Entscheiden Sie, was wir auf Netflix zu sehen bekommen?
Ich trage die Verantwortung für die Dateninfrastruktur bei Netflix.
Sie sind also die Daten-Queen bei Netflix?
Oh, was für ein Titel (lacht). Sagen wir es so: Wenn wir Daten gut aufbereiten, können wir die besten Empfehlungen für unsere Nutzer abgeben. Sie sehen dann das, was ihnen gefällt. Wir wollen das beste Entertainment bieten. Das generiert am meisten Traffic auf Netflix. Der macht übrigens 15 Prozent des gesamten Downstream-Traffics im Internet aus.
Produzieren Sie die Plots der Serien aus den Datenauswertungen?
Es werden keine Drehbücher anhand der Daten verfasst. Aber die Daten fliessen natürlich in die Entscheidungen ein, welche Art von Serien und Filmen wir finanzieren möchten. Und von welchen Inhalten wir am meisten Benefit ziehen können. Dieses Jahr investieren wir 15 Milliarden Dollar in Content. Mehr als jedes andere Unternehmen auf der Welt.
Sie könnten eine Serie über Klimawandel produzieren. Das ist bestimmt angesagt.
Netflix ist ein Platz für grossartige Geschichten von grossartigen Geschichtenerzählern. Wir lassen ihnen diese Freiheit und basteln nicht an Inhalten herum – oder würden diese den Nutzerdaten anpassen. Wir helfen dem Konsumenten, Inhalte zu finden. Die allermeisten Inhalte auf Netflix werden auf Empfehlung hin entdeckt. Netflix ist eine riesige «Content-Halle». Aber wie jede Plattform aus dem Silicon Valley sind wir uns bewusst, dass wir durch eine sehr präzise Personalisierung des Netflix-Accounts eine Echokammer bei den Nutzern erzeugen können.
Michelle Ufford wohnt und arbeitet in der Bay Area. Vor ihrem Engagement als Datenchefin bei Netflix hat sie für diverse Tech-Giganten im Silicon Valley, darunter auch Microsoft, gearbeitet. Sie war auch schon bei Bloomberg tätig.
Die 37-Jährige war davor rund acht Jahre beim Host-Betreiber GoDaddy tätig. Dort leitete sie das Data Engineering, das Datenmanagement und die Plattformarchitektur.
Ufford trat am Gottlieb Duttweiler Institut GDI in Rüschlikon im Rahmen der Tagung «The Power of Predictions» auf.
Sie erschaffen also wie Facebook eine Blase?
Menschen, die sich in den Charakteren wiederfinden, sind mehr verbunden mit den Serien – und dadurch treue Nutzer von Netflix. Das bedeutet, dass wir natürlich auch sehen, welche Serien warum bei wem beliebt sind. Doch dabei besteht die Gefahr, dass wir an Diversität verlieren. Die Welt ist nicht so, wie sie in unseren Serien gezeigt wird. Deshalb haben wir Filme wie «Roma» gemacht. Dieser Film ist anders als die Netflix-Filme, die wir kennen. Je mehr wir Filme aus verschiedenen Kulturen produzieren, desto mehr können wir den Nutzern zeigen, wie vielfältig die Welt ist. Das fördert Toleranz und letzlich Demokratie.
Wann kommen Sie mit einer Serie, die in der Schweiz spielt. Das Land mit der schönen Natur würde sich doch eignen...
Auf jeden Fall - so ein schönes Land! Es ist aber nicht so, dass die Nutzer sich über den amerikanischen Content beklagten. Die Diskussion entstand vor allem daraus, dass man Inhalte in der Muttersprache sehen will. Es geht ja aber nicht um Drehorte ausserhalb den USA, sondern um authentische Filme und Serien aus diesen Regionen. Dafür brauchen wir aber Talente vor Ort, die solche Inhalte produzieren.
Was kann TV von Netflix lernen?
Man muss den Menschen die Wahl überlassen, was sie sehen wollen. Das ist beim TV und On-Demand-TV nicht so. Bei uns sieht jeder der 150 Millionen Nutzer eine andere und individuell angepasste Oberfläche. Eine weibliche Nutzerin sieht bei den Trailers vielleicht ein anderes Startbild als ein männlicher. Wir testen ständig, was auf der Website funktioniert und was nicht. Man braucht den Willen zum Experimentieren. Das vermisse ich beim herkömmlichen TV. Dort sind die Formate festgelegt und man kann weniger ausprobieren.
Welches ist Ihre Lieblingsserie?
Zurzeit ist das «Orphan Black» – eine Serie von Amazon Prime (lacht). Auf Netflix ist es «Unbreakable Kimmy Schmidt». Kennen Sie das?
Keine Ahnung. Wir sehen in der Schweiz ja eine andere Auswahl bei Streaming.
Oh ja, das ist ein Lizenzproblem. In der Schweiz kann man sogar mehr Inhalte als in den USA sehen. Dort wollen nun viele Medienunternehmen eigene Streamingdienste lancieren und geben die Inhalte deshalb nicht mehr frei.
Sie verfolgen als Unternehmen aus dem Silicon Valley nicht das Ziel «The winner takes it all»?
Je mehr Streamingdienste kommen, desto mehr Auswahl gibt es. Für den Nutzer ist es doch spannend, wenn es eine grosse Auswahl hat. Dann findet jeder die Serie, die er am liebsten mag. Aber: Es ist natürlich genauso toll, eine Ausflug in der Natur zu machen.
Machen Sie damit auf «Binge Watching» aufmerksam, also Seriensucht?
Wir sind uns diesem Problem bewusst. Deshalb haben wir etwas auch schon darüber nachgedacht, Inhalte mit einem begrenzten Zeitfenster zur Verfügung zu stellen. Die Leute haben nicht mehr eine so grosse Aufmerksamkeit. Aber die wahre Herausforderung ist, dass wir einen Raum für starke und unabhängige News auf dieser Welt brauchen. Der kommerzielle Erfolg ist aber entscheidend.
Ist Netflix politisch? Sie haben auch eine Doku über Alexandria Ocasio-Cortez im Angebot.
Wir versuchen, unpolitisch zu sein.
Wie alle Plattformen aus dem Silion Valley. Aber in der Realität ist das ja anders.
Wir zeigen Formate mit politischem Inhalt, weil es dafür ein Interesse von unseren Nutzern gibt. Nicht, weil wir politisch etwas erreichen wollen.
Was ist das Geheimnis von Netflix?
Es ist die Kultur. Jeder kann seine eigenen Entscheidungen treffen und hat Zugang zu allem.