Die Wahl der Krankenkasse kann in der Schweiz über Leben und Tod entscheiden. Gerade bei Krebstherapien oder bei seltenen Krankheiten bezahlen nicht alle die gleichen Behandlungen. Beim sogenannten Off-Label-Use herrscht nach wie vor Wildwuchs.
Es handelt sich dabei um Therapien mit Medikamenten, die für ein anderes als das zugelassene Krankheitsbild verabreicht werden. Die gleichen Probleme gibt es mit Medikamenten, die nicht von der Grundversicherung gedeckt oder in der Schweiz gar nicht zugelassen sind.
Off-Label-Use: Jeder dritte Krebspatient
Gerade in der Krebstherapie spielt Off-Label-Use eine grosse Rolle: Die Krebsliga schätzt, dass jeder dritte Krebspatient auf diesem Weg behandelt wird. Gemäss einem am Freitag veröffentlichten Bericht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) dürften es jährlich 6000 bis 8000 Therapien sein.
Zunächst stützte sich der Off-Label-Use auf Urteile des Bundesgerichts. Seit 2011 definiert die Verordnung über die Krankenversicherung, wann die Krankenkassen die Kosten für die Medikamente übernehmen müssen.
Weil diese Zehn- oder Hunderttausende Franken kosten können, hängt von einer Kostengutsprache unter Umständen das Leben der Patientinnen und Patienten ab. Umso wichtiger ist gemäss dem Bericht beim Off-Label-Use die Rechtsgleichheit.
Medikamentenwahl hängt am Vertrauensarzt
Die Verordnungsänderung hat zwar zu einer gewissen Vereinheitlichung bei den Kostengutsprachen geführt, wie der Bericht feststellt. Sofern die nötigen Informationen vorliegen, wird der Entscheid in der Regel auch innert nützlicher Frist gefällt. Der Bericht zeigt aber auch auf, wo es noch immer nicht rund läuft.
Beispielsweise entscheidet je nach Krankenkasse der Vertrauensarzt allein oder zusammen mit Stellen der Versicherung. Bei der Beurteilung des therapeutischen Nutzens – eines wichtigen Kriteriums für einen positiven Entscheid – wenden die Vertrauensärzte unterschiedliche, teilweise umstrittene Modelle an. Dass dies zu unterschiedlichen Resultaten führen kann, zeigt die je nach Krankenkasse stark variierende Gutheissungs-Quote.
Zweiklassenmedizin
«Eine Gutheissung hängt unter Umständen von der Tagesform des Vertrauensarztes ab», sagte Enea Martinelli, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweizerischer Amts- und Spitalapotheker, der Nachrichtenagentur sda. Er hat erlebt, dass eine Krankenkasse bei gleicher Ausgangslage in zwei Fällen unterschiedlich entschieden hat.
Der Sinn des Krankenversicherungsgesetzes, alle Leute gleich zu behandeln, sei damit nicht mehr erfüllt. Martinelli spricht in dem Zusammenhang von Zweiklassenmedizin – abhängig nicht vom Einkommen, sondern von Krankenkasse und Vertrauensarzt.
Konkretisierung der Anforderungen
Auch der Bericht sieht Handlungsbedarf: Je weniger Personen und Stellen in den Entscheid involviert sind, umso besser sind die Voraussetzungen für eine einheitliche Beurteilung, heisst es. Auch die Verwendung des gleichen Modells zur Beurteilung des therapeutischen Nutzens mache eine «rechtsgleiche Behandlung» wahrscheinlicher.
Darüber hinaus empfiehlt der Bericht einen regeren Austausch und mehr Fachdiskussionen unter den Vertrauensärzten, eine elektronische Fallführungsplattform oder die Konkretisierung des Begriffs «therapeutischer Nutzen». Diese Massnahmen könnten auch vom Bund eingefordert oder verordnet werden, hält der Bericht fest.
Unnötig hohe Preise
Wildwuchs gibt es auch bei den Preisen: In der Regel wird dieser für jeden einzelnen Fall zwischen Krankenkasse und Pharmaunternehmen ausgehandelt. Der Bericht stellt fest, dass ein Teil der Versicherer selten oder nie den verlangten Höchstpreis bezahlt. Andere hingegen verzichteten ganz auf Preisverhandlungen, was unnötige Kosten für die Prämienzahler bedeutet.
Eher selten kommt es jedoch vor, dass sich Versicherer und Hersteller nicht über den Preis einigen können und eine Behandlung aus diesem Grund nicht durchgeführt wird. Dazu, dass eine Therapie rasch aufgenommen werden kann, könnten jedoch auch Ärzte und Spitäler beitragen. Gemäss den befragten Versicherern verzögern in vielen Fällen ungenau oder unvollständig begründete Gesuche einen Entscheid.
Versicherungsunabhängige Vergütung vorgeschlagen
Martinelli weist in dem Zusammenhang auf die Schwierigkeiten der Spitäler beim Off-Label-Use hin. Das Handling sei äusserst komplex, der Aufwand um ein Vielfaches grösser als bei Medikamenten auf der Spezialitätenliste. Die dadurch verursachten Kosten müsse das Spital selber tragen.
Die Probleme des Off-Label-Use beschäftigen regelmässig auch die Politik. Erst vor zwei Wochen hatte die Gesundheitskommission des Ständerats eine Motion beschlossen, die einen wohnort- und versicherungsunabhängige Vergütung durch die Krankenkassen verlangt. Der Vorstoss wird kommenden Dienstag vom Ständerat behandelt.
(sda/me/vst)