Das Restaurant sei einen Monat lang geschlossen, wegen Betriebsferien und Umbau. Deshalb gebe es bloss «leichte Verpflegung», erklärte der Wirt der «Sonne» per SMS.

Gasthäuser mit diesem Namen gibt es Hunderte. Man stösst auf bessere und schlechtere. Die Erwartung war, bestenfalls ein schmackhaftes Käsesandwich oder eine in die Gamelle geschöpfte Gerstensuppe zu erhalten. Doch was die zwei Gäste an diesem Donnerstag im Januar vorgesetzt bekommen, sprengt die Vorstellung von einer leichten Verpflegung.

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Denn der Wirt ist nicht irgendeiner, sondern der frühere SVP-Präsident Toni Brunner (47). Nach seinem Rücktritt im Bundeshaus vor vier Jahren war er von der Bildfläche verschwunden. Er lebte zurückgezogen. Doch wirklich verschwunden ist Brunner nicht. Er hat sich bloss vor dem Politrummel versteckt. Er nimmt kaum Anrufe entgegen und beantwortet E-Mails selten. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Bauer und Wirt und betreibt diesen Landgasthof zusammen mit seiner langjährigen Partnerin Esther Friedli. Sie ist St. Galler SVP-Nationalrätin. Das Politikerpaar ist also auch ein Unternehmerpaar.

Die beiden empfangen nicht nur Laufkundschaft, sondern auch Gäste aus Politik und Wirtschaft, von lokal bis national. Gern gesehen ist Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Das Wirtepaar ist es gewohnt, einfache Gastronomie auf hohem Niveau zu bieten.

Eine Frage von Erwartungen

Dabei spielt das Wirtepaar mit den Erwartungen. Der Gasthof Sonne trägt auch den Namen «Haus der Freiheit». Das klingt nach einem Wallfahrtsort der politischen Rechten oder nach dem Monte Verità der Aufrechten vom Lande in Auflehnung gegen die städtische Obrigkeit.  

Toni Brunners Haus der Freiheit

Der Landgasthof Sonne hoch über dem Tal bei Ebnat-Kappel SG: Der Koch produzierte ein Vier-Gang-Menü auf einem Holzofen.

Quelle: Andreas Valda

Als Gast hat man darüber hinaus die Erwartung, einen gut gelaunten Toni Brunner zu treffen: den blitzgescheiten Brunner, den man vom Fernsehen her kennt; Brunner, die politische Saftwurzel, obwohl er sagt, dass er das Kapitel Bundesbern definitiv abgeschlossen habe. Wir werden nicht enttäuscht.

Feng Shui im Toggenburg

Es beginnt mit der Ankunft. Unter den Pneus knirscht das Kies. Nach dem Abstellen des Motors wird es still. Es riecht nach Bergland, Schnee und Holzofen. Die Nachmittagssonne blendet intensiv. Das Panorama ist bedeutend. Der Gasthof steht an einem Südwesthang zum Alpstein. Das Toggenburg liegt einem zu Füssen. Südwärts erblickt man die Churfirsten und westwärts den Berg namens Speer.

Es sei dies der höchste Nagelfluhberg Europas, kommentiert Brunner. Das Wort erinnert an den Geologieunterricht. Und Brunner erinnert an Brunner. Er redet und lacht genau so, wie man ihn von Auftritten her kennt. Wir stehen auf dem Boden von Ebnat-Kappel.

Die Energie an diesem Ort ist fulminant. Die Chinesen würden es mit Feng Shui erklären. Die Orientierung der Gebäude, verwitterte Holzfassaden, gestapelte Holzscheite, eine schmale Landstrasse und kaum Verkehr; der Gasthof erinnert an die Zeit, als die Welt noch in Ordnung war.

Diese Karte spielt Brunner auch beim Essen aus. Einfach, urig und gut. Der pensionierte Koch, Sepp Hangartner, trägt das Gnägni, ein Leibchen vom Militärdienst. Er kocht einen Viergänger auf einem hundertjährigen Holzherd. Dazu serviert er im Haus gebackenes Brot aus dem Holzofen im Keller.

Toni Brunners Haus der Freiheit

Der Landgasthof Sonne hoch über dem Tal bei Ebnat-Kappel SG. Die Gaststube ist die Küche. 

Quelle: Andreas Valda

Das Menu beginnt mit einer schmackhaften Gemüsesuppe. Die Hauptspeise besteht aus einem gerösteten, dünnen Schüblig. Das Fleisch stammt von den Kühen Toni Brunners. Das ist die Eringer-Rasse, besser bekannt als Walliser Kampfkühe. Dazu gibt es Rösti von Kartoffeln aus dem Tal. Die gleiche Abstammung haben die gedünsteten Rüebli in zwei Farben. Als Dessert erhalten wir einen gebackenen Mandelfisch.

Bundesratswein zur Hauptspeise

Zum Essen serviert Brunner Wein vom Winzerhof des heutigen Bundesrates Guy Parmelin, der unterdessen von seinem Bruder Christophe geführt wird. Zum Aperitif gibt es den Chasselas «Vinzel», zum Hauptgang den «Gamaret» aus dem Eichenfass. Er nennt den Tropfen «Bundesratswein», was insofern stimmt, als dass diese Schweizer Rotweinsorte bis 2016 von den Gebrüdern Parmelin gemeinsam gekeltert wurde.

Als wären das Essen, die Weine und das Feuer nicht der Eindrücke genug: Der Raum, das sogenannte Alphüttli, ist ein Bijou. Eine hohe Decke, ein Boden aus Bohnenbrettern – und die Wände sind getäfert. Über den Köpfen hängen Kuhglocken, sogenannte Trycheln. Es sind dies Trophäen aus Kuhwettkämpfen, woran Brunner teilnimmt.

Thomas Matters Kuh soll trächtig werden

Das Unerwartete passiert dann tatsächlich: Brunner bittet die Gäste heraus und führt eine Kampfkuh aus einem Schuppen. Die gehöre Nationalrat und Banker Thomas Matter, sei hier in Pension, und man warte auf den richtigen Moment, um sie zu besamen. Zum Abschluss serviert er draussen in klirrender Kälte einen Schnaps zum Sonnenuntergang.

So vermischen sich Politik, Kulinarik, Landgefühl und gute Energie. Hier lässt es sich leben. Als Gast begreift man, wenn Brunner sagt, er habe kein Heimweh nach Bundesbern.

Der Besuch im «Haus der Freiheit» ist einen Nachmittag und Abend wert. Will man Toni Brunner oder Esther Friedli treffen, sollte man dies vorher vereinbaren. Wer nicht betrunken nach Hause fahren will, bucht besser ein Zimmer für die Nacht: Das «Haus der Freiheit» ist auch ein Hotel.

Vor der Abreise abends treffen dann doch noch Leute ein, wie man sich eine Verschwörung vorstellt. Gestandene Männer, die leise auftauchen, zwar freundlich grüssen, aber die Gäste auch vorsichtig mustern. Brunner sagt – nie um einen Spruch verlegen –, dass dieser Raum auch für Retraiten gebucht werde. Selbst Verwaltungsräte von Konzernen hätten hier schon ihre Strategien geschmiedet.

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