Vor einem Jahr erwischte es auch Manor: Der Elsässer Stéphane Maquaire übernahm überraschend die Chefposition von Betrand Jungo, der seit 2006 das Zepter in der Hand gehalten hatte. Einmal mehr ersetzte hierzulande ein Ausländer einen Schweizer in einer Chefposition. Die grösste Warenhauskette der Schweiz ist kein Einzelfall: Im April 2017 machte auch Harold Hunziker nach drei Jahren an der Spitze Schluss bei McDonald’s Schweiz. Nun herrscht der 57-jährige Jacques Mignault, seines Zeichens Kanadier, über die 165 Schweizer Standorte mit 7200 Mitarbeitern.
 
Einen Kulturbruch konnte man vor einem Jahr auch bei Nestlé beobachten: Erstmals seit mehr als 90 Jahren öffnete sich der grösste Lebensmittelkonzern der Welt bei der Suche nach einem neuen Chef für externe Kandidaten, die die Karriereleiter nicht innerhalb des Unternehmens emporgeklettert sind – und überraschte damit alle. Doch statt eines Schweizers kam erneut ein Ausländer zum Zug: Ausgesucht wurde der Deutsche Mark Schneider, der zuvor beim Medizinalkonzern Fresenius den Kurs massiv in die Höhe gehievt hatte. Mit dem Belgier Paul Bulcke als Präsident und Schneider als CEO ist der Traditionskonzern fest in der Hand ausländischer Führungskräfte, ebenso wie Roche mit dem gebürtigen Deutschen Christoph Franz als Präsident und dem Österreicher Severin Schwan im operativen Chefsessel.
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Immer mehr Ausländer auf der Führungsebene

Beim anderen Pharmariesen Novartis dominiert nach Abgang von CEO Joe Jimenez auch ein deutsch-amerikanisches Duo: Unter VR-Präsident Jörg Reinhardt kümmert sich seit dem 1. Februar der US-Forscher Vas Narasimhan um das Tagesgeschäft.
Vas Narasimhan

Vas Narasimhan: Der neue Novartis-Chef über den Dächern von Basel.

Quelle: Gian Marco Castelberg
Immer mehr Ausländer halten Einzug in die Schweizer Chefetagen und ersetzen dort heimisches Führungspersonal. Als BILANZ 2013 zum ersten Mal die 100 wichtigsten Persönlichkeiten – das «Who is who» – der Schweizer Wirtschaft kürte, zählte es noch 71 Köpfe mit Schweizer Pass. Heute, vier Jahre später, sind es 10 weniger. Hinzugekommen sind vor allem Deutsche, Amerikaner und Franzosen.
 
«In der Spitze der Schweizer Unternehmen sehen wir immer mehr Ausländer», sagt auch Kadervermittler Guido Schilling. Die jüngsten Daten seines alljährlich erscheinenden «Schillingreports» zeigen, dass 2017 in den grössten Schweizer Firmen mehr Ausländer in Geschäftsleitungen arbeiten als je zuvor: Seit 2006 erhöhte sich ihr Anteil kontinuierlich auf aktuell 45 Prozent. Von den Personen, die 2016 neu in Schweizer Geschäftsleitungen berufen worden sind, waren sogar knapp zwei Drittel Ausländer. Im Verwaltungsrat ist der Anteil niedriger: 39 Prozent der VR-Mitglieder kommen inzwischen von jenseits der Grenze, aber auch hier ist die Tendenz steigend.
Anteil der Ausländer in Managerpositionen von Schweizer Unternehmen
Quelle: Schillingreport 2017, Guido Schilling

«Wir haben zahlreiche innovative und internationale Unternehmen in der Schweiz, unser Wirtschaftspotenzial aber können wir nicht mit unseren Ressourcen an Humankapital ausschöpfen», erklärt Guido Schilling. «Der Pool an inländischen Arbeitnehmern ist schlicht zu klein.» Entsprechend sind Ausländer an der Spitze von Unternehmen unentbehrlich und ist die Schweiz auf die Migration exzellenter Führungskräfte aus dem Ausland angewiesen, «als Ergänzung zur eigenen Nachwuchsarbeit».

Sinkende Zuwanderung

Das gilt insbesondere in Bereichen, in denen es der Schweiz noch an Expertise und Know-how fehlt – etwa im Bereich der Digitalisierung. ABB beispielsweise holte sich im Oktober letzten Jahres den Amerikaner Guido Jouret als neuen Chief Digital Officer ins Boot. Der Internetexperte arbeitete lange im Silicon Valley, er war mehr als 20 Jahre für den Netzwerkausrüster Cisco tätig.
Guido Jouret ABB

Guido Jouret: Der Amerikaner verantwortet die Digitalisierungsstrategie des Schweizer Elektrotechnikonzerns ABB.

Quelle: ABB
Doch etwas überrascht: Obwohl die Zahl der Ausländer auf der Top-Management-Ebene steigt, nimmt gleichzeitig die Zuwanderung in die Schweiz ab. Gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Migration stieg die ausländische Wohnbevölkerung 2016 nur noch um gut 60'000 Personen. 2013 waren es noch 81'000, 2008 sogar rund 100'000 Einwanderer. Vor allem die Zuwanderung aus EU- und Efta-Staaten ist in diesem Jahr auf einem neuen Tiefstand: Rund 31'000 sind netto eingewandert – im Jahr 2013 waren es beinahe noch doppelt so viele. Wie passt das zusammen?

Andere Länder werden attraktiver

Das liegt einerseits an den geburtenschwachen Jahrgängen. Anderseits daran, dass Länder wie Deutschland wegen der dort florierenden Wirtschaft deutlich an Attraktivität gewonnen haben. «Die Schweiz war lange Zeit eine Insel der Glückseligen – vor allem als es in den Nachbarländern kriselte, zum Beispiel während der Euro-Schuldenkrise», sagt Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. «Inzwischen geht es den Ländern wieder besser, weswegen es für die Schweiz schwieriger geworden ist, Ausländer für eine Erwerbstätigkeit anzuziehen.»
 
Laut Philippe Hertig, Partner beim Kadervermittler Egon Zehnder, haben zudem die politischen Debatten wie die Masseneinwanderungs-Initiative der Schweiz geschadet. «Der Nimbus der Schweiz als ideales Land für oberste Führungskräfte ist schwächer geworden, die politischen Initiativen haben Kratzer am perfekten Image hinterlassen», sagt er. «Wir haben immer mehr Führungskräfte, die zunehmend Fragen stellen aufgrund der politischen Bewegungen, ob man als Ausländer überhaupt noch willkommen sei.»
Nationalität der ausländischen Geschäftsleitungsmitglieder in Schweizer Unternehmen
Quelle: Schillingreport 2017, Guido Schilling

Seit Jahren starke Internationalisierung

Die Schweiz hat bereits sehr früh damit begonnen, ihre Führungsebenen zu internationalisieren. «Wir haben deshalb traditionell eine starke Durchmischung auf allen Hierarchie-Ebenen», sagt Guido Schilling. Bereits im Mittelmanagement werden Schlüsselpositionen mit qualifizierten Ausländern besetzt. Viele der heutigen Führungskräfte sind also schon vor Jahren in die Schweiz gekommen. «Es sind Zuwanderer, die befördert werden. Sie haben nicht unbedingt einen Schweizer Pass, doch sie sind schon lange in der Schweiz.»
 
So schaffen es immer weniger gebürtige Schweizer auf die Top-Positionen – vor allem weil sich die Suche der Headhunter globalisiert hat. «In 95 Prozent der Fälle suchen wir heute international. Denn wir sind stets auf der Suche nach den Besten, und zwar weltweit. Der Pass spielt dabei im Vergleich zu anderen Kriterien eine eindeutig geringere Rolle als noch vor 20 Jahren», sagt Philippe Hertig. So seien etwa Führungskompetenzen deutlich wichtiger als die Herkunft. Hinzu kommt das Gesetz der grossen Zahlen: «Rein quantitativ gibt es weniger Schweizer, der Pool an deutschen oder amerikanischen Führungskräften ist einfach viel grösser.» Entsprechend höher sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-Schweizer den Top-Job bekomme.

Die Asiaten kommen

Zum Zug kommen allen voran Deutsche, aber auch Angelsachsen – wegen der sprachlichen Nähe und der kulturellen Affinität zu vielen Geschäftsmodellen. «In der Westschweiz haben wir als Hauptmigration entsprechend viele Franzosen», sagt Schilling. Doch immer mehr französische Führungskräfte fassen auch in der Deutschschweiz Fuss, wie der Blick ins «Who is who» zeigt: Der neue Manor-CEO Stéphane Maquaire ist nur ein Beispiel, ein anderes der Franzose Antoine de Saint-Affrique, der seit 2015 beim weltgrössten Schokoladenproduzenten Barry Callebaut in Zürich an der Spitze steht. Und bei der Credit Suisse hat seit Juli 2015 Tidjane Thiam, ein ivorisch-französischer Manager, das Sagen.
Antoine de Saint-Affrique

Antoine de Saint-Affrique: Der Franzpse steht an der Spitze des Schokoladeherstellers Barry Callebaut.

Quelle: Keystone
Und noch eine Volksgruppe ist im Anmarsch: die Asiaten. «Es gibt einen eindeutigen Trend, dass zunehmend asiatische Führungskräfte, vor allem Chinesen, in der Schweiz gefragt sind – und das vor allem auf der Ebene des Verwaltungsrates», sagt Kadervermittler Philippe Hertig. Der Grund: Alle grossen Unternehmen haben heute eine klare Asien- bzw. China-Strategie. «Entsprechend brauchen die Firmen die Expertise in ihren Reihen. Vor allem der Verwaltungsrat, der als oberstes Führungsorgan die Strategie definiert, muss über die regionalen Kompetenzen verfügen und wissen, wie man dort Geschäfte macht, und die politischen Bedingungen verstehen.»
Nationalität der ausländischen Verwaltungsratsmitglieder in Schweizer Unternehmen
Quelle: Schillingreport 2017, Guido Schilling

Ausschliessliche Suche nach Schweizern ist selten

Früh erkannt hat das etwa Sulzer: Beim Industriekonzern sitzt seit 2011 Jill Lee im Verwaltungsrat. Ab April 2018 wird die gebürtige Singapurerin dann den bisherigen Finanzchef und Deutsch-Schweizer Thomas Dittrich ersetzen. Gleichzeitig wird sie Mitglied der Geschäftsleitung. Auch Nestlé holte sich 2011 mit Wan Ling Martello mehr Asien-Know-how in die Führungsetage. Die Sinoamerikanerin amtete erst als Finanzchefin, ehe sie 2015 die Leitung der Region Asien, Ozeanien und Afrika übernahm.
 
«Natürlich berücksichtigen wir in unserer Suche auch Schweizer, aber dass wir ausschliesslich danach suchen, ist nur ganz selten der Fall», sagt Sabine Kohler, Beraterin beim Headhunting-Unternehmen Bjørn Johansson. «Dies kann etwa sein, wenn ein Unternehmen in der Schweiz sehr verankert ist und jemanden sucht, der die Kultur hier kennt und lebt oder die Sprache sehr gut beherrscht.» Eine Migros oder Coop, eine Post oder eine SBB mit einem Ausländer an der Spitze? Nicht unmöglich, aber doch eher schwer vorstellbar.
Jill Lee

Jill Lee: Wird neue Finanzchefin von Sulzer.

Quelle: ZVG

Internationalisierung als Konkurrenzvorteil

Dass Schweizer nicht ausreichend qualifiziert seien, sei hingegen nicht der Fall. Im Gegenteil: «Wir haben exzellente Schweizer Führungskräfte, die auch im Ausland sehr begehrt sind», so Sabine Kohler. «Unser Bildungssystem ist eines der besten der Welt, es holt das Maximum aus den Schweizern heraus», sagt auch Guido Schilling. So machen auch im «Who is who» Schweizer und Schweizerinnen mehr als die Hälfte der Einträge aus.
 
Für den Erfolg entscheidend ist für Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt vor allem die richtige Mischung: «Wenn sie nur noch ausländische Führungskräfte haben, dann werden Firmen verschiedene Opportunitäten in der Schweiz nicht nutzen können. Auf der anderen Seite ist unsere Wirtschaft mit dem kleinen inländischen Arbeitsmarkt immer auch auf ausländische Führungskräfte angewiesen.»
 
Die Ausländer bringen auch einen entscheidenden Konkurrenzvorteil gegenüber Firmen aus Deutschland, Frankreich oder den USA: «Durch die internationale Diversität auf Stufe der Geschäftsleitung haben Schweizer Firmen ein besseres Verständnis für unterschiedliche Märkte – eine Art multikulturelle Kompetenz», so Kadervermittler Philippe Hertig. Weil in anderen Ländern der Ausländeranteil deutlich geringer ist, fehlt den Firmen dort dieses Wissen. Für Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt ist die hohe Internationalisierung auch «ein Kompliment, denn sie spricht für die Attraktivität der Schweizer Firmen und den Arbeitsmarkt».

Salär nicht mehr entscheidend

Tatsächlich sind die grossen internationalen Unternehmen in Kombination mit der hohen Lebensqualität für viele Ausländer das ausschlaggebende Argument, in die Schweiz zu kommen. Das Salär ist zwar nach wie vor wichtig, längst aber nicht mehr der springende Punkt. «Wegen der demografischen Entwicklung und der florierenden Wirtschaft werden qualifizierte Führungskräfte auch im Ausland stark gebraucht. Das führt dazu, dass sie auch dort immer besser entschädigt werden», sagt Guido Schilling.
 
Vor allem muss das Gesamtpaket stimmen. «Ein Deutscher würde etwa nur in die USA gehen, wenn es für ihn auch finanziell attraktiv ist. Wenn er aber in die Schweiz kommen kann, ist er eher bereit, auf grosse Lohnsprünge zu verzichten, weil viele andere Faktoren stimmen – beispielsweise die steuerlichen Bedingungen, die Karrieremöglichkeiten für die Frau oder internationale Schulen für die Kinder», so Kadervermittler Philippe Hertig.

Integration von grosser Bedeutung

Doch all das wahrnehmen kann die Führungskraft nur, wenn sie auch bereit ist, sich an ihre neue Heimat anzupassen. «Ein CEO einer bekannten Schweizer Firma kann es sich nicht mehr leisten, sich nicht zu integrieren.» Wichtig sei es, sich in der Öffentlichkeit richtig zu positionieren. «Wenn man einen CEO hat, dem es egal ist, wie die Schweiz funktioniert, der sich auf die hiesige Kultur nicht einlässt, weil er die Gegebenheiten nicht begreift und akzeptiert, dann bekommt das Unternehmen rasch ein Reputationsproblem», sagt Hertig.
 
Bestes Beispiel dafür ist wohl Brady Dougan. Der ehemalige Chef der Credit Suisse führte die Grossbank acht Jahre, so lange wie nur wenige vor ihm. Und doch blieb der Amerikaner den Schweizern ebenso fremd wie die Schweiz dem Amerikaner. Deutsch lernte er nie, zu unwichtig, stattdessen zog es ihn immer wieder in Richtung USA. Viele Mitarbeiter haben sich durch Dougan nicht repräsentiert gefühlt und kritisierten sein Verhalten deshalb.
Brady Dougan

Brady Dougan: Der Amerikaner ist nie richtig in der Schweiz angekommen.

Quelle: Keystone
Heute ist das anders: «Die Unternehmen haben endlich realisiert, dass sie nicht im luftleeren Raum operieren können, sondern dass sie auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung haben, sodass sich ein CEO heute in der Schweiz integrieren und engagieren muss», sagt Hertig.
 
ABB-Chef Ulrich Spiesshofer scheint sich dessen bewusst zu sein: Schon vor längerem bewarb sich der gebürtige Deutsche um das Schweizer Bürgerrecht. Im Oktober 2016 war es dann endlich so weit: Medienwirksam während der 125-Jahr-Feier des Industriekonzerns bekam er den Schweizer Pass von Bundesrat Johann Schneider-Ammann überreicht. Der 53-Jährige engagiert sich hierzulande stark für das Thema Digitalisierung, hält dazu Vorträge und debattiert auf öffentlicher Bühne.
Ulrich Spiesshofer

Ulrich Spiesshofer am Europa Forum in Luzern: Der 53-Jährige engagiert sich hierzulande stark.

Quelle: Keystone

Ausländer sichern Arbeitsplätze

Guido Schilling sieht ein ganz anderes Problem auf die Schweiz zukommen: Die Nachfrage nach Führungskräften wird wegen der wachsenden Wirtschaft in der Schweiz zunehmen, das Angebot hingegen wächst weniger schnell. «Der Schweiz droht ein Mangel an Führungskräften, mit der Folge, dass Positionen in Firmen länger unbesetzt bleiben – länger, als es den Firmen gut tut.» Das Paradoxe daran: Die Öffentlichkeit merkt gegenwärtig davon noch nichts, weil sie nur wahrnimmt, dass immer mehr Ausländer Führungspositionen einnehmen. Dabei ist ein Teil dieser Top-Manager gar nicht aus dem Ausland gekommen, sondern lebt schon seit Jahren in der Schweiz.
 
Möglichst liberale Zugangsmöglichkeiten sind für Schilling daher zwingend notwendig. «Ausländer sichern unsere Arbeitsplätze. Kommen wir dem nicht nach, werden in den nächsten zehn Jahren die Unternehmen Teilgeschäfte ins Ausland verlagern», so der Kadervermittler.
 
Gut möglich also, dass wir in zehn Jahren ein grundlegend anderes «Who is who» vorfinden als heute. Eines, in dem die Asiaten immer mehr das Zepter übernommen haben und zunehmend die Schweizer verdrängen. Vorausgesetzt, die Schweiz schafft es nach wie vor, die Besten ins Land zu locken.
 
Die 100 wichtigsten Persönlichkeiten - das «Who is who» der Schweizer Wirtschaft - finden Sie hier.