Wo steht die Schweiz heute, mit welchem Anteil decken erneuerbare Energien den Energieverbrauch?
Andreas Züttel: Die erneuerbaren Energien, also Wasserkraft, Photovoltaik, Windkraft und Biomasse, decken zurzeit etwa 25 Prozent unseres Energieverbrauchs, 75 Prozent der Energien sind immer noch fossiler Natur.

Und wie sieht es nur beim Stromverbrauch aus?
Je nach Saison werden zwischen 70 und 75 Prozent erneuerbar produziert, der Rest ist Kernenergie, die auch CO2-frei ist.

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Zu Ihrer neuen Studie: Sie haben analysiert, wie wir den aktuellen fossilen Energiebedarf mit erneuerbaren Energien substituieren können und was das technisch und wirtschaftlich bedeuten würde.
Genau, wir haben das unter den beiden Annahmen analysiert, dass die Elektrizität, die heute aus der Kernenergie gewonnen wird, durch Photovoltaik ersetzt wird. Ausserdem gibt es einen gewissen Energiebedarf für Flugzeuge: Batteriespeicher sind zu schwer für Flugzeuge, daher sind wir davon ausgegangen, dass hier in Zukunft grüne synthetische Treibstoffe verwendet werden.

Dann bleibt der grosse fossile Rest: der Energieverbrauch für Strassen, Industrie, Heizung und Gebäude. Wie können wir den am besten ersetzen?
Würden wir alles elektrifizieren, beispielsweise mithilfe der Photovoltaik, stellt sich die Frage, wie wir den Strom für den Winter speichern.

Einfach in Batterien zum Beispiel?
Das ist der teuerste Energiespeicher. Nach unserer Studie würde eine Speicherung in Batterien die Hälfte des Schweizer Pro-Kopf-Einkommens pro Jahr kosten. Das funktioniert also nicht.

«Es gibt nur sehr wenige Täler, die unter 2500 Meter liegen, damit die Seen im Winter nicht gefrieren und trotzdem 1800 Meter Gefälle aufweisen.»

In den vielen Wasserkraftwerken?
Die, die wir jetzt haben, benötigen wir ja bereits. Wir müssten daher weitere Wasserkraftwerke bauen. Und für diesen Speicherbedarf inklusive des Ersatzes für die Kernkraftwerke wäre ungefähr 13-mal ein zusätzliches Wasserkraftwerk in der Grösse von Grand Dixence im Wallis nötig. Grand Dixence ist das grösste Speicherkraftwerk der Schweiz mit etwa 1,5 Terawattstunden.

Gibt es überhaupt genügend Orte für solche Wasserkraftwerke?
Das ist bei der Topografie nicht so einfach. Es gibt nur sehr wenige Täler, die unter 2500 Meter liegen, damit die Seen im Winter nicht gefrieren und trotzdem 1800 Meter Gefälle aufweisen.

Batterien sind zu teuer, Täler sind knapp. Wie steht es mit Wasserstoff?
Wenn wir mithilfe der Photovoltaik Wasserstoff im Sommer produzieren und für den Winter speichern, um ihn dann in Gaskraftwerken zu nutzen, erfordert das ein grosses Speichervolumen. Die günstigste Art, Wasserstoff zu speichern, ist die Speicherung in unterirdischen Kavernen in den Bergen. Aber dafür müssten wir 25-mal den Gotthardbasistunnel bauen. Und wir wissen ja, wie lange es gedauert hat, diesen Tunnel zu bauen.

Rund 17 Jahre... Und wir bräuchten zudem neue Gaskraftwerke.
Ja, wir müssten einige bauen, aber die sind auf der Basis von Wasserstoff viel einfacher zu realisieren. Sie müssen ja keinen Dampfkessel betreiben, sondern können Dampferzeuger (wie ein Raketentriebwerk) direkt auf die Turbine bauen und dort Wasserstoff verbrennen und so Dampf direkt in die Turbine fliessen lassen.

Was bleibt noch an Speicheralternativen? Synthetische Brennstoffe?
Ja, richtig. Wir könnten mithilfe der Photovoltaik Elektrizität erzeugen und mit dem CO2 aus der Luft synthetisches Öl herstellen. In diesem Fall ist die Speicherung kein Problem. Wir haben bereits grosse Speicher für Öl, das könnte man eventuell noch etwas ausbauen.

Also wären synthetische Brennstoffe die Königslösung?
Die Schwierigkeit besteht darin, dass man auf dem Weg von der Photovoltaik zum Öl sehr viel Energie aufwenden muss. Man bräuchte deutlich grössere Photovoltaikkapazitäten als bei der Speicherung mit Wasserkraft.

«Wir müssen nicht alles im eigenen Land produzieren.»

Haben wir denn genügend Flächen für die zusätzliche Photovoltaik?
Um Strom als Ersatz für die heutigen fossilen Energieträger zu erzeugen, wären Photovoltaikflächen notwendig, die zweimal die Dachfläche der Schweiz umfassen. Und für die Kernkraft zusätzlich einmal die Dachfläche. Für eine Wasserstoffspeicherung bräuchte man das Sechsfache der Dachfläche, wegen der Effizienzverluste. Und wenn man synthetisches Öl herstellen wollte, bräuchte man sogar zwölfmal die Dachfläche der Schweiz.

Klingt nicht sehr realistisch.
Wir müssen natürlich nicht alles im eigenen Land produzieren. Die interessanteste Alternative wäre beispielsweise, Wasserstoff in Australien zu produzieren. Dort gibt es grosse ungenutzte Flächen und zweimal so viel Sonne wie bei uns. Zudem ist in Australien Sommer, wenn wir Winter haben. Es wäre auch möglich, in der Sahara grosse Photovoltaikanlagen zu bauen. Dort gibt es die Fläche, die wir in der Schweiz ja nicht haben. Afrika hätte noch einen zusätzlichen interessanten Effekt: Wenn Länder in Afrika die Möglichkeit erhalten, synthetisches Öl zu produzieren, wäre das nicht nur ein Vorteil für die Umwelt, sondern auch eine Entwicklungsmöglichkeit für diesen armen Kontinent.

Ihr Fazit: Was schlagen Sie vor, um wirtschaftlich vernünftig und so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzusteigen?
Wir sollten die Photovoltaik so schnell wie möglich weiter ausbauen. Hier könnten auch Fördermassnahmen helfen. Wir haben in Deutschland gesehen, wie gut das funktionieren kann. Dann müssen wir weitere Wasserkraftwerke bauen und bestehende erweitern. Wir müssen es einfach tun und nicht wegen jeder Froschumsiedlung Projekte behindern, wie etwa an der Grimselstaumauer. Zudem macht es Sinn, grünen Wasserstoff oder synthetisches Öl zu importieren. Wobei das synthetische Öl sehr teuer ist, wenn es nur darum geht, Elektrizität zu produzieren. Für die Flugzeuge gibt es eben keine Alternative. Aber für alles andere ist Wasserstoff sicherlich die einfache Lösung. Und um aus Wasserstoff Strom zu erzeugen, brauchen wir ungefähr sechs 1-Gigawatt-Gaskraftwerke. Mit diesem Mix plus Ergänzungen bei Biomasse und Geothermie können wir es schaffen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist möglich, aber wir müssen etwas dafür tun, darin investieren und bereit sein, Veränderungen in der Landschaft zuzulassen.

Der «Energiepapst» – Andreas Züttel

Dr. rer. nat. Andreas Züttel ist Professor für physikalische Chemie am EPFL. Er wohnt in Kandersteg, ist gebunden, hat aber keine Kinder. Züttel liess sich an der HTL zum Chemiker und an der Universität Freiburg zum Physiker ausbilden.

Kernkraft ist keine Alternative?
Ich bin kein vehementer Gegner der Kernkraft. Aber ich sehe durchaus Möglichkeiten, auf erneuerbare Energien umzusteigen und die Kernenergie wegzulassen.

Hat die Politik verstanden, dass viel mehr getan werden müsste?
In der Schweiz haben wir das Problem, dass ziemlich lange der Eindruck erweckt wurde, dass wir mit wenig Aufwand wegkommen von den fossilen Energieträgern. Dass es mehr eine Frage der Einstellung der Menschen ist als eine Frage von Investitionen. Hier scheinen wir noch in einer Lernphase zu sein. Und wir müssen auch realisieren: Gespeicherte Energie ist viel wertvoller als nicht gespeicherte Energie. Das sehen Sie am Mineralwasser: Sie können Wasser überall aus dem Hahn trinken, und das fast gratis. Trotzdem gibt es einen Markt für Mineralwasser. Am Flughafen zahlen Sie 20 Franken pro Liter Wasser, obwohl daneben der Wasserhahn ist. Es gibt dafür einen Markt, auch weil Sie es in der Flasche herumtragen können. Das ist mit Energie genau das Gleiche. Die Leute in der Schweiz sehen die Speicherung nur als Nachteil, dabei kann man Energie, so wie Mineralwasser, viel teurer verkaufen, wenn sie gespeichert wurde.