Die Diskussion über die Umweltzerstörung hat die anderen Themen im Ranking der politischen Agenda spätestens seit den Klimastreiks überholt. Für Parteien gibt es in einem Wahljahr zwei Möglichkeiten, mit solch akut-aktuellen Themen umzugehen. Die SVP testet sie beide.
Themen wie die Klimadiskussion bekommen zeitweise massiv mehr Aufmerksamkeit als die Kernthemen der Parteien. Sie überlagern die Wirtschaft bei der FDP, die soziale Gerechtigkeit bei der SP, die Freiheit und die Sicherheit bei der SVP oder die Familie bei der CVP. Sie stellen bisherige Werteansichten von Wählerinnen und Wählern infrage und bringen Parteispitzen ins Rudern.
Die Frage ist jedoch: Wie lange bleiben solche Themen, welche im Zyklus der Themenkonjunktur gerade in der Boomphase sind? Vermögen sie die Politik nachhaltig zu verändern? Politikprofessor und -forscher Oliver Strijbis von der Universität Zürich sieht deren Wirkung beschränkt. Allerdings, so sagt Strijbis im Gespräch über Themenkonjunktur im Wahlkampf mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, stellen sie Parteien vor ein «strategisches Dilemma».
SVP probiert beide Varianten aus
«Parteien haben zwei Möglichkeiten, wie sie mit solchen Themen umgehen können», sagt Strijbis, der unter anderem im Schwerpunkt Wahlen und Abstimmungen forscht. «Die SVP probiert derzeit beide Varianten aus», ergänzt er - und nimmt sie sogleich als Beispiel.
Im einen Fall erkenne die Partei, dass sie keinen Einfluss auf das Thema habe. Dann nehme sie es auf und positioniere sich, wie dies Nationalrat und «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel mache. Köppel bekämpft das Klima-Thema lautstark.
Im anderen Fall könne die Partei versuchen, das aufgepoppte Thema zu verdrängen, indem sie die Diskussion auf Dossiers lenke, in welchen sie sich kompetent fühle. Ein solches ist bei der SVP-Spitze das EU-Rahmenabkommen.
Es sei bemerkenswert, wie sehr die Partei dieses ständig thematisiere, sagt Strijbis. Dies geschehe so sehr, dass sie die in wenigen Wochen zur Abstimmung stehenden Vorlagen kaum beachte. «Das ist kein Zufall, sondern strategisches Kalkül.» Ob sich dies für die Partei auch wirklich auszahlen wird, sei noch nicht sicher.
Ökoparteien grasen SP Stimmen ab
Diese zweite Variante, eigene Themen auf die Agenda zu hieven, sei für die kleineren Parteien schwierig, ergänzt Strijbis. Denn das würden eigentlich nur die grossen Parteien SVP, SP, FDP und CVP vermögen.
Allerdings haben die Kleinparteien Glück mit der aktuellen Themenlage. Dies zeigten die kantonalen Wahlen Ende März respektive Anfang April in den Kantonen Zürich, Luzern und Basel-Landschaft: In allen drei Kantonen konnten Grüne und GLP zulegen. Einzig bei den Wahlen im Tessin gab es keine grüne Welle.
Des einen Freud bedeutet jedoch oft des andern Leid. In diesem Fall für die SP. «Die aktuelle Themenlage ist nicht in ihrem Sinne», so Strijbis. Er mutmasst, dass die Partei auch bei den nationalen Wahlen wegen des Klima-Themas Wähler an die Grünen verlieren könnte - und bei der Frage zum EU-Rahmenabkommen laufe sie Gefahr, die Arbeiterschaft und damit ihre Basis zu verlieren.
Fukushima brachte FDP zum Umdenken
Dass ein Thema boomt und damit den Wahlkampf aufwirbelt wie in diesem Jahr, ist kein Einzelfall: Im Wahljahr 2015 war es beispielsweise die Flüchtlingswelle. «Dass Deutschland im Sommer 2015 seine Flüchtlingspolitik geändert hatte und die Anzahl Flüchtlinge zunahm, hatte auch einen Einfluss auf die National- und Ständeratswahlen im Oktober in der Schweiz», sagt Strijbis.
Und im Wahljahr 2011 veranlasste die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die FDP zu einem Kurswechsel; sie setzte sich für eine «Versorgung ohne Kernenergie» ein. Vor dem Ereignis war der Ersatz der bestehenden Atomkraftwerke in der offiziellen Parteilinie noch unbestritten.
Bei den diesjährigen Wahlen stülpe sich das Klima-Thema etwa über die Flüchtlingsdiskussion, zudem sei die Anzahl Asylanträge gesunken. Je nach Entwicklung in Algerien oder Libyen könne sich das Blatt aber wieder wenden.
Klima-Thema bekommt Konkurrenz...
Wie Strijbis ist auch der Politologe Claude Longchamp nicht sicher, ob das Thema bis zu den Wahlen im Oktober durchhält. Während Strijbis glaubt, dass es schwierig werden könnte, weil eine Bewegung im Normalfall nicht über eine so lange Zeit mobilisieren kann, sieht Longchamp viel eher Konkurrenten für das Klima-Thema aufkommen.
Da seien zum Beispiel die Krankenkassenprämien, welche für die Bevölkerung das wichtigste Thema seien, sagte Longchamp der Keystone-SDA. Zudem wird die Europapolitik die Schweiz weiter beschäftigen.
Hinzu kommt die Gleichberechtigung der Geschlechter, welche in Zusammenhang mit dem Frauenstreik am 14. Juni in der öffentlichen Diskussion überhand nehmen dürfte.
...aber: «Das Thema verschwindet nicht»
Longchamp und Strijbis sind sich jedoch darin einig, dass sich die Parteien langfristig im Umweltthema positionieren müssen. Denn anders als SVP-Stratege Christoph Blocher glauben die Politologen nicht, dass das Thema verschwinden wird. Es sei dominant, und da stecke mehr dahinter, meinen die Politologen.
Unabhängig davon, wie die Parteien mit diesem Thema umgehen und wie sie sich positionieren, gibt es einen Faktor, der nicht zu unterschätzen ist: Wenn es im Sommer erneut sehr heiss und trocken wird, dürfte dies einen Einfluss auf die Wahlen im Herbst haben. Andernfalls könnte sich die Diskussion um das Klima abkühlen.
(sda/ccr)