Hugo Boss, ordert beim Produzenten im Säuliamt. Der Familienbetrieb ist neben der Gessner AG in Wädenswil eine der zwei letzten Seidenwebereien der Schweiz und produziert Stoffe für Kleidung und für den Heimdekorbereich, also Vorhänge und Kissenstoffe.

Die Jacquardwebereien aus Seide, feinster Baumwolle, Wolle oder synthetischen Fasern sind bei den Kunden, den gehobenen Textilverarbeitern und Modeproduzenten aus ganz Europa, vor allem wegen ihrer speziellen Designs begehrt: «Hier», erklärt Weisbrod-Inhaber Ronald Weisbrod und macht dabei eine ausladende Handbewegung, «liegt neben der Qualität ganz klar unsere Kompetenz.»

Wenn der Firmenchef mit dem gewellten, eisgrauen Haar und dem offenen Lachen aus dem Fenster seines Büros schaut, sieht er auf verschneite Felder und historische Fachwerkgebäude. Dahinter liegen die Produktionshallen von Weisbrod, dort rattern tagtäglich 52 Jacquard- und Schaftwebstühle. Ronald Weisbrod ist der Ururenkel des Firmengründers Jakob Zürrer und hat den Familienbetrieb in das Zeitalter von Computer-Aided Design (CAD) geführt. Das heisst, dass bei Weisbrod die Muster am Bildschirm gestaltet werden und dann auf elektronisch gesteuerte Jacquardwebmaschinen übertragen werden. Der Patron ist ein Schöngeist und Ästhet, sein Herzblut gehört den Kreativen und hochwertigem Design für die Damenoberbekleidung, im Fachjargon DOB genannt. Unter seiner Ägide hat sich die Anzahl der Designer im Haus mehr als verdoppelt, momentan sind es zehn.

Die schillernden Stoffkreationen aus dem Säuliamt sind Basismaterial für die grossen Modemacher. Im vergangenen Jahr schickte Modezar John Galliano, seines Zeichens Chefdesigner bei Dior, seine Models in opulenten Stoffmixturen aus dem Hause Weisbrod auf die Laufstege. Und auch dieses Jahr gehören die Schweizer Kreativen wieder zu denjenigen, mit denen der Künstler für die Prêt-à-porter-Show in Paris arbeitet. Der italienische Designer Roberto Cavalli arbeitet vor allem mit farbenfreudigen Jacquardstoffen. Ebenso liebt der verspielte Modemacher bestickte, hochwertige Fantasiematerialien. «Wir haben den Ruf, auch die speziellsten Wünsche unserer Kunden bis ins letzte Detail umsetzen zu können», sagt Joachim Zahradnik, der die Abteilung Fashion beim Zürcher Unternehmen unter sich hat.

Trotz dem Erfolg blieben die Schweizer aber in den vergangenen zehn Jahren nicht von den branchenüblichen Problemen verschont: Günstige Webstoffe aus Asien liessen unter anderem das früher lukrative Geschäft mit unifarbenen Stoffen einbrechen. Die Kunden hielten ihrem Lieferanten zwar die Treue, bestellten aber nur noch kleine Mengen. Die Folge: Der Umsatz sank in den letzten Jahren markant. Weisbrod-Zürrer rutschte in die roten Zahlen.

Tempi passati. Seit vergangenem Jahr macht der Familienbetrieb wieder Gewinn. Die Aufbruchstimmung unter den 125 Mitarbeitern in der Weberei ist regelrecht greifbar. Der Grund: Seit Oliver Weisbrod und Ehefrau Sabine, der Sohn und die Schwiegertochter von Ronald Weisbrod, ins Business eingestiegen sind, weht durch den Familienbetrieb mit einem Umsatz von 27 Millionen Franken ein frischer Wind. «Wir sind derzeit in einer Turnaround-Phase», meint Oliver Weisbrod und zupft an seiner grün-weiss gestreiften Krawatte zum sonst schwarzen Outfit. Da ist es wieder, das offene Weisbrod-Lächeln. Der 30-Jährige mit den halblangen, schwarzen Haaren ist das mittlere Kind der Weisbrods und hatte «nie daran gedacht, je in die Firma einzutreten». Stattdessen studierte er Biologie an der Universität Zürich und schloss im Jahr 2000 in Anthropologie ab. Schon während des Studiums lernte er Sabine kennen, ebenfalls Biologin.

Wie aber wird aus einem Anthropologen ein Textilfabrikant? Im Jahr 2000 war es, als das Traditionsunternehmen sein 175-Jahr-Jubiläum feierte. Oliver und Sabine Weisbrod halfen bei den aufwändigen Vorbereitungen. Die beiden verfassten Pressetexte, bauten eine Website auf und kamen so mit dem Metier in Berührung und auf den Geschmack. Eine spezielle Erfahrung für den Sohn: «Ich lernte nicht nur die Arbeit meines Vaters, sondern auch ihn selbst ganz anders kennen.» Die Leidenschaft Ronald Weisbrods für das Textilhandwerk war ansteckend, der Funke sprang über. Und mit Oliver und Sabine Weisbrod trat damals die sechste Generation in das Unternehmen ein.

Auch für Ronald Weisbrod ein kleines Wunder. Er hatte bereits nicht mehr damit gerechnet, dass eines seiner drei Kinder die Firma einst weiterführen würde. Plötzlich hatte er gleich zwei Nachfolger auf einen Schlag. Auch wenn die Bedingungen des jungen Paares beim Unternehmenspatron zunächst auf Skepsis stiessen, denn Oliver und Sabine Weisbrod, die gerade ihr erstes Kind erwarteten, wollten sich den Managementjob teilen. Jeder von ihnen arbeitet 60 Prozent, zusammen stehen sie dem Unternehmen, zumindest offiziell, 120 Prozent zur Verfügung. «Meistens ist es natürlich mehr», sagt Sabine Weisbrod, «aber genau darin liegt ja auch unsere Stärke, zusammen können wir unsere Kapazitäten bei Bedarf erhöhen.»

Die Argumente der Youngsters überzeugten Vater Ronald mit der Zeit: Höhere Flexibilität und unterschiedliche Fähigkeiten, die zum Einsatz kommen können. «Wir wussten aus unserer Studienzeit und dem gemeinsamen Lernen, dass wir uns perfekt ergänzen», meint Oliver Weisbrod. Er ist der Kreative, der vor Ideen sprudelt, sie sorgt dafür, dass es nicht bei Kopfgeburten bleibt. Um für die Aufgaben eines Managers gewappnet zu sein, absolvierten die beiden ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft. Und da geteilte Führungspositionen so selten sind, nimmt das Paar an dem Pilotprojekt Top-Sharing des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau in Bern teil. Die Studie soll ein Leitfaden für jene Unternehmen werden, die ebenfalls Job-Sharing in leitenden Funktionen anbieten wollen.

Für Ronald Weisbrod braucht es längst keine wissenschaftliche Auswertung mehr, um zu wissen, dass Top-Sharing erfolgreich ist. Stolz schwingt mit, wenn er unumwunden zugibt, dass Schwiegertochter Sabine und Sohn Oliver ein Glücksfall für seine Firma sind, «das bringt uns sehr viele Vorteile». Nicht nur, weil er sich dem Familiengedanken verpflichtet fühlt, sondern weil die positiven Auswirkungen ganz offensichtlich sind. Eine reine Freude ist zum Beispiel die Entwicklung der Krawattenabteilung.

Um das Metier kennen zu lernen, arbeiteten die jungen Weisbrods erst einmal in jedem Bereich des Unternehmens. Später übernahmen Oliver und Sabine die Krawattenabteilung, ein Problemkind, das seit Jahren an Absatz verloren hatte. Das Ehepaar analysierte zunächst die Situation und konnte dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen neuen Plan gewinnen: Wir bringen unser eigenes Krawattenlabel Weisbrod heraus. Die Idee dahinter: Anstatt wie zuvor ausschliesslich fertig gewebte Seide an Kunden zu liefern, produzieren und designen die Weisbrods heute ihre eigenen Krawatten. Damit sie nicht in den Geschäften ihre eigenen Kunden konkurrenzieren, konnten die Krawatten aus dem Hause Weisbrod bislang nur im Internet bestellt werden.

Kaum lanciert, schlug das Projekt ein wie eine Bombe. Beinahe allen Medien, von der «Neuen Zürcher Zeitung» über die «Finanz und Wirtschaft», die «HandelsZeitung» bis zum «SonntagsBlick», war «der Krawatten-Glamour aus dem Säuliamt», wie etwa der «Tages-Anzeiger» titelte, einen Artikel wert. Damit hatten die Weisbrods nicht gerechnet. Oliver Weisbrod ist noch immer leicht ungläubig darüber, was in der letzten Zeit passiert ist: «Am Anfang waren wir vom Erfolg total überrumpelt.» Innerhalb von lediglich vier Monaten verkauften sich 2000 Krawatten, so viel, wie Oliver Weisbrod für ein ganzes Jahr budgetiert hatte.

Doch damit nicht genug, die Quereinsteiger haben ein scharfes Auge für das, was bislang fehlte: Innovationen, die Aufsehen erregen. «Dass unsere Kompetenz im Bereich Design liegt, erwartet man von uns», meint Oliver Weisbrod. Er hofft allerdings, in Zukunft seine Kunden mit ganz neuen Produkten überzeugen zu können. Zurzeit arbeitet vor allem Sabine Weisbrod zusammen mit der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt in St. Gallen an einem Mittel, das die Bildung von Öl- und Fettflecken auf den Krawatten verhindern soll. Eine Imprägnierung, die jedoch nicht spürbar sein soll. Die Naturwissenschaftlerin kann das Forschen nicht lassen, «das macht mir Spass».

Im Übrigen möchte Oliver in Zukunft nicht nur für die Krawatten zuständig, sondern nach und nach «in allen Abteilungen der Firma präsent sein». Allein schon deshalb, weil Ronald Weisbrod seinen Abgang für Ende 2006 geplant hat. Mit einem guten Gefühl, wie er unumwunden zugibt: «Ich sehe meiner Pensionierung gelassen entgegen.» Mit dem sicheren Wissen, dass sein Werk weitergeführt wird. Denn auch die jungen Weisbrods sind felsenfest davon überzeugt, dass «der Standort Schweiz wieder an Wert gewinnen wird». Und denken nicht daran, die Produktion ins Ausland zu verlegen.

Die Armada aus dem Fernen Osten mag ruhig weiter an die Pforten klopfen. In Hausen am Albis weiss man, dass Weisbrod Schönes für Menschen produziert, «die nicht nur an Labels, sondern auch an Qualität interessiert sind».