Donald Trumps Zollpolitik wirkt auf den ersten Blick abstrus: Die Fixierung auf Güter und die Vernachlässigung von Dienstleistungen ist frivol. Die US-Zölle – allgemein 10 Prozent, für einige Branchen 25 Prozent und für China 145 Prozent – bringen den US-Konsumenten höhere Preise und schaden vielen US-Unternehmen. Sie müssen die Vorleistungen aus China hoch verzollen, ihre europäischen und asiatischen Konkurrenten aber nicht. Und die Reindustrialisierung der USA wird kaum erreicht. Der Aufbau neuer industrieller Kapazitäten braucht Zeit, Vertrauen und Fachkräfte. Das alles fehlt angesichts Trumps kurzer Restlaufzeit, seines erratischen Verhaltens und der Arbeitsmarktsituation. Zudem dürften viele ausländische Firmen die Zolllast mindern, indem sie bei ihren Lieferungen den Güteranteil tief und den Dienstleistungsanteil hoch rechnen.

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Sind also Trump und seine Truppe völlig von Sinnen? Da Trump im Vergleich zu den meisten seiner Kritiker erfolgreicher Karriere als Politiker, Unternehmer und Entertainer machte, könnte es sein, dass er eine Strategie hat. Strategien zu interpretieren, ist aber schwierig. Dies zeigt das Streitgespräch zwischen den Herren Trump, Vance und Selenski. Da schimpften die meisten Beobachter, dass Trump und Vance nur unflätig und dumm waren und auch Selenski patzte. Aber war es nicht ganz anders?

Die drei Herren hatten wohl ein gemeinsames Ziel: Alle wollten bald Frieden, auch unter Aufgabe von ukrainischen Gebietsansprüchen. Aber alle wussten, dass Selenski ein Machtverlust drohte, wenn er Land für Friedenshoffnung opfert. Das Streitgespräch hat das geändert. Es war so angelegt, dass sowohl Trump als auch Selenski vor ihrer eigenen Wählerschaft voll auftrumpfen konnten. Selenski konnte die ukrainische Position preisen und Putin verdammen. Das Resultat war genau das erträumte: Selenski wurde dank des Vorfalls als praktisch zum Deal gezwungen angesehen. So konnte er den Schritt zu Friedensverhandlungen wagen – und das mit grossem Popularitätsgewinn statt -verlust.

Der Gastautor

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts. Die Ansichten der Gastautoren können sich von jenen der Redaktion unterscheiden.

Ist der Zollstreit nun auch Schaukampf? Was ist mit folgender Interpretation? Trump sieht drei grosse Probleme: Chinas Aufrüstung gefährdet die Macht der USA und den Weltfrieden, Chinas Protektionismus und Subventionitis stärkt den Einfluss des Regimes auf Kosten des Volkes, und der Westen kann sein wirtschaftliches und militärisches Potenzial nicht entfalten – unter anderem wegen eigener Handelshemmnisse, Überregulierung und ineffektiver Klimapolitik.

In dieser Situation wäre ein Zollangriff allein auf China wenig sinnvoll. Es erschiene als direkte Aggression, die Xi Jinping relativ einfach durch Handel über andere Länder umgehen könnte. Da war ein weltweiter Zollangriff viel effektiver. Er brachte alle dazu, bei den USA um Freihandel zu betteln. Einzig für Xi mit seinen besonders hohen Handelsschranken und -volumen war es attraktiv, die Eskalation zu wählen. Das erlaubte Trump, mit den Zöllen noch nachzuziehen und China zu isolieren.

Jetzt fehlt nur noch ein Puzzleteil: China wird versuchen, die Zölle durch Dreieckshandel zu umgehen; in vielen Ländern freuen sich die Produzenten ja schon, dass sie von den Zöllen weniger getroffen werden als die US-Produzenten. Aber genau das wird Trump als Nächstes zu unterlaufen versuchen. So, wie die USA das Nichteinhalten von Sanktionen mit Sekundärsanktionen bestrafen, werden sie auch versuchen, die Profiteure ihrer Zölle gegen China zu zwingen, gegen China die gleichen Zölle wie die USA einzuführen. Das wird die Wirtschaft Chinas und so die Basis für die militärische Macht schwächen. Xi wird es aber freuen, denn endlich hat er einen Sündenbock für seine Wirtschaftsmisere und kann sich in Ruhe dem Machterhalt in China widmen.