Von der grossen SBB bis zur kleinsten Privatbahn, von Postauto bis zum städtischen Verkehrsbetrieb: Im öffentlichen Verkehr der Schweiz fehlt es an Fahrpersonal. Im Wettstreit um Lokführer und ähnliche Berufsleute ziehen die Betriebe zunehmend härtere Bandagen an.
Wie heftig der Kampf ums Fahrpersonal tobt, beweist der zwischen den SBB und der Lötschbergbahn (BLS) im August geschlossene Vertrag über zwei Fernverkehrslinien. Die Zeitung «Der Bund» vom Montag legt offen, dass die beiden Bahnunternehmen de facto ein Abwerbeverbot für Lokführer auf den neu von der BLS betriebenen Linien Bern-Biel und Bern-Burgdorf-Olten unterschrieben haben.
Auch gibt es keine Kontaktaufnahme mit dem Personal des jeweils anderen Unternehmens ohne vorherige schriftliche Zustimmung, wie die SBB den Sachverhalt bestätigten.
Die BLS betreibt Bern-Biel seit dem letzten Fahrplanwechsel im Dezember 2019, die Linie Bern-Burgdorf-Olten übernimmt sie im Dezember 2020. Die zwei Fernverkehrs-Verträge kamen auf Druck von Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga zustande.
Für das Bundesamt für Verkehr als Aufsichtsorgan stellt der Lokführermangel an und für sich noch kein Problem dar. Wie Sprecher Michael Müller der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärte, tritt sein Amt auf den Plan, wenn ein Konzessionär seine Betriebspflicht nicht erfüllt, indem er etwa vereinbarte Linien oder Haltestellen nicht bedient. Am Ende kann ein Konzessionsentzug drohen. Das sei aber kompliziert, schränkte Müller ein.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Aus der Nähe mit dem Lokführermangel befasst ist Hubert Giger, Präsident beim Verband Schweizer Lokomotivführer und Anwärter (VSLF) und aktiver Lokomotivführer. Er erfährt das Problem täglich am eigenen Leib.
In seinen Augen müssen sich die Bahnbetreiber grundsätzliche Fragen zu den Anstellungsbedingungen für die Leute im Führerstand stellen. Im Prinzip verändere sich derzeit das Berufsbild von «Eisenbahner zum Angestellten». Nicht mehr die Loyalität zum Unternehmen stehe im Vordergrund, sondern die Frage nach Arbeitszeiten und Löhnen.
Die Arbeitszeiten hätten sich für die Lokführer mit den S-Bahnen und der Auftrennung von Güter- und Personenverkehr immer mehr in die Nachtstunden verlagert. Der Gütertransit erfolge nachts, die S-Bahnen hätten nach Mitternacht Betriebsschluss.
Hinzu kämen die Zusatzzüge für sommerliche Veranstaltungen. Die Digitalisierung der Dienstplanung erfordere im weiteren eine noch höhere Flexibilität der Eingesetzten. Kurz: Die Arbeit sei wenig familien- und freizeitfreundlich.
Langsamer Lohnanstieg
Auch der Lohn dürfte in Zukunft zum Thema werden, erklärte Giger. In Deutschland würden 60'000 Lokführer fehlen, und dort sei die Lohndiskussion in Gang gekommen. Das werde auch in der Schweiz der Fall sein. Die Unternehmen könnten aufgrund des europaweiten Mangels nicht weiter ins Ausland schielen.
Besonders quer in der Landschaft steht gemäss Giger der langsame Lohnanstieg in der Karriere eines Lokführers. Der Markt werde das aber richten - angesichts des Mangels einmal zugunsten der Arbeitnehmer.
Den etwa von SBB, BLS und Bernmobil propagierten Quereinstieg als Abhilfe sieht Giger durchaus als Chance. Lokführer sei ja bereits eine Zweitausbildung nach einem erlernten Erstberuf oder einer Matura. Und der Lehrgang dauere für alle Berufseinsteiger gleich lang.
SBB und BLS zahlen ihren Lokführern derzeit Sonderzulagen für Lokführer, die an einem freien Tag einspringen. Zudem führen sie zusätzliche Klassen für die Berufsausbildung. Die SBB wollten bereits Bahnverbindungen durch Buslinien ersetzen.
(sda/tdr)