Für den Kampf gegen die Pandemie unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten für die Corona-Impfstoffe. Die USA stünden hinter dem Schutz geistigen Eigentums, aber die Pandemie sei eine globale Krise, die ausserordentliche Schritte erfordere: Dies erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Das Ziel sei, «so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen», sagte Tai.
Am Donnerstag folgte die EU mit Unterstützungs-Signalen: Die Pandemie müsse pragmatisch angegangen werden, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Rede in Florenz. «Wir sind bereit zu diskutieren, wie der US-Vorschlag, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe auszusetzen, dazu beitragen kann, dieses Ziel zu erreichen.»
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, nannte den Schritt der USA «historisch». Damit könne der globalen Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe begegnet werden, um gemeinsam daran zu arbeiten, «diese Pandemie zu beenden», schrieb er auf Twitter. Hilfsorganisationen, darunter zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, hatten zuvor vehement eine Aussetzung der Patente gefordert.
Druck auf EU steigt
Die Handelsbeauftragte Tai erklärte, die USA würden sich im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) für die Erstellung eines Abkommens zur Aussetzung der Patente einsetzen. Wegen des Konsensprinzips der WTO und der Komplexität der Materie könnte dies aber zeitaufwendig werden, warnte sie.
Den USA kommt bei den Verhandlungen als weltgrösste Volkswirtschaft eine Schlüsselrolle zu; eine Einheit mit der EU dürfte das Pendel noch weiter ausschwingen lassen. Obendrein hält die US-Regierung nach Medienberichten über das Forschungsinstitut NIH die Rechte an einer Erfindung, die als Voraussetzung der modernen mRNA-Impfstoffe der Hersteller Moderna und Biontech/Pfizer gilt.
Langfristige Produktion ankurbeln
Mehr als 100 WTO-Mitgliedsländer wollen die Patente für die Impfstoffe aussetzen, damit mehr Firmen in mehr Staaten Impfstoffe herstellen können. Wichtige Herkunftsländer der Pharmaindustrie wie auch die USA blockierten das von Südafrika und Indien angestossene Vorhaben bislang. Ärmere Staaten werfen den Industrieländern vor, die vorhandene Impfstoffproduktion aufgekauft zu haben und eine Erhöhung der Produktion durch den Schutz der Patente unmöglich zu machen.
Der Kursschwenk der US-Regierung dürfte nicht kurzfristig zu mehr weltweit verfügbaren Impfstoffen führen. Sollte sich die WTO aber auf eine Aussetzung der Patente einigen, könnte dies die langfristige Produktion deutlich ankurbeln. Tai erklärte zudem, die US-Regierung werde sich nun, da die Versorgung der eigenen Bevölkerung garantiert sei, weiter in Zusammenarbeit mit den Unternehmen dafür einsetzen, die Produktion anzukurbeln. Wir werden «auch daran arbeiten, die Produktion der für die Herstellung der Impfstoffe nötigen Rohstoffe zu steigern», erklärte sie weiter.
Aktien der Impfstoffhersteller brechen ein
Konkret geht es bei dem Streit bei der WTO in Genf um das Übereinkommen zu handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen). Mit diesen und anderen Vereinbarungen will die WTO den freien Handel in geordnete Bahnen regeln.
Die Vertretung der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) kritisierte die Entscheidung der Regierung als «beispiellosen Schritt, der unseren globalen Kampf gegen die Pandemie untergräbt». Das Vorgehen werde keine Leben retten, sondern die Lieferketten der Hersteller weiter schwächen und zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen, warnte Verbandschef Stephen Ubl. Aktien der Impfstoffhersteller Pfizer, Moderna und Novavax brachen nach Tais Ankündigung teils deutlich ein.
Investitionen in Forschung refinanzieren
Hersteller wie Pfizer und Moderna machen mit ihren Impfstoffen bereits satte Gewinne. Sie argumentieren, dass Patente nötig seien, um die hohen Investitionen der Forschung zu refinanzieren. Zudem führe eine Aufhebung der Patente nicht automatisch zu mehr Impfstoff, erklären die Pharmakonzerne.
Sämtliche qualifizierten Hersteller seien bereits mit Lizenzen in die Produktion eingebunden, heisst es. Zudem sei vor allem die Produktion der mRNA-Impfstoffe sehr komplex. Sie argumentieren auch, dass für ein Ankurbeln der Produktion derzeit viele Rohstoffe fehlten, die für die Herstellung nötig seien. Weil derzeit bereits ein Vielfaches der normalen Impfstoffproduktion laufe, gebe es viele Lieferengpässe.
Internationaler Pharmaverband «enttäuscht»
Der internationale Pharmaverband IFPMA sprach am Mittwoch von einer «enttäuschenden» Entscheidung. Die Aussetzung der Patente sei eine «simple aber falsche Lösung für dieses komplexe Problem» und würde die Produktion der Impfstoffe nicht erhöhen, erklärte der Verband.
Die Europäische Union hatte in dem WTO-Streit um die Aussetzung der Patente zuletzt um mehr Lizenzverträge zwischen Entwicklern und Herstellern geworben. Der Kurswechsel der USA dürfte die EU, in der viele grosse Pharmakonzerne angesiedelt sind, unter Zugzwang setzen.
(sda/gku/rap)
2 Kommentare
Es mag schon sein, dass es eine Schnapsidee ist. Es darf aber bei der ganzen Pandemie-Bekämpfung nicht vergessen werden, dass die Pharmahersteller mit Milliarden von Steuergeldern bei der Suche nach einem Impfstoff unterstützt wurden. Alleine die USA hat den verschiedenen Pharmafirmen annähernd 4 Mrd USD für die Entwicklung des Impfstoffes zur Verfügung gestellt. Somit kann es ja auch nicht sein, dass die Kosten geteilt werden und der Profit dann bei den Herstellern bleibt.
"(TRIPS-Abkommen) Mit diesen und anderen Vereinbarungen will die WTO den freien Handel in geordnete Bahnen regeln."
Ein Markt mit Patenten ist eben streng genommen nicht mehr ein freier Markt sondern ein staatlich regulierter Markt in dem der Staat 20-jährige Monopole vergibt.