Die SP will die Zuwanderung von Gutverdienenden in der Stadt Zürich bremsen und den jährlichen Beitrag von 250’000 Franken an die Standortförderung streichen. Gut bezahlte Fachkräfte seien schuld an den hohen Mieten in Zürich. Die SP habe Angst, Zürich werde zu einem zweiten Zug, das sich nur noch Kader von Banken und Google leisten könne. Mit «gut verdienenden Zuzügern und Zuzügerinnen» sind dabei nicht Bernerinnen, St. Galler oder Ticinesi gemeint, sondern Expats.
Diese Aussagen sind auf mehreren Ebenen verstörend. Die hohen Löhne, die in Zürich bezahlt werden, sind Ausdruck eines äusserst erfolgreichen Wirtschaftsstandortes. Firmen kommen nach Zürich, weil sie hier jene Fachkräfte finden, die sie händeringend suchen. Davon profitiert die lokale Wirtschaft insgesamt: Die Arbeitslosigkeit ist tief, die Produktivität hoch, das Lohnniveau liegt über jenem von Bern, St. Gallen oder Lugano. Nicht nur für IT-Spezialisten, auch für Serviceangestellte.
Um den grossen Bedarf an Fachkräften zu decken, stellen viele Firmen auch Ausländerinnen ein. Dass diese Unternehmen hohe Löhne bezahlen, ist ein Segen für die linke Politik, die auf Steuereinnahmen angewiesen ist. Im Gegenzug bietet die Stadt viel – von Kitas über Tagesschulen bis hin zu einem fantastischen kulturellen Angebot.
Wohnungspreise als Schattenseiten des Erfolgs
All dies hat Zürich erreicht, ohne den Zuger Weg der Tiefsteuerpolitik zu gehen. Dass viele einkommensstarke Menschen in Zürich wohnen, obwohl sie nur einen Katzensprung von einem steuergünstigen Kanton entfernt sind, ist ein weiteres Zeichen für die Attraktivität der Stadt (und ziehen sie trotzdem nach Zug oder Schwyz, ists auch nicht recht).
«Man kann nicht beides haben, ein hohes Lohnniveau und tiefe Preise.»
Die hohen Wohnungspreise sind die Schattenseite dieses Erfolgs. Aber man kann nicht beides haben, hohes Lohnniveau und tiefe Preise. Weltstadt und provinzielles Quartierleben. Mehr städtische, günstige Wohnungen wären sicher wünschenswert. Doch hier muss sich die Linke, die seit dreissig Jahren die Stadt regiert, selber an der Nase nehmen. Zudem: Bei mehr günstigem Wohnraum in der Stadt würden einige Haushalte aus der Peripherie in die Stadt ziehen wollen. Das Angebot wird knapp bleiben, solange Zürich so erfolgreich ist.
Besorgniserregend finde ich die unterschwellige Fremdenfeindlichkeit, die hier mitschwingt. «Expat» verkommt in einigen Kreisen zu einem Schimpfwort. Zu viel Englisch, zu schlecht integriert. Dabei machen Schweizerinnen und Schweizer es Expats oft schwer, sich zu integrieren. Die Stadt könnte die frei werdenden 250’000 Franken ausgeben für Integrationsmassnahmen, damit die Menschen, die zu uns kommen, sich auch willkommen fühlen. Und damit sich die SP auf ihre Grundwerte zurückbesinnt.
In der Kolumne «Freie Sicht» schreiben neben Isabel Martínez, Ökonomin an der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, auch Reiner Eichenberger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, der Ökonom Klaus Wellershoff, Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff Partners und Honorarprofessor an der Universität St. Gallen, sowie der «Handelszeitung»-Co-Chefredaktor Markus Diem Meier.