Historisches spielt sich derzeit in Deutschland ab. Und damit meine ich weder die durchaus bemerkenswerte makroökonomische Schwäche der einstigen europäischen Wachstumslokomotive noch die anhaltende Radikalisierung an den rechten und linken politischen Rändern, die vergangenes Wochenende hoffentlich einen Höhepunkt erreicht hat. Nein, ich meine die tiefe Krise bei Volkswagen.

Etwas viel Pathos und Pomp für ein einzelnes Unternehmen? Mitnichten! VW ist nicht irgendein Unternehmen. VW ist der physische Ausdruck des deutschen Wirtschaftswunders, VW ist der industrielle Beweis global führender deutscher Ingenieurskunst und Wettbewerbsfähigkeit. Und heute ist VW Metapher für eine Malaise, die weit über den Autobauer hinausweist. VW ist damit eine Warnung, die auch wir in der Schweiz richtig lesen sollten. In der Wirtschaft – und in der Politik.

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«Volkswagen ist eine Metapher für eine Malaise, die weit über den Autobauer hinausweist.»

Volkswagen, einst von Hitler und den Nazis als populistisches Unternehmen im damaligen Niemandsland um das heutige Wolfsburg gegründet, ist heute ein globaler Koloss, dem der Markt und der Wettbewerb arg zusetzen. Ergo müssen das Management um Konzernchef Oliver Blume und Markenchef Thomas Schäfer zu radikalen Massnahmen greifen: Kosten in Höhe eines mittleren zweistelligen Milliardenbetrags sollen aus der Organisation getilgt werden, zehntausende von Arbeitsplätzen stehen zur Disposition.

Erstmals überhaupt in der Geschichte will VW Werke in Deutschland schliessen, was ganze Regionen zu Brachen machen könnte. Erstmals seit 1994 wollen die VW-Cheflenker die Jobgarantie der Angestellten aufheben. Es wird nicht anders gehen: Toyota, vor Volkswagen die globale Nummer eins unter den Automobilherstellern, hat 2023 rund 2 Millionen Fahrzeuge mehr verkauft als VW. Und das mit rund halb so vielen Angestellten auf der Lohnliste.

Die deutsche Politik leistet dem fatalen Korporatismus Vorschub

Volkswagen hat also ein erhebliches Effizienzproblem, das sich auch mit den teils stolzen Aufpreisen, die Konsumentinnen und Konsumenten für Golf, Passat und Tiguan bezahlen, nicht länger übertünchen lässt. Und das hängt direkt mit dem überbordenden Einfluss zusammen, den Gewerkschaften im Konzern ausüben. Ohne den Betriebsrat geht bei VW – und in den meisten deutschen Unternehmen – gar nichts. Ein historischer Konstruktionsfehler, der in der Ära der faktischen Konkurrenzlosigkeit bestens funktionierte, sich im globalen Wettbewerb aber als fatale Radkralle entpuppt. Vom Staat, der bei VW – neben Porsche – nach wie vor als grösster Einzelaktionär mit am Steuer sitzt, ist keine Linderung zu erwarten. Im Gegenteil: Die deutsche Politik leistet dem fatalen Korporatismus gar noch Vorschub.

Und eben darin liegt die Warnung aus Wolfsburg, auch an die Schweiz: keine Industriepolitik, keine Verbrüderung von Staat und Wirtschaft, keine Kungeleien zwischen Arbeit und Kapital. Langfristig kommt das nicht gut. Dafür ist VW ein Fanal.