Am Anfang des Erfolges stand eine Frau: Eva Wellendorff, die Ehefrau des Pforzheimer Schmuckfabrikanten Hanspeter Wellendorff, wünschte sich einen ganz speziellen Schmuck. Ein Collier sollte es sein, und es müsse sich so sanft an die Haut anschmiegen wie einst die samtenen Vorhangkordeln im Hause ihrer Grossmutter. Hanspeter Wellendorff machte sich an die Arbeit, entwickelte, tüftelte, rechnete, und so entstand nach zwei Jahren Pröbelei 1977 die erste seidenweiche Goldkette aus feinstem Golddraht.
Heute ist der Schmuck eines der erfolgreichsten Produkte aus dem Hause Wellendorff. Der Grund dafür, glaubt man Claudia Wellendorff von der vierten Familiengeneration, ist ganz einfach: «Die Kordel ist die anschmiegsamste Kette der Welt.»
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Goldstadt Pforzheim
Gegründet wurde die Firma 1893 von Ernst Alexander Wellendorff. Er hatte in Pforzheim die Herzogliche Kunstgewerbeschule und Fachschule für die Metallindustrie besucht und mit Auszeichnung abgeschlossen. Kunden fand der junge Mann im nahe gelegenen Baden-Baden, wo die Aristokratie im Sommer gerne residierte. Aber auch im russischen Kaiserreich und in England schmückte man sich gerne mit Preziosen aus der Goldstadt Pforzheim.
Hier, direkt am Flüsschen Enz, wird der Schmuck nach wie vor produziert. Und nach wie vor ist Gold dabei die wichtigste Zutat. 50 Zentimeter lang ist der Goldstab, den ein Mitarbeiter mit 25 Jahren Berufserfahrung im Haus eben in der Hand hält, zwei Zentimeter beträgt der Durchmesser. Wer ein gutes Auge für Goldschmuck hat, erkennt die besondere Farbe des Materials: Wellendorff verwendet eine eigene Goldrezeptur, die Farbe ist einen Tick röter als normales Gelbgold.
Der Mitarbeiter nimmt den Stab und legt ihn in die Walzmaschine mit unterschiedlich grossen Walzzylindern ein. Langsam wird die Stange gewalzt, gedreht, nochmals gewalzt, zwischen zwei enger liegende Zylinder geklemmt, erneut gewalzt, gedreht und weiter gewalzt. Ab und zu muss das Edelmetall zum Zwischenglühen gebracht werden, sonst würde es brüchig, dann wird es weiter gewalzt und immer dünner. Am Ende ist der Stab zum Draht geworden, 0,9 Millimeter dick.
Solche Aktivitäten haben aus dem Flecken Pforzheim nordwestlich von Stuttgart die sogenannte Goldstadt gemacht, einen der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Schmuck aus Gold. Den Grundstein dafür legte vor exakt 250 Jahren der Markgraf Karl Friedrich von Baden. Und auch hier steht am Anfang eine Frau, Gemahlin Karoline Luise von Hessen-Darmstadt nämlich.
Machen statt Kaufen
Karoline Luise machte die Residenz ihres Mannes zu einem der kulturellen Zentren des Landes. Zu ihren Gästen gehörten Voltaire, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Gottlieb Klopstock und andere Grössen der Zeit. Die Gräfin hatte aber auch eine Schwäche für Schmuck, den ihr Ehemann jeweils aus Paris holen liess.
Dann kam ihm die Idee, statt des Schmucks einen Goldschmied nach Pforzheim zu holen. Netter Nebeneffekt: Fortan liess der Markgraf die Zöglinge des regionalen Waisenhauses, für das er ebenfalls zuständig war, in dieser Sparte ausbilden. So legte er den Grundstein für die später florierende Schmuck- und Uhrenindustrie. Heute ist neben Wellendorff unter anderem die erfolgreiche Manufaktur Chopard in Pforzheim tätig, aber auch Dior lässt Schmuck in der Goldstadt fertigen. Mit Folgen: Die Sparkasse Pforzheim etwa ist zum grössten Goldhändler Deutschlands gewachsen.
Zurück in die Manufaktur. Zu 0,9 Millimeter dünnem Draht hat der Mitarbeiter eben den einstzwei Zentimeter dicken Stab gewalzt, doch das ist für die Goldkordel längst nicht fein genug. Durch eine Apparatur mit Diamantsteinen – die Details sind Firmengeheimnis – wird der Draht nun noch gezogen. Am Schluss ist er noch 0,3 Millimeter dünn. Und aus dem 50 Zentimeter kurzen Goldstab sind 2,5 Kilometer Golddraht geworden.
Wickelmaschine heisst das Gerät, mit dem der Draht anschliessend zur Kordel gewickelt wird, doch das Wort Maschine ist für die kleine Apparatur ein bisschen übertrieben. Mit einer Handkurbel wird sie manuell angetrieben, um eine feine Spindel wickelt der Mitarbeiter den Draht. 160 Meter braucht es, um eine Kordel zu fertigen. 48 Arbeitsgänge sind bis zum Schluss nötig geworden.
Aus der Kordel wird dieses Jahr erstmals auch ein Jahrescollier in limitierter Auflage gefertigt. «Du. Ich. Wir» heisst es in der romantischen Werbesprache des Unternehmens, und es ist auf 124 Stück limitiert, 124 Jahre alt ist nämlich die Manufaktur dieses Jahr geworden. Vier Kordelstränge aus 18 Karat sind zu einem Y geformt, 124 Brillanten verzieren den Kordelstrang.
Brillant-W als Markenzeichen
Limitiert waren bisher nur die Ringe des Hauses, die, man ahnt es, bei ihrer Lancierung einmal mehr stark mit einer Frau zu tun hatten. Christoph Wellendorff, der mit Bruder Georg derzeit in vierter Generation die Geschäfte führt, wollte nämlich seiner künftigen Ehefrau zur Verlobung nicht einen gewöhnlichen Ring schenken, es sollte ein besonderer, farbiger Ring sein. Email drängte sich für das Vorhaben auf, doch das Material erwies sich als untauglich, weil zu spröde. Kaltemail hingegen funktionierte. Nach dem farbenfrohen Material war die spielerische Drehbarkeit der Ringe ein weiterer Meilenstein. Sie wurde 1997 eingeführt und ist sozusagen zum zweiten Markenzeichen der Manufaktur geworden.
Apropos Markenzeichen. 1960 machte der Sohn des Unternehmensgründers, Alexander Wellendorff, einen mutigen Schritt. Er ärgerte sich, dass der Schmuck aus seiner Manufaktur bei den Bijoutiers zum Teil neben minderwertiger Ware lag, und sann nach Remedur. Seine Lösung: Die Preziosen sollten künftig nicht mehr anonym sein, sondern klar als Wellendorff-Schmuck erkennbar gemacht werden – und zwar mit einem grossen Brillant-W als Markenzeichen. Das war in den sechziger Jahren ziemlich visionär; es gab zwar Cartier, Bulgari und Tiffany – doch die meisten Schmuckstücke waren ungebrandet. Die Juweliere reagierten übrigens nicht wirklich begeistert auf das Novum: 50 Prozent der Kunden stiegen aus.
Doch Alexander Wellendorff hatte Erfahrung mit Rückschlägen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war von seiner Manufaktur nichts mehr übrig, Pforzheim wurde massiv zerbombt. 1947 – der Patron stakste buchstäblich noch in den Fabriktrümmern herum – fiel ihm ein eleganter Herr im teuren Kamelhaarmantel auf, der eben aus einer Luxuslimousine gestiegen war. «Was kann ich für Sie tun?», fragte Wellendorff. «Die Frage wäre wohl eher», antwortete der Mann mit Schweizer Akzent, «was ich für Sie tun kann.»
Schmuck mit Seele
Und so kam es, dass ein ehemaliger Schweizer Kunde mit Bestellungen half, das Geschäft wieder anzukurbeln. Und dafür auch das nötige Gold lieferte.
Gold ist die Raison d’être bei Wellendorff geblieben, auch und gerade bei der famosenKordel. So, wie diese in der Manufaktur aus der Wickelmaschine kommt, wäre sie für den Schmuck noch nicht brauchbar – sie wäre nicht solid genug. Deshalb wird die Sache im Innern verstärkt. Wie genau das geht, ist Betriebsgeheimnis, nur eines wird verraten: Das Innenleben ist zu 100 Prozent aus Gold gefertigt. Und der Name ist sehr poetisch: Seele heisst die mysteriöse Sache, welche die Kordel ewig zusammenhält.
Die Seele des Unternehmens ist aus Fleisch und Blut. Nächstes Jahr feiert die Manufaktur ihr 125-Jahre-Jubiläum; es ist eine reine Familienangelegenheit geblieben – in vierter Generation: Georg Wellendorff kümmert sich um Produktion und Entwicklung, seine Frau Claudia ist für das Marketing verantwortlich. Bruder Christoph wacht über den Vertrieb und treibt die Expansion voran.
Den coolsten Job hat seine Ehefrau. Sie ist anderweitig berufstätig, amtet aber sozusagen als Beta-Testerin. Sie trägt den Schmuck und prüft ihn auf Herz und Nieren, bevor er kommerzialisiert wird. Egal ob in der Sauna oder im Garten – der Schmuck wird immer getragen, die Tests seien praxisnah und mitunter auch sehr rau. Das Urteil der Prüferin hat Gewicht und wird in der Produktion sehr ernst genommen.
Auf Frauen zu hören, man weiss es, hat sich für das Unternehmen Wellendorff schon mehrfach ausbezahlt.