Die 200'000 Angestellten von Volkswagen sind verunsichert und wütend – weltweit. Der Autobauer mit Sitz in Wolfsburg (D) hat bekannt gegeben, dass er massiv sparen muss. Mit verschiedenen Massnahmen will er ein Fünf-Milliarden-Euro-Loch stopfen. Selbst betriebsbedingte Entlassungen und Schliessungen von einzelnen Fabriken werden zum Thema. Noch vor kurzem war das bei Volkswagen, dem grössten Autobauer Europas, undenkbar. Doch plötzlich scheint die Job-Garantie nicht mehr in Stein gemeisselt zu sein.

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Die Emotionen in der Belegschaft gehen deshalb hoch. In Belgien etwa haben Hunderte Arbeiter gegen die Sparpläne demonstriert. Mit lauten Parolen, bunten Fahnen und Protestpausen – dem obligaten Programm in solchen Situationen. Doch dabei ist es nicht geblieben. Die Angestellten des Brüsseler Werks haben vor dem Haupteingang Reifen angezündet. Und 200 Schlüssel von neuen Audi-Modellen gestohlen. So wollen sie erzwingen, dass die Geschäftsführung Klarheit schafft, wie es mit dem Standort weitergeht. Solange das nicht geschehe, werde kein Auto das Werk verlassen.

Audi droht den Arbeitern mit Anzeige

Audi lässt sich das nicht bieten, spricht von «Erpressung». Man habe die Diebe auf Video gefilmt. Wenn sie sich nicht melden, werden sie angezeigt, so Audi. In der betroffenen belgischen Fabrik bauen 3000 Angestellte den Elektro-SUV vom Typ Audi Q8 e-tron. Der verkauft sich aber schlecht. Im Juli wurde zudem bekannt, dass keine weiteren Modelle in Brüssel gefertigt werden sollen. Die Zeichen stehen also auf Sturm.

Die Arbeitsmoral scheint aber nicht erst seit vergangener Woche schlecht zu sein bei Volkswagen. Wie die «Bild» berichtet, erscheinen zehn Prozent der Arbeiter nicht zur Arbeit an den deutschen Fliessbändern. Die Ausfälle der 120'000 Angestellten in Deutschland kosten den Konzern eine Milliarde Euro pro Jahr. Das Problem ist Volkswagen seit Jahren bekannt. Alle Bemühungen, die Fehlzeiten durch Krankheiten oder sonstige Abwesenheiten zu verkleinern, scheitern. 800 Arbeiter wurden 2023 verwarnt oder entlassen, weil sie bei der Arbeitszeit geschummelt haben.

Skandal um Schummeldiesel steht am Anfang

Doch warum steckt Volkswagen derart in der Krise? Warum muss der global tätige Konzern fünf Milliarden Euro sparen? Um diese Fragen zu klären, muss man in der Konzerngeschichte nur wenige Jahre zurückblättern. 2015 erschütterte der Skandal um die Schummeldiesel den Konzern in seinen Grundfesten. Im grossen Stil wurden Dieselmotoren auf den Markt gebracht, die ihre guten Abgaswerte nur auf dem Prüfstand erbrachten, im normalen Alltagsbetrieb aber zu hohe Schadstoffe ausgestossen haben.

Von der Abgasaffäre hat sich Volkswagen bis heute nicht richtig erholt. Der Konzern wurde zu horrenden Strafzahlungen verpflichtet. Und hat Jahr für Jahr Marktanteile verloren. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Wolfsburger den Einstieg in die Elektromobilität verschlafen haben. So verkauft sich das intern als Golf-Nachfolger gedachte Modell ID.3 nicht einmal ansatzweise so gut wie gedacht.

Spätestens, seit Deutschland Ende 2023 die staatliche Umweltprämie für Elektroautos ersatzlos gestrichen hat, wird klar, wie gross der Rückstand der deutschen Autoindustrie auf Tesla und die vielen chinesischen Produzenten ist. Um aufzuschliessen, braucht Volkswagen Investitionen in Milliardenhöhe. Mit Hochdruck arbeiten die Entwickler derzeit an einem Auto, das rein elektrisch fährt, sämtliche Mobilitätsbedürfnisse abdeckt – und nur 25'000 Euro kostet. Das geht ins Geld. Geld, das Volkswagen seit dem Abgasskandal nicht mehr hat. Und nun eisern zusammensparen muss, um den Anschluss nicht ganz zu verlieren.

«Müssen Wettbewerbsfähigkeit bewahren»

Die schwierige Situation der Autoindustrie beunruhigt auch die Europäische Kommission. Die Lage der Branche sei «nicht rosig», es bringe nichts, sie zu beschönigen, sagt Industriekommissar Thierry Breton (69) dem «Handelsblatt». «Die Ankündigungen von Werksschliessungen besorgen mich sehr», sagt der Franzose. Es müsse darum gehen, «unser Know-how, unsere Innovationskraft und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und zu erhalten».

Breton führt die Krise darauf zurück, dass es europäischen Herstellern nicht gelingt, ihre Kunden von der Elektromobilität zu überzeugen. Ob der Umstieg auf die Elektromobilität in Europa ein Erfolg wird, hängt entscheidend vom Ausbau der Ladeinfrastruktur ab. Hier sieht er erhebliche Defizite. «Öffentliche Ladestationen sind nach wie vor stark auf Deutschland, Frankreich und die Niederlande konzentriert, auf die fast zwei Drittel der in der EU installierten öffentlichen Ladestationen entfallen», sagt er.