Wenn Linda Mühlemann durch Zürich spaziert, tut sie es mit den Augen ihrer Tochter, die auf den Rollstuhl angewiesen ist. Sie sieht jeden hohen Randstein, bemerkt jedes öffentliche Gebäude ohne Lift und zählt die vielen Toiletten, die es zusätzlich brauchte, damit Gehbehinderte die Stadt geniessen könnten, wie sie es tut. «Bei uns fehlt die Freiheit, spontan zu leben», resümiert sie. Den Idealfall kennt sie aus den USA: «Dort ist dank rigorosen gesetzlichen Vorschriften der gesamte öffentliche Raum hindernisfrei.» Regeln für behindertengerechtes Bauen gibt es zwar auch in der Schweiz – nur werden sie immer wieder missachtet.

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Das Problem: Nichtbehinderte haben keine Ahnung, was es heisst, an den Rollstuhl gebunden zu sein. Die Lösung: «Das Beste wäre, jede Politikerin, jeden Architekten und alle Bausekretäre im Rollstuhl durch die Stadt zu schicken», sagt Linda Mühlemann. Da die für eine solche Aktion wohl kaum zu haben sind, gründete Mühlemann Move, Stiftung für freie Fahrt im Rollstuhl. Seit 1999 sammelt sie Geld und sorgt persönlich dafür, dass Hindernisse aus der Welt geschafft werden. Als Erstes hat sie sich die viel zu hohen Randsteine bei Zebrastreifen in der Zürcher Innenstadt vorgenommen. Flächendeckend liess sie über hundert dieser Hürden absenken. Das Geld für die Aktion Kreis 1 sammelte sie in ihrem Beziehungsnetz, das dank ihrem früheren Ehemann, Lukas Mühlemann, ins Topmanagement von Banken und Versicherungen reicht.

Dort hat sie auch die Mittel aufgetrieben, die es brauchte, um die vier Säle im Zürcher Kinokomplex Corso rollstuhlgängig zu machen. Derzeit engagiert sie sich dafür, dass im Kino Nord-Süd die geplante Rampe endlich gebaut werden kann – das dafür nötige Geld hat sie bereits beisammen: dank einem Apéro, den das Modelabel Gucci letztes Jahr veranstaltet hat und dank einer «vollkommen überraschenden» (Mühlemann) Spende von PET-Recycling. Die Trottoirs rund um das Zürcher Kinderspital wiederum hat sie mit einer Spendenaktion anlässlich eines runden Geburtstags im Freundeskreis absenken können.

Linda Mühlemann sammelt erst Geld, wenn ein Projekt so weit gediehen ist, dass es nur noch umgesetzt werden muss. Manchmal nimmt sie aber auch den umgekehrten Weg und sucht geeignete Orte für bereits erfolgte Spenden. Auf diese Weise kam der Curling-Club Limmattal in Urdorf zu einem Treppenlift. Derzeit ist Linda Mühlemann auf der Suche nach einem Platz für eine Rampe, die ein Stifter gerne finanzieren möchte.

Hin- statt wegschauen, etwas tun, statt darauf zu warten, dass etwas getan wird – das hat auch das Leben der Sabine Biland-Weckherlin verändert: Am 13. Januar 1996 hat sie ein Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» zutiefst erschüttert. Das Bild: ein Kind mit dumpfem Blick, eingefallenen Schultern und schmutzigen Kleidern, festgebunden auf einen WC-Stuhl. Der Text: «Die Lebensbedingungen im staatlichen Waisenhaus im chinesischen Tianjin – von den Kritikern ‹Todeslager› genannt.» Eine Reporterin berichtete von Babys, die nackt und ausgehungert auf abgeschabten Plastikmatten lagen, um den Po alte Handtücher, die als Windeln dienten. Alle paar Tage starb ein Kind.

Schon längere Zeit hatte sich Sabine Biland an ihrem Wohnort Baden für soziale Einsätze interessiert, aber niemand hatte Bedarf. Nun engagiert sich die 45-Jährige, die beruflich als Beraterin des Schweizerischen Roten Kreuzes des Kantons Zürich im Ausschaffungsgefängnis des Flughafens arbeitet, in China. «Das Elend der Kinder berührte mich derart», sagt sie, «dass ich nicht in stummer Entrüstung verharren wollte.» Biland kontaktierte die Verfasserin des NZZ-Artikels und mit deren Hilfe eine Ansprechperson in Tianjin. Sie verfasste ein Rundschreiben an Verwandte und Bekannte mit dem Aufruf, Geld für die chinesischen Waisenkinder zu spenden. In kurzer Zeit kamen Tausende von Franken zusammen. Um das Engagement auf eine formelle Basis zu stellen, gründete sie 1998 schliesslich den Verein Chinas vergessene Waisen und veranstaltet jedes Jahr Benefizanlässe mit dem Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester und in Zirkussen, anfänglich im Monti, heute im Conelli.

Immer wieder reist sie nach Tianjin, die Spesen bezahlt sie aus der eigenen Tasche. Am Anfang kümmerte sich Sabine Biland, selbst Mutter zweier Kinder, zunächst vorwiegend um Babys mit Lippen-Gaumen-Spalte. Da sie nicht richtig trinken können, sind sie am stärksten gefährdet. Das erste Geld floss in Kleider, Puder und Schoppenpulver, dann konnten Rollstühle, Medizinbälle und Kinderbetten gekauft und dringend notwendige Operationen, zum Beispiel am offenen Gaumen, durchgeführt werden. Für Babys in kritischem Zustand äufnete Biland einen Überlebensfonds, für die Betreuerinnen finanzierte sie ein Ausbildungsprogramm.

Heute zählt Bilands Verein über 160 Mitglieder und mehrere Hundert Spender. Im Durchschnitt kommen jedes Jahr rund 70000 Franken an Mitgliederbeiträgen und Spenden zusammen, die vollumfänglich nach China fliessen. Verteilt wird das Geld durch die amerikanische Freiwilligenorganisation Committee for Chinese Orphans (ICCO), die in Tianjin ansässig ist und die auch die zweckgebundene Verwendung kontrolliert. Nun, da im Babyhaus endlich menschenwürdigere Zustände herrschen, will sich Biland auch im staatlichen Erwachsenenheim, in das die älteren Waisenkinder übertreten, für bessere Lebensbedingungen einsetzen.

Um Kinder dreht sich auch das Engagement von Valérie Wertheimer. 1999 hat sie nach einer Unesco-Konferenz, an der darüber debattiert worden war, was gegen die rasante Verbreitung von Kinderpornografie im Internet zu tun sei, die Stiftung Action Innocence Genève (AIG) gegründet. «Wir wollen die breite Öffentlichkeit über die verheerenden Folgen des Internets als Markt für Pornografie und als Tummelplatz von Pädophilen aufklären», sagt Wertheimer und kämpft dafür an mehreren Fronten: Sie lanciert Plakat- und Medienkampagnen, ist an Messen und Sportanlässen präsent mit Informationsmaterial zur Aufklärung und Sensibilisierung von Eltern, Kindern, Jugendlichen und Lehrern. Sie setzt sich bei den Politikern für schärfere Gesetze gegen Internetpornografie ein und forciert die Schliessung einschlägiger Internetseiten. Schliesslich kooperiert sie mit Informatikprofis, um technische Lösungen wie Filterprogramme zu entwickeln.

Auf www.actioninnocence.org gibt es die gedruckten und die digitalen Inhalte bisher nur in Französisch. Wertheimer hat aber bereits Ableger ausserhalb der Schweiz. In Monaco etwa, aber auch in Nepal und Santo Domingo, wo besonders viele Kinder sexuell ausgebeutet werden. Für ihre Mission mobilisiert sie ihre weit reichenden Kontakte in die Highsociety. Ihre Organisation zählt mehrere Hundert Mitglieder und viele Gönner auch aus dem privaten Bekanntenkreis. BILANZ schätzt das Vermögen der in der Luxusgüterbranche (Chanel) tätigen Familie Wertheimer auf drei bis vier Milliarden Franken.

Am 21. Juni 2004 veranstaltet Valérie Wertheimer in der Geneva Arena einen Benefizabend, wie ihn nur wenige in der Schweiz wohnhafte Personen auf die Beine stellen könnten. Die unter dem Patronat des Prinzen und der Prinzessin Emanuel Filiberto von Savoyen stehende Gala für rund 700 geladene Gäste beginnt mit einem Diner und endet mit einem Konzert des US-Musikers Sting. Dazwischen tritt François Curiel, der Präsident des Auktionshauses Christie’s Europa, in Aktion: Er hat zehn Uhren zu versteigern. Jede ist ein Unikat und wurde von so renommierten Uhrmachern wie Chopard und Piaget eigens für die Gala hergestellt. Der Erlös des Abends, der gegen eine Million Franken betragen dürfte, kommt vollumfänglich der AIG zugute.

Noblesse oblige: Das hat auch in Basel einen hohen Stellenwert. Die Damen und Herren «uss em Daig», der noblen Basler Gesellschaft, setzen sich quasi selbstverständlich dafür ein, dass die Lebensqualität in der Stadt hoch bleibt. Sie schenken der Stadt Kunstsammlungen, stiften Museen, sie sponsern Sport und Kultur. Die exaltierteste Mäzenin der Stadt heisst Gigi Oeri. Ihr verdankt Basel ein Teddybärenmuseum und einen Fussballclub ohne Geldsorgen – wofür sich Gigi Oeri gerne öffentlichkeitswirksam feiern lässt. Ungleich diskreter prägen andere Oeris das Stadtbild: Beatrice Oeri finanzierte den Basler Jazzklub Bird’s Eye mit und sitzt dort ab und zu auch an der Billettkasse. Maja Oeri bezahlte über ihre Laurenz-Stiftung den Bau des Kunsthauses Schaulager, das von den weltbekannten Architekten Herzog & de Meuron entworfen wurde. Und sie ermöglichte die Erweiterung des Kunstmuseums, indem sie das dafür notwendige Gebäude, den einstigen Sitz der Nationalbank, kaufte und dem Kanton Basel-Stadt schenkte. Catherine Oeri schliesslich stiftete Basel eine Tibet-Sammlung und finanzierte den Umbau des Kasernen-Restaurants in Kleinbasel mit.

Das Engagement von Edith Buxtorf-Hosch in Basel reicht weit über das Pekuniäre hinaus. Ihre Wahl in den Grossen Rat im vergangenen Herbst war auch eine Belohnung für ihre gemeinnützigen Einsätze, die sie seit vielen Jahren für die Stadt leistet. Mitte der Neunzigerjahre kämpfte sie dafür, dass die Gassenküche der Stadt Basel nicht geschlossen wurde. «Es hat zu viele Randständige hier, als dass man so eine Institution einfach zumachen kann», fand sie und packte an: Kraft ihres Namens und Beziehungsnetzes – ihre Familie ist seit dem 15. Jahrhundert in Basel ansässig – sammelte sie während fünf Jahren eine halbe Million Franken jährlich für die Gassenküche und arbeitete dort, inkognito, als Serviererin. Der Einsatz für die sozial Schwächeren bezeichnet sie als zwingend: «Ich stehe auf der Sonnenseite des Lebens, das verpflichtet.» Mit dem Servieren hat die 61-Jährige inzwischen aufgehört. Und das Fundrising hat sie Charlotte Kriesemer-Staehelin übergeben, auch sie ein Mitglied der privilegierten Basler Gesellschaft.

Menschen, denen es gut geht, helfen Menschen, denen es nicht gut geht: Dieses Motto hat Buxtorf in den USA verinnerlicht. Vier Jahre lang lebte sie «im Land des Fundraisings und der Ehrenamtlichkeit» (Buxtorf), weil ihr Mann beruflich dorthin versetzt worden war. Ihre drei Töchter besuchten eine Tagesschule, der Mann arbeitete viel – und Buxtorf hatte plötzlich viel Zeit für sich. Die Damentreffen im Tennis- und Country-Club waren ihr bald verleidet; Buxtorf wünschte sich für ihre Freizeit mehr Sinn. Als sie von einem Projekt der University of New York hörte, die Freiwillige rekrutierte, um das Verhalten von lernschwachen Kindern in einer Studie zu erfassen, sagte sie sofort zu.

Zurück in Basel, erarbeitete sich Buxdorf in Seminaren über Financial Management und Fundraising das theoretische Rüstzeug und setzte es alsbald praktisch um. Sie arbeitete bei der Stiftung Haushilfe für Betagte, Teil der heutigen Spitex, engagierte sich als Kirchen- und Bürgerrätin in der Stadt Basel, arbeitet mit in der Gesellschaft für Arbeit und Wohnen und verteilt als Vizepräsidentin der Emma-Schaub-Stiftung, die sich für Blinde und Sehbehinderte im Kanton Basel-Stadt einsetzt, jedes Jahr 150 000 bis 180 000 Franken. Vor kurzem hat sie nun auch noch den Basler Zünften ihre Hilfe zugesagt: Diese wollen im nächsten Jahr im Historischen Museum eine Ausstellung zur Zunftgeschichte veranstalten, doch fehlt das Geld, weil die Kantonsbeiträge drastisch gekürzt worden sind. Edith Buxtorf – «die Zünfte unterstützen viele private soziale Institutionen in unserer Stadt, auch die Gassenküche» – nahm sich des Problems an und startete im Februar eine Sammelaktion. Verläuft diese nach Wunsch, wird sie den Zünften eine halbe Million Franken beschaffen.