BILANZ: Am EU-Gipfel haben sich 23 Staaten auf einen schärferen Haushaltspakt geeinigt. Ist das Europas Rettung?
Hans-Werner Sinn: Nein. Die Zeit, wo übermütige Kapitalgeber übermütigen Schuldnern zu viel Kredit gaben, ist lange vorbei. Die Kapitalmärke weigern sich heute, den Problemstaaten Geld zu geben. Da ist eine politische Beschränkung wirkungslos.

Wie bitte? Schuldenbremse und automatische Sanktionen klingen doch plausibel?
Schon, aber auf den Klang kommt es nicht an. In Wahrheit geht es bei den Beschlüssen darum, Eurobonds oder ähnliche Massnahmen zur Zinsangleichung vorzubereiten. Ich vermute, dass die vermeintlichen Schuldenschranken im Endeffekt nur ein Argument im Verhandlungsspiel sind, um Deutschland weich zu klopfen.

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Was sind die Schwachpunkte der Gipfelbeschlüsse?
Die Massnahmen sind kein Beitrag zur Lösung des Kernproblems, das darin besteht, dass die überschuldeten Länder viel zu teuer sind, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Eurostaaten bräuchten ein Realignment von Wechselkursen, können es aber im Euro nicht haben. Das ist das Kernproblem. Der Rest ist politische Semantik.

Wie soll das Realignment funktionieren?
Das geht nur, wenn man zulässt, dass die Kapitalmärkte gewissen Ländern nur noch ganz wenig Kredit geben und sie so in die Deflation drücken, während Deutschland weiterhin im Geld schwimmt und inflationiert. Leider wird es nicht einfach, denn die Deutschen wollen nicht inflationieren, und die anderen wollen nicht deflationieren. Man steckt in einer Zwickmühle.

Die zusätzlichen Kredite durch den IWF verschärfen also das Problem, statt es zu lösen?
Es ist das grundsätzliche Problem, dass derartige Hilfsmassnahmen den Zusammenbruch zwar verhindern, aber auch verhindern, dass es zum Realignment und damit zur Problemlösung kommt.

Kann ein harter Sparkurs funktionieren, um Europa aus der Krise zu führen, oder wird damit das Wachstum abgewürgt?
Wenn man die Aussenhandelsdefizite beseitigen will, kann es in den Problemstaaten auf absehbare Zeit kein Wachstum mehr geben. Wer über seine Verhältnisse lebte, kommt aus der Krise nur heraus, wenn er sich bescheidet.

Ist der Euro noch zu retten?
Ja, und es ist wichtig, ihn zu retten. Aber ich glaube nicht, dass alle Länder, die heute in der Krise sind, im Euro eine Zukunft haben.
 

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn (63) ist Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Direktor des Center for Economic Studies (CES) der Ludwig-Maximilians-Universität – beide in München. Er ist einer der pointiertesten Kritiker der Eurokrisen-Bewältigung durch die Politik.