Die katalanische Regierung unterhält eine eigene Vertretung in Frankreich und der Schweiz. Was ist Ihre Funktion?
Martí Anglada*: Unser Ziel ist die Förderung der katalanischen Wirtschaft und Kultur. Wir wollen auf allen Ebenen den Austausch zwischen der Schweiz und Katalonien vorantreiben. Unsere Vertretung ist vergleichbar mit einer Botschaft.
Und Sie sind gewissermassen der Botschafter von Katalonien?
Genau. Ich komme etwa einmal pro Monat in die Schweiz. Wir repräsentieren eine wichtige Region Europas. Wir sind aber keine offizielle Botschaft. Es ist wichtig festzuhalten, dass wir uns genau an die gesetzlichen Vorgaben halten. Das spanische Verfassungsgericht hat bestätigt, dass Katalonien seine Interessen im Ausland mit gewissen Einschränkungen selber wahrnehmen darf. Wir loten die Grenzen aus, aber überschreiten sie nie.
Warum braucht Katalonien überhaupt eine eigene Vertretung in anderen Ländern? Kann das nicht Spanien übernehmen?
Wir Katalanen fühlen uns schon lange zu schwach vertreten. Manchmal stehen die Interessen der spanischen Diplomatie sogar in offenem Widerspruch zu katalanischen Interessen.
Wie sieht es denn aus mit den wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz?
Ich zeige Ihnen einige Zahlen, die Sie überraschen werden (sucht in seinem Dossier). Sehen Sie diese Import-Export-Tabelle? Rund 55 Prozent aller spanischen Exporte in die Schweiz kamen 2014 aus Katalonien. Und auch bei den Importen liegt die Quote über 50 Prozent. Es besteht also durchaus ein reger Austausch.
Ihre Regierung tritt ja für die Unabhängigkeit Kataloniens ein. Hat die eigenständige Diplomatie auch damit zu tun?
Zunächst möchte ich präzisieren. Die grössere der zwei Regierungsparteien, die CDC, ist für die Unabhängigkeit, während sich der kleinere Partner UDC noch nicht auf eine Position festgelegt hat. Aber ja, die Mehrheit der Regierung und auch der Präsident wollen die staatliche Souveränität für Katalonien.
Und Sie?
Ich bin gleicher Meinung. Aus meiner Sicht gibt es zu diesem historischen Zeitpunkt keine Alternative zur katalanischen Unabhängigkeit. Es gibt kein Weg zurück.
Was sind denn die Hintergründe für die neue Stärke der Unabhängigkeitsbewegung? Machen die Katalanen es sich nicht zu einfach, wenn sie Spanien für die Wirtschaftskrise verantwortlich machen?
Darum geht es uns nicht. Weder Spanien noch sonst irgendein Land ist alleine an der Krise schuld. Es ist aber klar, dass Katalonien die Krise als unabhängiger Staat besser gemeistert hätte.
Warum?
Die Lasten werden von der Regierung in Madrid sehr unfair verteilt. Katalonien erwirtschaftet rund 19 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes, doch im letzten Jahr wurden uns 23 Prozent der Einsparungen infolge der Krise aufgezwungen. Unsere Regierung erhält weniger Geld, als ihr zustehen würde und so haben wir viel schwerer an den Folgen der Krise zu tragen, als die anderen Regionen von Spanien.
Ist es nicht unsolidarisch, wenn Deutschland und andere reiche EU-Staaten für die Krisenländer aufkommen sollen, aber Katalonien nicht einmal dazu bereit ist, ärmere Regionen des eigenen Landes zu unterstützen?
Unsere Belastung ist einfach viel zu hoch. Wir sind ja nicht nur stark von den Sparmassnahmen betroffen, sondern leisten auch noch sehr hohe Transferzahlungen. Jedes Jahr bezahlen wir 16 Milliarden Euro für die Entwicklung der anderen Regionen Spaniens, das sind etwa acht Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Es gibt kein anderes Land und keine Region in Europa, die so stark zur Kasse gebeten werden.
Aber da geht es doch um Solidarität mit den armen Regionen von Spanien?
Sogar wenn wir unabhängig wären, würden wir weiter den armen Regionen Spaniens helfen. Das hat unsere Regierung immer wieder klargemacht. Aber acht Prozent des BIP? Das hat nichts mehr mit Solidarität zu tun. Dafür gibt es ein anderes Wort. Welches das ist, müssen Sie selbst entscheiden.
Die Unabhängigkeitsbewegung verfolgt also mehrheitlich wirtschaftliche Ziele?
Die wirtschaftlichen Fragen mögen eine Rolle spielen, doch der Hauptgrund ist politischer Natur. Wann begannen die Massendemonstrationen? Nicht 2007, als die Krise anfing, sondern 2010. Damals hat das spanische Verfassungsgericht das Grundgesetz von Katalonien für verfassungswidrig erklärt und zusammengestrichen.
Was ist dann passiert?
Dieser Entscheid wurde zum Wendepunkt für die Bewegung. Vor 2010 waren knapp 25 Prozent für die Unabhängigkeit. Heute sind es bereits 45 Prozent. Lange glaubten die meisten Katalanen, dass ein katalanischer Sonderweg innerhalb der spanischen Verfassung möglich wäre. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen.
Die EU hat aber klar gemacht, dass Katalonien kein EU-Mitglied wäre.
Nicht die EU, sondern Herr Barroso und seine Leute haben das gesagt. Jean-Claude Juncker, der neue Kommissionspräsident, ist in der Sache bisher neutral geblieben und hat sich nie offiziell dazu geäussert.
Trotzdem könnte Spanien einem unabhängigen Katalonien viele Steine in den Weg legen und beispielsweise die Aufnahme des Landes in die EU verhindern.
Natürlich gibt es ein Risiko. Aber kein grosses Unterfangen ist jemals ohne Risiko. Ausserdem bin ich überzeugt, dass die Gefahr gering ist. Es ist nirgends festgelegt, was passiert, wenn sich ein Gebiet von einem EU-Staat abspaltet. Und es gibt auch keine Möglichkeit, europäischen Bürgern das europäische Bürgerrecht deswegen zu entziehen. Mit der Erlangung der Unabhängigkeit würden wir Neuland betreten. Es gibt kein Muster und keinen Präzedenzfall, was dann passieren würde.
Und wenn sich Spanien querstellt?
Spanien sitzt auf einem gewaltigen Schuldenberg. Ein Nein aus Madrid zu Verhandlungen würde ein Erdbeben in der Eurozone auslösen. Und das liegt bestimmt nicht im Interesse der anderen Mitgliedsländer. Der Druck auf Spanien wird deshalb riesig sein, gemeinsam mit uns eine Lösung zu suchen.
Könnten die Unabhängigkeitsbestrebung von Katalonien nicht das ganze Gebilde der EU zum Einstürzen bringen?
Im Gegenteil. Zunächst muss man festhalten, dass die Katalanen sehr proeuropäisch eingestellt sind. Sie werden also in der EU bleiben wollen. Und ein feiner gegliedertes Europa kann letztlich nur positiv sein. Die kleinräumige politische Gliederung ist ja auch ein Erfolgsrezept der Schweiz. Föderale Staaten wie die Schweiz oder auch Deutschland stehen heute wirtschaftlich viel besser da, als die stärker zentralisierten Länder der EU.
*Martí Anglada i Birulés ist Vertreter der katalanischen Regierung in Frankreich und der Schweiz. Zuvor war er 39 Jahre lang Korrespondent und Journalist bei La Vanguardia und beim katalanischen Fernsehsender TV3. Martí Anglada gehört keiner politischen Partei an.