Martin Schulz sucht die Konfrontation. Doch seine Gegnerin, so die Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten, weicht aus. Der SPD-Vorsitzende versucht, Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel mit Attacken aus der Reserve zu locken. Es sei «ein ausgewachsener Skandal, wenn die Bundeskanzlerin sich hinstellt und sagt, wir haben grosse Dinge mit Europa vor, aber was wir vorhaben, sagen wir erst nach der Wahl», ruft der 61-Jährige am Sonntag bei der Vorstellung seines Zukunftsplans für Deutschland.
Schulz macht damit sein Dilemma deutlich: Er will - auch mit Inhalten -polarisieren, um Wähler für die SPD zu mobilisieren. Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl sieht die Ausgangslage mit Umfragewerten von 22 bis 26 Prozent für die SPD nicht rosig aus.
Schulz will nah bei den Menschen sein
Auf 36 Seiten, farbig und mit Bildern versehen, hat Schulz zusammengefasst, was überwiegend bereits im Wahlprogramm steht und ein modernes Deutschland schaffen soll. Zuvor war er fünf Tage in Begleitung eines Medientrosses durch Deutschland gereist, hatte bei Terminen in Bayern und Nordrhein-Westfalen unterstrichen, dass er nah bei den Menschen sein will. Auch im Hamburger Schanzenviertel, das beim G20-Gipfel schwere Krawalle durchlitt, sagt er: «Ich bin hier, um ein bisschen Gefühl für das aufzunehmen, was hier läuft.»
Der SPD-Chef setzt darauf, dass er von den Wählern als derjenige wahrgenommen werde, der näher bei ihren Problemen ist. Dies wird in der SPD-Führung als eine Stärke empfunden, die sich in der heissen Phase des Wahlkampfes ab Mitte August erst richtig entfalten könnte.
Nach Lesart der SPD schwebt die Kanzlerin im Regierungsflieger buchstäblich über dem Lande. «Was gut funktioniert ist, das Hangeln von Gipfel zu Gipfel als Erfolg zu verkaufen», sagt Schulz über Merkel. Aber irgendwann müsse auch sie Positionen beziehen. Am 3. September ist das TV-Duell mit Merkel, dann geht es auf die Marktplätze zu den Menschen. Dafür sieht sich Schulz besser gerüstet als die CDU-Chefin.
SPD-Chef stimmt sich intern viel ab
Bei seiner Reise steht der Kanzlerkandidat unter ständiger Beobachtung. Wie hat er den unverhofften Aufschwung in den Umfragen nach seiner Nominierung Ende Januar und den mit drei verlorenen Landtagswahlen eingehenden Absturz verkraftet? Steht er noch? Während der 61-Jährige vor dem Dortmunder Parteitag einen dünnhäutigen Eindruck machte, wirkt er nun weder verzagt noch resigniert, sondern zum Kampf entschlossen.
Genossen wissen aber auch zu berichten, dass Schulz intern bisweilen ratlos gewirkt habe, was die SPD denn noch tun könne, wenn es in den Umfragen selbst dann nicht nach oben gehe, wenn ein Parteitag einstimmig das Wahlprogramm verabschiede. Mit hohem Einsatz hatte Schulz dafür gearbeitet, Konflikte in der Renten- und Steuerpolitik zu entschärfen.
Im Ergebnis steht die Partei im Bundestagswahlkampf so geschlossen da wie lange nicht. Schulz sieht dies auch als sein Verdienst an. Der Rheinländer setzt auf einen Führungsstil, in dem er sich viel abstimmt, während einst Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als erstes «mehr Beinfreiheit» von seiner Partei verlangte. Manch einer aus der Führungsriege hat dies als Schwäche gewertet: «Er versucht, mit allen auf gutem Fuss zu stehen.» Doch der SPD-Chef sieht darin eine Voraussetzung dafür, dass auch Genossen für ihn in den Wahlkampf ziehen, die nicht zu hundert Prozent hinter ihm stehen, sich aber mitgenommen fühlen.
Gabriels Parallelwahlkampf
Um die Konfrontation mit Merkel und der Union zu suchen, setzt der Kanzlerkandidat auf Helfer. Als der wichtigste unter ihnen wird Aussenminister Sigmar Gabriel wahrgenommen. Dass sich der zu Spontaneität neigende einstige Parteivorsitzende auf «eine dienende Rolle» beschränken werde, wie Fraktionschef Thomas Oppermann es formulierte, dürfte Schulz kaum erwartet haben. Es gebe eine enge Kooperation zwischen beiden, heisst es in der SPD.
Gabriels Attacke gegen Merkel mit seinem Text «Der Gipfel der Verlogenheit» zum G20-Gipfel sei mit Schulz abgestimmt gewesen, wird versichert. Und dennoch wurde Gabriels Vorstoss vielfach eingeordnet als Versuch, dass er dem Kanzlerkandidaten damit vormache, wie man die Kanzlerin angreife.
Der Aussenminister erscheint für Schulz auch deshalb unverzichtbar, weil SPD-Wahlkämpfer von bundesweitem Rang und Namen rar geworden sind. Zuerst blieb Hannelore Kraft auf der Strecke. Die bis dahin einflussreichste Frau in der Parteispitze verlor entgegen aller SPD-Erwartungen ihre Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - und riss auch Schulz mit in den Strudel, weil sie von ihm verlangte, sich während des Landtagswahlkampfes zurückzuhalten. Schulz wertet es inzwischen als Fehler, auf sie gehört zu haben, da mit seiner Zurückhaltung auf öffentlicher Bühne im Frühjahr auch die Umfragewerte wieder fielen.
Scholz fällt als Hilfe aus
Den nächsten Rückschlag brachten Schulz die G20-Krawalle. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der bis dato beliebte Regierungschef der Hansestadt, gilt nun als beschädigt. Als vermeintlicher Vorzeigepolitiker der SPD in der Finanz- und auch Arbeitsmarktpolitik fällt er zumindest vorerst für den Wahlkampf von Schulz aus.
Die letzte Station von Schulz ist am Freitag ein Besuch beim Flugzeugbauer Airbus, gemeinsam mit Scholz. Dieser geht aber früher, wegen eines Termins, heisst es. Auf die Frage, ob er sich von Schulz grösseren Rückhalt gewünscht hätte, verzieht er spitzbübisch das Gesicht zu einem Lächeln und sagt: «Ich habe doch viel Unterstützung aus der SPD bekommen.»
Verhältnis zur Union belastet
Als schwere Belastung für das Verhältnis zur Union wird in der SPD der Versuch von Teilen der Partei gewertet, den Genossen durch einen vermeintlichen Mangel an Distanz zu Linksextremisten eine Mitschuld an den G20-Gewaltexzessen anzulasten. Schulz stufte den Koalitionspartner jüngst ohnehin schon als «weniger befreundete Partei» ein.
In Hamburg wünscht er sich eine «differenzierte Debatte» über die G20-Krawalle. Beim Gang durch das Schanzenviertel wird er vereinzelt beschimpft. Er habe gute Gespräche mit Anwohnern und Geschäftsleuten, mit Betroffenen geführt, sagt Schulz tags darauf. «Aber dass in der Schanze auch ein paar wohnen, die einen Knall haben, das ist mir bekannt.»
Nächste Etappe: «Zukunftsplan»
Den nächsten Aufschlag, Merkel in eine Auseinandersetzung zu ziehen, machte Schulz am Sonntag. In seinem Zukunftsplan gehe es «nicht nur um die ersten 100 Tage, sondern um Zukunftsfähigkeit», sagte SPD-Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert. Die «Zukunft» rückte im Dreiklang mit «Gerechtigkeit» und «Europa» im Motto nach vorne - nachdem sie beim Parteitag noch in der Mitte stand und anfangs gar nicht auftauchte.
Wieder wirft Schulz der Kanzlerin vor, sie lasse die Wähler im Unklaren. Er wolle, dass die Menschen wüssten, wie sich die Kandidatin oder der Kandidat die Zukunft des Landes vorstellten. «Mir jedenfalls ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger eine echte Wahl haben.» Angriffe auf die Kanzlerin kommen eher als Seitenhiebe daher. Er wolle kein Kanzler sein, der sich «vor solchen Debatten drückt» wie den erforderlichen Investitionen in Bildung. Er wolle ein Kanzler sein, der sich dafür Zeit nehme «und nicht nur für rote Teppiche».
(reuters/ccr)
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