Herr Hirzel, am Freitag entschied der Bundesrat seine neue Strategie im Vorgehen mit China. Sind Sie happy damit?
Martin Hirzel: Für mich ist die China-Strategie des Bundesrates ein sinnvoller und pragmatischer Ansatz, wie die Beziehungen zum drittwichtigsten Handelspartner der Schweiz und dem zweitmächtigsten Land der Welt künftig gestaltet werden sollen. Die Stossrichtung stimmt.
Nimmt das Verhältnis Schweiz – China Schaden?
Ich hoffe nicht. Der Bundesrat wählt im Verhältnis zu China den richtigen Ton. Es braucht einen konstruktiv-kritischen Dialog, und zwar hinter verschlossenen Türen. Nur so hat die Schweiz eine Chance, sich Gehör zu verschaffen und die Weiterentwicklung Chinas zu unterstützen.
Wie wichtig ist Chinas Markt für die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie?
Chinas Markt hat für uns eine sehr grosse Bedeutung. Fast 7 Prozent unser Exporte gehen nach China. Das Land ist der drittgrösste Abnehmer der Schweizer Industrie, nach Deutschland und den USA. In den letzten 20 Jahren hat sich das Exportvolumen von einer Milliarde auf 4 Milliarden Franken erhöht.
Operieren Schweizer Firmen von hier aus?
Nicht nur. Alle bedeutenden Schweizer Industriefirmen und auch viele KMU haben in China eine lokale Präsenz aufgebaut. Ich kenne Schweizer Firmen, die erzeugen einen Viertel ihres Umsatzes allein in China.
Die Technologiefirma will Europas Solarindustrie wiedererwecken. Und als grösster Solarzellenhersteller des Kontinents den Chinesen Paroli bieten.
Daran hat Covid-19 nichts verändert?
Im letzten Frühling schon. Es gab einen Einbruch der Exporte. Aber Firmen, die bereits mit China im Geschäft waren, haben die Delle danach sehr schnell wettgemacht. Wirklich ärgerlich ist die 14-tägige Quarantäne, die man nach der Einreise als Schweizer in China einhalten muss. Dies bremst den persönlichen Kontakt unter Fachleuten enorm. Das ist ein Nachteil, denn persönliche Beziehungen bedeuten den Chinesen sehr viel.
Logistiker Kühne + Nagel kaufte einen grosse Transportfirma in China für 1.5 bis 2 Milliarden Franken. Gibt es solch grosse Deals in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie?
Früher war der Markteintritt nur über ein Joint Venture möglich. Heute schaffen diesen immer mehr Schweizer Industrieunternehmen über Akquisitionen oder über die Gründung einer eigenen Tochterfirma. Ein Beispiel ist Burckhardt Compression. Das Unternehmen hat jüngst die restlichen 40 Prozent seiner chinesischen Tochter Shenyang Yuanda übernommen, an der man seit 2016 mit 60 Prozent beteiligt war.
Sie sprechen für Schweizer Firmen. Aber im Verband gibt es auch chinesische Akteure?
Ja, wir haben Mitglieder, die grossmehrheitlich chinesisch beherrscht sind. Letzte Woche ging ich ein solches Unternehmen besuchen. Die Schweizer im Betrieb sagten mir, sie seien alle sehr zufrieden. Der chinesische Investor betreibe das Geschäft mit einer sehr langfristigen Perspektive. Chinesen sind keine Micromanager.
Geht in solchen Firmen Schweizer Hi-Tech an die Chinesen verloren?
Jede Schweizer Firma, egal ob sie einen hiesigen oder ausländischen Eigentümer hat, muss innovative Produkte herstellen. Das ist unsere Stärke in der Schweiz. Nur so können wir das hier hergestellte Produkt - das meist teurer ist als ein chinesisches Konkurrenzprodukt - in China erfolgreich verkaufen. Dasselbe gilt auch für andere Märkte. Die Innovation ist entscheidend, nicht der Eigentümer.
Hat man als Schweizer Firma denn eine Chance, sich gegen Technologieklau in China zu wehren?
Ich war sieben Jahre in China, für den Textilmaschinenbauer Rieter und für den Autozulieferer Autoneum tätig. Als Schweizer Firma ist man einer harten Konkurrenz ausgeliefert. Aber kommt es zu Technologiediebstahl, kann man sich heute als Schweizer vor chinesischen Gerichten erfolgreich wehren. Ich kenne viele Fälle, in denen das Gericht Urteile zugunsten von Ausländern und gegen chinesische Kopierfirmen gefällt hat. Warum? Weil China aus der Schmuddelecke der Technokopierer herauskommen und auch die Innovationen chinesischer Firmen schützen will. Da gibt es viel Druck von ganz oben. Der Hi-Tech-Klau ist nicht mehr das Hauptproblem für Schweizer Firmen.
Kommt man ohne Partner aus?
Ich habe schon alles gemacht in China: eine Firma ganz neu aufgebaut, ein Joint-Venture gegründet und Firmen akquiriert. Ich empfehle jedem, in China eine Firma von Grund auf aufzubauen. So hat man unter anderem die Kontrolle über das strategisch wichtige Knowhow.
Economiesuisse-Präsident Mäder sagte zur «Handelszeitung», dass es in China bis dato «kein freies Investieren» gibt. Und dies, obwohl wir vor 8 Jahren ein Freihandelsabkommen vereinbart hatten. Wie kommt das?
Das Freihandelsabkommen von 2013 ist ein super Türöffner. 95 Prozent unserer Exporte werden schrittweise vom Zoll befreit. Dies bringt uns einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der EU und den USA. Doch dies ist nicht der Hauptvorteil. Dem Abkommen kommt grössere symbolische Bedeutung zu, weil wir den chinesischen Geschäftspartnern in den Provinzen sagen können: Schaut her, ihre Regierung hat mit unserem Land ein Abkommen geschlossen. Damit schafft man Vertrauen und hat einen Imagegewinn.
Gewissermassen der Stempel der Regierung...
Genau. Der gleiche Effekt ist übrigens mit Städtepartnerschaften auszumachen, die bei uns öfters belächelt werden. In China sind sie lokal wichtig. Und das Freihandelsabkommen eben auch, es sind Türöffner: In China steht die Beziehungspflege über einem Vertrag.
Schweizer Firmen sind oft gezwungen, ein Joint-Venture mit chinesischen Firmen einzugehen.
Die chinesische Regierung hat einen Wandel vollzogen. In etlichen Branchen dürfen Schweizer Firmen die Tochterfirmen ganz erwerben. Dies war etwa bei Bucher Industries der Fall. Das Unternehmen hat gleich mehrere chinesische Firmen in unterschiedlichen Branchen zu 100 Prozent übernommen.
Doch jetzt will das Schweizer Parlament eine Investitionsschutzkontrolle.
Dies ist befremdend: China hat in den letzten Jahrzehnten seine Wirtschaftsgesetze kontinuierlich liberalisiert. Und nun marschieren die Schweiz, die EU und die USA in die andere Richtung. Sie führen Investitionsschutzkontrollen ein, um sich vor Akquisitionen aus Chinas zu schützen. Ich rate dem Parlament dringend vor einem allzu restriktiven Gesetz ab. Ein solcher Schritt wäre kontraproduktiv, den Schweizer Firmen würden in China dann noch mehr Hürden erleben, als dies heute der Fall ist.
Und wo bleiben die Menschenrechte in China?
Die gibt es. Die Menschen in China leben ja nicht in Knechtschaft. Das gilt insbesondere im Vergleich zur Zeit von Mao. Heute geniessen die Chinesen beispielsweise internationale Reisefreiheit. Es gibt gut bezahlte Arbeit, erstklassige Bildungsmöglichkeiten und das private Eigentum ist geschützt. Der Lebensstandard hat sich für die breite Bevölkerung in den letzten dreissig Jahren massiv verbessert. Noch 1990 lebten gemäss Weltbank 66 Prozent in bitterster Armut. Heute sind es noch 0,5 Prozent. Aber ja. Die Entwicklungen gingen in den letzten Jahren in die falsche Richtung – insbesondere dramatisch in Hongkong oder bei den Uiguren.
Aber nicht für alle, oder. Über die Zensur im Internet gibt es viele Berichte.
Ich habe eine hohe Affinität zu China, viele Freunde dort und habe auch Chinesisch gelernt, um mich zu verständigen. Es schmerzt mich, dass Menschenrechte in China nicht respektiert werden. Als Firma wäre ich derzeit vorsichtig, mit Akteuren aus der Provinz Xinjiang zu handeln. Aber als Schweizer Firma hat man immer nur Einfluss auf seine Firma selber. In meiner Erfahrung halten sich die Schweizer Industriefirmen in China nach bestem Wissen und Gewissen an alle nationalen und internationalen Gesetze. Sie achten darauf, dass sie nur mit Partnern zusammenarbeiten, die ihre Mitarbeitenden fair behandeln und geltendes Recht einhalten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sowie hinsichtlich des Verbotes von Zwangs- und Kinderarbeit.
Müssen Schweizer Firmen die Menschenrechtslage ansprechen?
Ein CEO vor Ort kann die Menschenrechte nicht ansprechen. Dies ist nicht der Ort dafür. Sein Gegenüber könnte die Situation sowieso nicht beeinflussen. Die Menschenrechtslage anzusprechen, ist die Aufgabe der Politik. Was der Bundesrat tun kann, ist zu sagen, dass gewisse Werte in der Schweiz anders sind als in China und dass wir das dortige repressive Vorgehen nicht akzeptieren. Ich erwarte dies sogar. Wir, als Land, müssen nicht kuschen. Ein solcher Dialog kann aber nicht über die Medien geführt werden. Denn für China ist das Gesicht verlieren schlimm. Was dumm wäre, ist China Steine in den Weg zu legen. Wir würden uns so nur selber schaden.
Zur Person:
Martin Hirzel ist 51 Jahre alt. Er ist in der Stadt Zürich aufgewachsen.
Er ist seit Januar Präsident Swissmem.
Darüber hinaus ist er heute Verwaltungsrat von Bucher (seit 2018) und bei Dätwyler (seit 2021).
Breit bekannt wurde er als Konzernchef des Autozuliefererkonzerns Autoneum. Diese Aufgabe führte er von 2011 bis 2019.
Sein Werdegang:
1997 - 1999 in Winterthur, als Controller bei Rieter
Von 2000 bis 2007 war in China, zuerst als Leiter der Texilsparte Rieter, dann für Autoneum, eine frühere Sparte von Rieter.
Von 2007 bis 2011 verbrachte er mehrheitlich in Brasilien für Autoneum. Dort war er Leiter für Südamerika, Mittlerer Osten und Afrika
Ausbildung:
1989 KV bei einer Handelsfirma, Rahn.
1997 Betriebsökonom ZHAW
2010 Harvard Business School, GMP
Andere Funktionen:
Leiter Beirat, ZHAW School of Management & Law
Mitglied des regionalen Beirates der Schweizerischen Nationalbank