Dass der Einstieg ins Politikerleben nicht einfach ist, erfuhr Rolf Dörig auf die harte Tour. Bislang mied er Podiumsdiskussionen eher, rhetorische Fertigkeiten hatte er kaum kultiviert. Doch im Sommer hatte er sich offen zur SVP bekannt und war ihrem Finanzierungsvehikel «Stiftung für bürgerliche Politik» beigetreten – und hatte zusätzlich ein stärkeres Engagement für die grösste Schweizer Partei angekündigt. Jetzt, Mitte November, war es so weit: Er wagte sich auf die Bühne des «Dolder Grand» über den Dächern Zürichs, eingeladen hatte das Wirtschaftsnetzwerk «Efficiency Club». Thema: «Europa vor dem Abgrund». Neben ihm zwei Schwergewichte der Redekunst: Der deutsche Ex-Aussenminister Joschka Fischer und der Talkshow-gestählte SVP-Nationalrat Roger Köppel. 

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Fischer sprach in kurzen Sätzen und klaren Bildern, auch wenn die frühere Schärfe einer wohlbeleibten Altersmilde gewichen ist. Köppel analysierte druckreif, humorvoll und mit ganz weitem Horizont. Und Dörig? Suchte nach Worten und wollte plötzlich «eine Lanze für Herrn Fischer» brechen, was dieser mit verdutztem Blick quittierte. Den Zuschauern blieb vor allem in Erinnerung, dass seine Einlassungen mehrfach mit dem Satz endeten: «Die Schweiz muss eigenständig bleiben.»

Das hatte jedoch selbst Fischer nicht bestritten («Es ist besser, dass ihr nicht in der EU seid. Skeptiker haben wir schon genug»). Den letzten Teil des Gesprächs bestritten Fischer und Köppel weitgehend unter sich. Am Ende wollte der Moderator Dörig mit dem Schlusssatz noch einmal einbinden, und so hallten seine Worte durch den Saal, bedacht mit eher spärlichem Applaus: Die Schweiz brauche wieder mehr «Sachpolitik statt Parteipolitik». 

Cornelia Dörig; Rolf Dörig, VRP, Adecco Group & Swiss Life

Seit mehr als 30 Jahren verheiratet: Die einflussreiche Frau an seiner Seite – Rolf Dörig mit Ehefrau Cornelia.

Quelle:

Dumm nur: Dass er selbst Parteipolitik über Sachpolitik stellt, hatte er gerade demonstriert. Eines der Ämter des Mandatesammlers ist das Präsidium des Lebensversicherers Swiss Life, es führte ihn auch auf den Präsidentensessel des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV und dadurch als Branchenvertreter in den 17-köpfigen Vorstandsausschuss von Economiesuisse. 

Affront gegen Verband

Die grösste Schlacht des Jahres führte der Dachverband gegen die SVP-Selbstbestimmungsinitiative, und Dörigs Mitstreitern im Vorstandsausschuss war aufgefallen, dass sich der Swiss-Life-Mann trotz aller SVP-Sympathien hier auffällig zurückhielt. Immerhin, so raunten sie, sei er ja promovierter Jurist, und gerade unter den Koryphäen seiner Zunft stiess die Initiative auf heftige Ablehnung. Umso erstaunter waren alle, als Dörig zwei Wochen vor der Abstimmung vom 25. November via «Schweiz am Wochenende» sein Ja zur Initiative verkündete und dann auch noch behauptete, es gehe «nicht um Parteipolitik». Die Einheitsfront war zerschossen – Economiesuisse hatte noch stolz verkündet, die Nein-Parole «einstimmig» gefasst zu haben. Was auch stimmt: Zur Abstimmung war Dörig nicht erschienen. 

Noch grösser war der Unmut beim Versicherungsverband. Denn der SVV hatte ebenfalls die Nein-Parole gefasst, und jetzt erfuhren die Mitglieder aus der Zeitung, dass sich ihr Präsident darüber hinwegsetzte – ein Affront. Schon vorher hatte Dörigs harter Anti-EU-Kurs für Unmut gesorgt. Dass er etwa ohne Rücksprache das für die Versicherungen wichtige institutionelle Rahmenabkommen torpedierte, ging vielen Branchenvertretern zu weit. 

Der langjährige Mobiliar-Lenker Urs Berger, Dörigs Vorgänger als SVV-Präsident, hatte stets die Brancheninteressen verfolgt. Jetzt wächst bei Economiesuisse und SVV der Verdacht, dass Dörig seine Ämter parteipolitisch missbraucht. «Rolf spricht nicht für uns», hält ein Mitglied des SVV-Vorstands explizit fest. Dort sitzen Schwergewichte wie Mobiliar-Chef Markus Hongler oder Helvetia-Lenker Philipp Gmür. Die Frage ist, wie lange sie sich Dörigs Sololäufe noch bieten lassen. 

Abteilung Attacke

Und auch bei den beiden Grosskonzernen, die er präsidiert, steigt das Unbehagen. Wenn die Swiss-Life-Oberen nach Bern reisen, beschweren sich die FDP- und CVP-Vertreter über Dörig. Aus dem wichtigen Markt Deutschland, in dem die SVP oft zur AfD-Schwester verzerrt wird, kommen Fragen, ob der Präsident ein Rechtsnationaler sei. Und der Zeitarbeitskonzern Adecco, in 60 Ländern aktiv, lebt davon, Kandidaten verschieben zu können – und leistet sich einen Präsidenten, der gegen die Personenfreizügigkeit mit der EU wettert. «Ein Adecco-Präsident muss ohne Wenn und Aber für offene Märkte eintreten», kritisiert ein Ex-Verwaltungsrat. 

Dabei geht es gar nicht darum, dass Dörig eine politische Meinung hat – die hat hoffentlich jeder Manager. Und dass die SVP in Wirtschaftsfragen mit erfolgreichen Unternehmern wie Peter Spuhler oder Magdalena Martullo auch in Managerkreisen hohe Anerkennung geniesst, hat sie sich hart erarbeitet. Die Frage ist jedoch, warum Dörig die ganze Schweiz an seinen politischen Häutungen teilhaben lassen muss. Bislang gilt noch immer die Haltung: Wirtschaftsführer in Grosskonzernen mischen sich nicht aktiv in die Tagespolitik ein, um gegenüber Kunden und Mitarbeitern keine Angriffsflächen zu bieten.

Hornweg 20 , Kuesnacht ZHAufnahmedatum: 02.03.2012Bildquelle: Reportair.ch / Niklaus Waechter

Seeanstoss: 2007 bezogen die Dörigs das Anwesen in Küssnacht. Der Marktwert wurde auf 15 bis 20 Millionen Franken geschätzt.

Quelle: "Private und gewerbliche Verwendung nur in Vereinbarung mit Reportair.ch, bzw. Niklaus Waechter Journalist/Fotograf BR Talrain 47 6043 Adligenswil niklaus.waechter@bluewin.ch +41 41 370 38 26 +41 79 249 67 85 (80628)"

So hielt es auch Dörig selbst, als er 2004 die «Freunde der FDP» mitgründete. Heute dagegen pflegt er bei seinen spärlichen Auftritten die Attacke. «Wir lassen uns von Brüssel vorführen», schimpfte er etwa zu Jahresbeginn so laut, dass selbst sein enger Bekannter Hans Hess, Swissmem-Präsident und VR-Mitstreiter beim Schlüsselkonzern Dormakaba, via «Blick» gegenhielt. «Die Schweiz ist auf Augenhöhe mit der EU», behauptet er auch gern. Bei aller berechtigten EU-Kritik: Sie hat 60-mal so viele Einwohner und die 25-fache Wirtschaftsleistung der Schweiz. 

Blackrocks Veto

Und so lautet eine der häufigsten Fragen der Konzernwelt: Warum macht er das? Rolf, der Gmögige, der Anständige, der Korrekte – warum schaltet er plötzlich auf Angriff? Aufmerksamkeitsentzug, vermuten die einen, schliesslich habe er es nie in die A-Liga der Konzernwelt geschafft. Endlich gönne er sich im Herbst seiner Karriere sein politisches Coming-out, raunen die anderen, schon immer habe er doch eine Switzerland-First-Sicht gehabt – was allerdings bedeuten würde, dass er sich bei seinem Aufstieg sehr biegsam gezeigt hat. Zudem: Dass die FDP zu «akademisch-elitär» sei, wie er seine Hinwendung zur SVP jüngst begründete, ist nicht wirklich überzeugend. 2012 übernahm der Gipser und Nicht-Akademiker Philipp Müller den Vorsitz, heute durchkurvt die Beraterin Petra Gössi im schlichten Audi-Kleinwagen das Land. Die Wiederbelebung der FDP ist ja eben gerade auch eine Abkehr vom Elite-Image. Akademisch-elitär war sie vor der Finanzkrise – als Dörig sie noch unterstützte.

Die überzeugendste Erklärung kommt dann auch von einem Gründungsmitglied der «Freunde der FDP», das Dörig jahrelang eng begleitet hat. «Seine bisherigen Mandate gehen dem Ende entgegen, da sucht sich der Rolf eine neue Heimat.» Und diese Heimat bietet der Unternehmer Walter Frey, mit seiner Emil Frey Holding der grösste Autoimporteur Europas – und Grand Old Man der Zürcher SVP.

Auffällig ist in der Tat, dass das klare Bekenntnis zur SVP in eine Phase fällt, in der das System Dörig zu wanken beginnt. Seit die Jacobs-Familie 2014 als Ankeraktionär bei Adecco ausstieg, ist der US-Anlageriese BlackRock mit aktuell 5,1 Prozent grösster Einzelaktionär. Dörig bezieht hier 1,5 Millionen Franken als VR-Präsident, es ist seine grösste Einnahmequelle, bei Swiss Life sind es 1,2 Millionen. Und hier geschah im April an der Generalversammlung Unerwartetes: Die Amerikaner stimmten gegen Dörigs Wiederwahl. Offizielle Begründung gibt es keine, doch die Indizien legen nahe, dass BlackRock die lange Amtszeit und die Ämterkumulation für nicht mehr zeitgemäss hält. In England müssen Verwaltungsräte nach zehn Jahren gehen, in Kontinentaleuropa stimmt BlackRock in der Regel nach zwölf Jahren gegen die Wiederwahl. 

Dass das Veto Dörig bereits nach elf Amtsjahren erreicht, liegt wohl auch an dem frischen SVV-Präsidium. Damit ist er der Ämterkönig der Konzernwelt: Als Einziger präsidiert er mit Adecco und Swiss Life zwei SMI-Konzerne, dazu ist er Vizepräsident bei Dormakaba, Aufsichtsrat beim deutschen Holzproduzenten Danzer, Präsident beim SVV, Quästor bei Economiesuisse, VR-Mitglied bei GC, ZSC und Emil Frey. Amtszeitlimiten, wie sie etwa UBS, CS oder «Zürich» kennen, liess Dörig weder bei Swiss Life noch bei Adecco einführen. Dort sind sogar ausdrücklich 15 zusätzliche Mandate erlaubt. Und wie viele Mandate hat Dörig laut Handelsregister? Genau 16. Seine Mandatsfülle beschert Adecco, Swiss Life und Dormakaba in der zRating-Studie des Beratungsunternehmens Inrate sogar Abzüge bei der Corporate-Governance-Qualität.

Kampfkuh gekauft

Wie genau Dörig sein Pensum auf die einzelnen Mandate verteilt, will er nicht offenlegen. Ein Präsidium bei einem Weltkonzern wie Adecco müsste aber mindestens ein 50-Prozent-Pensum sein, zumal gerade in diesem Jahr die Performance dürftig ist: Mit einem Minus von 35 Prozent ist Adecco der schlechteste SMI-Titel. Gerade überflügelte der Rivale Randstad Adecco als weltweite Nummer eins. Dörig nutzt das Mandat für ausgedehnte Reisen, gern auch mit seiner Frau. Doch strategische Impulse sind seit dem Jacobs-Ausstieg kaum zu erkennen. «Der Rolf macht es sich schon sehr gemütlich», befindet ein lange sehr bedeutender Ex-Verwaltungsrat. Bei der Swiss Life läuft es derzeit zwar gut, doch das ist vor allem der Führung des umsichtigen Konzernchefs Patrick Frost zu verdanken. Auch hier sitzt Dörig jedoch im nächsten Frühjahr elf Jahre im Verwaltungsrat. Und wer ist auch bei Swiss Life mit 3,8 Prozent grösster Einzelaktionär? Dörig-Gegner BlackRock. 

Bei Emil Frey hat Dörig sein Mandat dagegen auf sicher. Seit 2011 sitzt er im Verwaltungsrat, zeitgleich ging er auch in den Verwaltungsrat der ZSC-Betreibergesellschaft ZLE. Erste Signale für seine SVP-Nähe sandte er 2014, als er sich für die Masseneinwanderungs-Initiative aussprach. Doch der offene Bruch mit der FDP kam erst in diesem Jahr. «Ich stehe heute klar bei der SVP», sagte er Ende Mai erstmals in dieser Deutlichkeit der «SonntagsZeitung».

Als einziger Nicht-Politiker trat er kurz darauf auch in das SVP-Finanzierungsvehikel «Stiftung für bürgerliche Politik» ein, in der ebenfalls Walter Frey die dominierende Kraft ist und der auch Nationalrat und Banker Thomas Matter oder die Parteigranden Toni Brunner und Albert Rösti angehören. Brunner inspirierte ihn sogar zum Kauf einer Kampfkuh – wie auch Matter und Frey. Beim ZSC, bei dem Frey Präsident ist und zusammen mit Spuhler jedes Jahr mehrere Millionen einschiesst, war Dörig sogar als Präsident im Gespräch. Doch die notwendigen Zahlungen konnte er privat nicht leisten – er ist ja nur Manager, nicht Eigentümer. 

Stadionbauer Swiss Life

Er hilft auf seine Weise: Swiss Life und Adecco sind ZSC-Sponsoren, und beim neuen Stadion, dessen Bau im Frühjahr in Zürich-Altstetten nahe dem Emil-Frey-Hautpsitz beginnt, wurden die Zuwendungen in bester Eishockey-Manier geteilt: Die Milliardäre Frey und Spuhler zahlen mit 12 Millionen je ein Drittel, das letzte Drittel übernimmt Rolf Dörigs Swiss Life – eine interessante Verwendung von Aktionärsgeldern. Die Bande zwischen dem 61-jährigen Dörig und dem 75-jährigen Frey seien mittlerweile so eng, dass Frey ihn sogar, so wollen es hartnäckige Spekulationen, um die Vollstreckung seines Nachlasses im Wert von mehr als zwei Milliarden (siehe Seite 170) gebeten haben soll. Eine Bestätigung gibt es nicht. Frey gilt jedoch auch als reservierter Patron, der zu seinen Untergebenen Distanz hält. Vertrauen muss immer wieder bestätigt werden. Dörigs markige öffentliche Aussagen signalisieren da Gefolgschaft. Langfristig gilt er als möglicher VR-Präsident. 

Doch Dörig hat ein Problem: Seine Vergangenheit. Walter Frey und Christoph Blocher sind hocherfolgreiche Unternehmer, die den Aufstieg der SVP zur grössten Partei des Landes ja dezidiert im Kampf gegen das Establishment bewerkstelligten. Zu Recht kritisierten sie die verkrustete Managerkaste der Vor-Finanzkrisen-Zeit, und das legendäre Verdikt Blochers über Verwaltungsräte («in guten Zeiten brauchst du sie nicht, und in schlechten Zeiten kannst du sie nicht brauchen») wendet mancher SVP-Mann auch auf Dörig an – und wundert sich, was Frey ausgerechnet an ihm findet. Denn der Mandatesammler verdankt seinen Aufstieg genau dem Establishment, das die SVP so lange bekämpfte. Vom Unternehmerideal der SVP-Grössen wirkt er so weit entfernt wie Blocher vom Diplomatenstatus: Das einzige Mal, als er sich als Unternehmer versuchte, beim Swiss-Life-Kauf des Finanzvertriebs AWD, produzierte er den grössten Flop der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte. 

Der Vater stammte aus dem Appenzell, doch schon dessen Charakterisierung zeigte den Aufstiegswillen des älteren der beiden Söhne: Sein Vater habe sich «im goldenen Käfig eines Mittelschul-Rektors einschliessen lassen», befand er einst. Das sollte ihm nicht passieren. Der Weg nach oben war direkt: Kindheit in Pfaffhausen nahe Zürich, Matura am Gymnasium Enge, Jura-Studium in Zürich, frühe Heirat als 28-Jähriger mit Cornelia, deren Familie in Engstringen vor den Toren Zürichs eine Apotheke leitete, heute drei erwachsene Söhne in einer sehr intakten Familie. 1987 begann er als Assistent beim damaligen SKA-Chef Robert Jeker, im Militär Oberst wie er. Nach gut einem Jahr ging es in die Presseabteilung und von dort an die Front – bis zur Leitung der Region Zürichsee. 

Doppeltes Glück

Doch dann kam es zum ersten Knick. Josef Ackermann, Jekers Nachfolger als SKA-Chef, zweifelte an den Fähigkeiten Dörigs als Banker, auch eine Schnellausbildung eines «Executive MBA» in Harvard half nicht. Fakt ist: Bei der Reorganisation 1997 fiel Dörig durch, Ackermann soll ihn persönlich von der Liste der hundert wichtigsten Nachwuchskräfte gestrichen haben. 

Doch schnell zeigte sich seine Stärke. Dörig spielte Tennis und amtete als Sektions-Präsident bei GC. Und wer war dort der einflussreichste Wirtschaftsvertreter? CS-Übervater Rainer E. Gut. Im kleinen Kreis sollte sich Dörig seiner guten Beziehungen zu Gut rühmen. Dörig hatte Glück: Ackermann war bald Geschichte, Gut setzte auf den Ex-McKinsey-Mann Lukas Mühlemann, und der Nicht-Banker fand Verwendung für den gescheiterten Banker. Dörig wurde Mühlemanns Stabs- und Kommunikationschef.

Die Helfer

Rainer E. Gut

Rainer E. Gut, Ex-CS-Präsident

Quelle: ALL RIGHTS RESERVED
Lukas Muehlemann

Lukas Mühlemann, Ex-CS-Chef

Quelle: Keystone
Klaus Jacobs, Adecco & Jacobs © 2006 Renate Wernli

Klaus Jacobs, Adecco-Gründer

Quelle: Renate Wernli

Gleichzeitig war er für Gut besonders wichtig: Er kämpfte als Mitglied des GC-Zentralvorstands und als CS-Abgesandter in einer speziellen Task-Force für die GC-Sanierung. «Wir brauchen ihn für GC», blockte Gut Kritik an seinem Schützling ab. GC kooperierte auch mit dem ZSC, und so traf Dörig auf den damals schon starken Mann des Eishockeyclubs: Walter Frey. Schweizweit bekannt wurde Dörig als von der CS delegierter Interims-Finanzchef der Expo 2002. Hier konnte er seine Stärken ausspielen: Verschiedene Interessengruppen ausgleichen und auf ein Ziel einschwören.
Mühlemann machte ihn sogar mit Guts Plazet zum Chef des gesamten Schweiz-Geschäfts mit 12 000 Mitarbeitern.

Allerdings hatte er auch hier Glück: Der erfolgreiche Schweiz-Chef Paul Meier verliess die Bank vor allem, weil er den Allfinanz-Kurs Mühlemanns nicht mittragen wollte. Dörig hatte damit kein Problem. Die Kombination von Bank- und Versicherungsprodukten laufe «gut und wird laufend intensiviert», verkündete er fröhlich. Doch lange lief es nicht mehr gut: Mühlemann fiel tief, und die operative Macht wanderte zu Oswald Grübel. Der Vollblutbanker setzte auf Leistung statt Beziehungskünste, und es war ein offenes Geheimnis, dass er nicht viel von Dörig hielt. Der aktivierte daraufhin sein Netzwerk. Die Swiss Life geriet im Sommer 2002 in Schieflage, und Andres Leuenberger, VR-Präsident und mächtiger Chef des Vororts, der Vorgängerorganisation von Economiesuisse, brauchte einen neuen CEO. Dörig kannte ihn von seinem Expo-Mandat und signalisierte Interesse. 

Fliegender Wechsel

Dann ging alles ganz schnell. Leuenberger rief bei Gut an, der liess seinen Zögling sofort gehen, immerhin stand ja CS-Urvater Alfed Escher auch Pate bei der Swiss-Life-Gründung, und die CS hielt sieben Prozent an der Versicherung. Andere Kandidaten gab es nicht, auch keinen Headhunter, und die CS erhielt als Belohnung die anstehende Kapitalerhöhung. Grübel soll froh gewesen sein, dass er Dörig sofort los war – und das noch ohne Abfindung. 

Die Gegenspieler

HAMBURG, GERMANY - JANUARY 09:   Josef Ackermann attends New Year Reception of publisher Klaus Schuemann at Hotel Louis C. Jacob on January 9, 2014 in Hamburg, Germany.  (Photo by Christian Augustin/Getty Images)

Josef Ackermann, Ex-SKA-Chef

Quelle: 2014 Getty Images
Oswald Gruebel, ehemaliger Chef von CS und UBS, spricht am Schweizer Medienkongress des Verbandes Schweizer Medien, am Freitag, 12. September 2014, in Interlaken. (KEYSTONE/Anthony Anex).

Oswald Grübel, Ex-CS-Chef

Quelle:

Und so stand das Sonntagskind Dörig, dessen Bankkarriere fünf Jahre zuvor schon am Ende schien, plötzlich an der Spitze eines SMI-Konzerns – und das ohne Versicherungskenntnisse, wie er freimütig einräumte. Er wusste, wem er zu danken hatte: Seinen Freunden von der FDP. Die CS war die Bank des Zürcher Freisinns, Leuenberger war FDP-nah, FDP-Grande Gerold Bührer war Vizepräsident. Und so war es keine Frage, dass Dörig 2004 unter heftiger Lobpreisung der «gesellschaftspolitisch liberalen Position der FDP» dem neugegründeten Club «Freunde der FDP» beitrat, sogar als Vizepräsident unter dem damaligen UBS-Chef Peter Wuffli. 

Es war der Eintritt in die höchsten Sphären der Konzernwelt – mit dabei waren Walter Kielholz (Swiss Re), Daniel Vasella (Novartis) oder Andreas Schmid (Flughafen). Letzterer war besonders wichtig: Er zählte zu den Jacobs-Boys, die ihren Aufstieg im Reich des deutschen Kaffee- und Schokoladen-Königs Klaus Jacobs begründet hatten. Via Schmid konnte Dörig sich offenbar – wie heute bei Walter Frey – auch bei diesem älteren Herrn gut in Szene setzen: Jacobs nahm Dörig in den Adecco-Verwaltungsrat und spurte kurz vor seinem Tod 2008 dessen Kür zum Präsidenten vor. Und auch das Kaba-Mandat verdankte er dem FDP-Establishment – hier war Urgestein Ulrich Bremi hilfreich. Zwar gab es damals schon Kritik an Dörigs Ämtersammlerei. Doch die blockte er ab. 

18 Loch in Zumikon

Was fehlte, war das passende Anwesen. Mit dem Immobilien-Unternehmer Rudolf Steigrad spielte Dörig Golf. Steigrad hatte gerade eine Villa in Küsnacht mit Seeanstoss im Portfolio, deren Kauf er selbst erwog. Doch dann reichte er sie an Dörig weiter, ohne sie auf den Markt zu geben – zu einem Preis, der wohl einiges unter dem von der Swiss Life geschätzten Marktwert des Anwesens von 15 bis 20 Millionen Franken lag. Dörig baute es aufwendig um. Vom eher volksnahen Tennis war er längst zum elitäreren Golf gewechselt, und seine Frau, auf die die Villa eingetragen ist und die grossen Einfluss auf ihn ausüben soll, engagiert sich heute für den 18-Loch-Golfplatz in Zumikon. Am bisherigen Wohnort Engstringen waren es nur neun Loch. Ein fast märchenhafter Aufstieg. 

Rolf Dörig an einer Podiumsdiskussion mit Joschka Fischer

«Die Schweiz muss selbständig bleiben»: Rolf Dörig an einer Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen deutschen Aussenminister Joschka Fischer, Moderator Stephan Klapproth und SVP-Nationalrat Roger Köppel (v.l.).

Quelle:

Und selbst der AWD-Flop konnte ihn nicht stoppen. Auch bei der Swiss Life hatte Dörig schon bald das Präsidium im Visier, die Niederungen der Versicherungsarithmetik waren nie wirklich seine Sache. Doch vorher wollte er noch das Beteiligungsportfolio ordnen – und sich mit einem grossen Deal verabschieden. Mit aller Macht zog er den AWD-Kauf durch, obwohl es genügend Warnsignale gab: Die schlechte Reputation des Finanzvertriebs, die grossen Kulturunterschiede, die Machtansprüche des Unternehmensgründers Carsten Maschmeyer.

Der spielte Dörig kunstfertig aus: Er liess sich eine Prämie von 50 Prozent zahlen, und das im Dezember 2007, als die Finanzkrise schon Fahrt aufgenommen hatte – und Dörig überwies ihm die gesamte Summe von 1,9 Milliarden Franken in bar statt Aktien. Fünf Jahre später musste die Swiss Life 600 Millionen abschreiben. Das Debakel treffe ihn «persönlich stark», verkündete Dörig – und tauchte wieder einmal ab. Den Verwaltungsrat lenkte er selbst, das Aktionariat war zersplittert, und so überstand der umgängliche Rolf das Desaster. Mit dem «Carsten» schickte er sich weiter SMS. 

Auf seinen Ruf ist er sehr bedacht: Selbst bei bereits zugesagten Interviews schickt er schon mal die Adecco-Kommunikations-Abteilung vor. Passen die Fragen nicht, sagt er ohne valable Begründung ab. Auch bei Economiesuisse fällt auf, dass er nicht wirklich für seine politischen Positionen kämpft. «Walter Frey wollte uns überzeugen, der brannte für seine Ideen», erinnert sich ein langjähriger Spitzenmann. «Bei Dörig ist davon nichts zu spüren.» Da wirkt es glaubwürdig, dass er eigene politische Ambitionen stets verneint. Die Mühen der politischen Ebene? Bloss nicht. 

Nützlicher Spaltpilz

Lohnt sich das alles? Einstige Weggefährten wie Walter Kielholz oder Andreas Schmid sollen sich abgewendet haben. Zwar ist bisher nicht erkennbar, dass er bei Adecco oder Swiss Life valable Nachfolgekandidaten aufgebaut hat. Das schützt seine Macht, und so bleibt er für die SVP als Spaltpilz der Managerkaste nützlich. Doch mit jedem weiteren Jahr steigt der Druck der Grossaktionäre, und vor allem bei seinem wichtigsten Mandat Adecco wirkt Dörig zunehmend überfordert – er war eben immer mehr Verwalter als Macher. Und das ist eigentlich nicht der Typus, den die erfolgreichen SVP-Unternehmer tief im Inneren schätzen. Wie eng die Bande wirklich sind, wird sich erst zeigen, wenn er seine Mandate nicht mehr hat. 

Freunde der SVP

Vizepraesident Walter Frey an der Delegiertenversammlung der SVP vom 28. Maerz 2009 in La Brevine. (KEYSTONE/EQ IMAGES/Manu Friederich)

Walter Frey, Eigentümer Emil Frey Holding

Quelle: © KEYSTONE / EQ IMAGES / Manu Friederich
Peter Spuhler, bisheriger CEO Stadler Rail Group, aufgenommen am Mittwoch, 20. September 2017, am Hauptsitz in Bussnang. Wie das Unternehmen mitteilt, uebergibt Peter Spuhler die Funktion des Group CEO per 1. Januar 2018 an Thomas Ahlburg und konzentriert sich auf das Amt des Verwaltungsratspraesidenten. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Peter Spuhler, Eigentümer Stadler Rail

Quelle:

Ex-Freunde der FDP

Walter B. Kielholz, Verwaltungsrat des Rückversicherers SwissRe am Hauptsitz von SwissRe am Mythenquai in Zürich.

Walter Kielholz, VR-Präsident Swiss Re

Quelle: Sandra Ardizzone
Portrait of Andreas Schmid, president of the Board of Directors of Swiss think tank Avenir Suisse, taken in his office in Zurich, Switzerland, on September 25, 2014. (KEYSTONE/Gaetan Bally) Andreas Schmid, Verwaltungsratspraesident des Think Tanks Avenir Suisse, portraitiert in seinem Buero in Zuerich am 25. September 2014. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Andreas Schmid, VR-Präsident Flughafen Zürich

Quelle: © KEYSTONE / GAETAN BALLY