Die Europäische Zentralbank (EZB) sucht einen neuen Vize-Präsidenten. Die heisse Phase beginnt dabei in dieser Woche - und die Personalie dürfte Konsequenzen haben bei der darauffolgenden Besetzung des Chefpostens. Denn 2019 wird das Ringen um die Nachfolge von Notenbank-Präsident Mario Draghi konkret werden - einer der wichtigsten Posten für Europas Wirtschaft.
Deutschland ist bei dieser Schlüsselposition bislang nie zum Zuge gekommen. Es wird erwartet, dass Europas grösste Volkswirtschaft dieses jetzt ändern will. Der Italiener Draghi, dessen ultra-lockere Geldpolitik mit Nullzinsen und billionenschweren Anleihenkäufen in Deutschland immer wieder heftig kritisiert wird, scheidet Ende Oktober 2019 aus dem Amt.
Doch zunächst werden die Euro-Finanzminister wohl diese Woche den Auswahlprozess für den EZB-Vizeposten lostreten. Der Portugiese Vitor Constancio wird Ende Mai nach acht Jahren Amtszeit die Notenbank verlassen. Eine Entscheidung über die Nachfolge könnte im Februar getroffen werden. Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos ist bislang der einzig öffentlich bekannte Kandidat.
Im Norden wird traditionell eine schärfere Geldpolitik befürwortet
Sollte der Vize-Posten an eines der südlichen Länder im Währungsraum gehen, werde die Chef-Personalie wahrscheinlich für einen Vertreter aus dem Norden reserviert sein, möglicherweise aus Deutschland, sagten Insider der Nachrichtenagentur Reuters zuletzt. Im Norden wird traditionell eine schärfere Geldpolitik befürwortet, die tendenziell die Währung stärker macht und die Verschuldung von Staaten erschwert.
Der Vorsitz der Eurogruppe war zuletzt bereits an den Portugiesen Mario Centeno gegangen. «Südeuropa hat die Präsidentschaft der Eurogruppe erhalten. Wenn sie auch Constancios Job bekommen, dann muss Draghis Position in den Norden gehen, um das regionale Gleichgewicht beizubehalten», sagte einer der Insider. «Dann ist es wahrscheinlich, dass es dann Frankreich und Deutschland sein werden, die das austragen werden.»
Ist Weidmann der richtige Mann?
Sollte das Pendel in Richtung Deutschland ausschlagen, erscheint Bundesbank-Präsident Jens Weidmann als der logische Kandidat. Er hielt sich zuletzt auf entsprechende Fragen stets bedeckt. Die Diskussion komme viel zu früh und solle nicht an Nationalitäten festgemacht werden.
Ob sich Weidmann im politischen Tauziehen in Europa durchsetzen lässt, ist völlig offen. Er ist EZB-intern einer der stärksten Kritiker von Draghi und hat sich immer wieder gegen Beschlüsse der Notenbank gestemmt, mit der die EZB die Konjunktur stützen und den Euro stabilisieren wollte. Weidmann warnt vor möglichen Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik, etwa Preisübertreibungen auf dem Aktien- oder Immobilienmarkt.
Viel wird davon abhängen, wie sich die nächste Bundesregierung in Europa positioniert. Deutschland möge zwar einen Anspruch auf den Draghi-Posten haben, so einer der Insider. Aber Weidmann stehe zu stark für eine straffe Ausrichtung. «Daher sagen manche Leute, ein Deutscher ja, aber nicht Weidmann», ergänzte ein Vertreter der Euro-Zone, der ebenfalls anonym bleiben wollte.
Francois Villeroy de Galhau ist eher unwahrscheinlich
Frankreichs Zentralbankchef Francois Villeroy de Galhau wird ebenfalls als potenzieller Kandidat für die Draghi-Nachfolge gehandelt. Er spricht fliessend Deutsch und könnte auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel akzeptabel sein. Doch Frankreich hat mit Jean-Claude Trichet bereits von 2003 bis 2011 einen EZB-Präsidenten gestellt. Allein schon deshalb dürfte es schwer werden, erneut einen Franzosen an die Spitze zu hieven.
Zudem könnte ein Faktor sein, dass Frauen in der Notenbank-Führung unterrepräsentiert sind. Aktuell sitzen nur zwei Frauen im 25-köpfigen EZB-Rat, der über die Zinspolitik entscheidet. Das sechsköpfige Direktorium weist mit der deutschen Sabine Lautenschläger, einer Spezialistin für Bankenregulierung, nur eine Frau auf.
Für mögliche Posten im Direktorium könnten die irische Notenbank-Vizegouverneurin Sharon Donnery, die italienische Ökonomin Lucrezia Reichlin oder auch die französische Politikerin Sylvie Goulard in Betracht kommen. Die nächste Neubesetzung nach der Bestellung des Vize-Präsidenten wird der einflussreiche Posten des Chefökonomen sein. Denn die achtjährige Amtszeit des Belgiers Peter Praet endet im Mai 2019. Den Insidern zufolge wären der irische Zentralbanker Philip Lane oder Estlands Notenbank-Gouverneur Ardo Hansson mögliche Kandidaten. Und neben Draghi muss 2019 auch ein Nachfolger für den französischen EZB-Direktor Benoit Coeure gefunden werden.
(reuters/ccr)