«Handelszeitung Online»: Nach dem 15. Juni 2011 mussten Sie ihr Leben neu organisieren. Wie geht es Ihnen heute?
Erwin Beyeler: Es hat sich ja die Frage gestellt - mache ich weiter oder höre ich auf? Ich hätte bei vollem Lohn sofort aufhören können. Dies wollte ich nicht, ich wollte die Mitarbeiter nicht im Stich lassen und für meinen Nachfolger sollte alles so gut wie möglich vorbereitet sein. Definitiv ging ich dann Ende Januar dieses Jahres aus dem Haus.
Was haben sie dann gemacht?
Ich bin sofort nach Spanien gereist, ich wollte nicht hier noch lange dem Amt nachtrauern. Die Zeit zum Trauern hatte ich in den Monaten davor. So bin ich nach Madrid in eine Sprachschule gegangen und habe spanisch gelernt. Danach haben mich verschiedene Reisen an spannende Orte geführt. Heute geht es mir gut.
In der Analyse des 15. Juni 2011 wurde von einer «politischen Abwahl» und von einem «Betriebsunfall» gesprochen. Hat Ihnen das in der Verarbeitung geholfen?
Ich empfinde es so oder so als Niederlage, als eine Zurücksetzung. Heute weiss ich, dass es so nicht geplant war. Wichtig ist für mich, dass es nur politische und keine «deliktischen» Gründe für die Abwahl gab. Es ist kein Geld veruntreut worden, es gab keine Frauengeschichte - ich bin sozusagen skandalfrei abgewählt worden. Etwas, was nach dem Gesetz eigentlich gar nicht geht, da vorher ein Amtsenthebungsverfahren hätte eröffnet werden müssen.
Wenn Sie zurückdenken, haben Sie sich als politischer Spielball gefühlt?
Bis zu einem gewissen Grad ja. Ich weiss heute, dass gewisse politische Kreise planten, die Bundesanwaltschaft stark zu schwächen.
Dossiers wie den Hells-Angels-Fall oder den Fall «Holenweger» mussten Sie von ihrem Vorgänger übernehmen. Wenn Sie die Dossiers wie heute gekannt hätten, wären Sie dann auch Bundesanwalt geworden?
Gut - im Nachhinein ist man immer schlauer. Ich würde es bei einigen Fällen sicher energischer angehen. Man darf nicht vergessen: Alles wurde der Bundesanwaltschaft und mir angerechnet. Doch diese Fälle haben bis zu fünf Jahre beim Untersuchungsrichteramt gelegen und sind als unbrauchbare Schlussberichte zurückgekommen. In ganz kurzer Zeit haben wir versucht, die Fälle trotzdem zu erledigen. Die Bundesanwaltschaft hat ein horrendes Tempo an den Tag gelegt. Doch das ist nie honoriert worden. Es ist dann alles Schlechte zur Bundesanwaltschaft geschoben worden.
Sie haben die Abwahl als Niederlage empfunden und sich als Spielball der Politik gefühlt, hat Ihre Partei, die FDP, damals nicht genug für Ihre Wiederwahl lobbyiert?
Ja, das denke ich. Wer sich wirklich eingesetzt hat, das war Fraktionspräsidentin Gabi Huber - und die anderen? Schauen wir uns den Morgen des 15.6.2011 an: Da ist trotz schweren und unrichtigen Vorwürfen gegen mich niemand aufgestanden und hat widersprochen – das habe ich schon vermisst. Die FDP hatte die Prioritäten offenbar nicht auf diese Wiederwahl gelegt.
Mittlerweile ist Nationalrat Christoph Mörgeli selbst von einem Abgang nicht ohne Nebengeräusche betroffen. Empfinden Sie Schadenfreude?
Das will ich nicht kommentieren.
Aber Sie beobachten den Fall?
Ja.
Was macht Erwin Beyeler eigentlich heute?
Ich bin Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Schaffhausen. Ich führe auch Mandate als ausserordentlicher Staatsanwalt für Kantone. Dazu gebe ich Unterricht an der Ostschweizer Konkordatspolizeischule. Daneben hätte ich ein wunderschönes Mandat zur Beratung von Tunesien im Aufbau von Justizstrukturen. Doch Tunesien braucht viel länger als man gedacht hatte. Das Land muss noch die politischen Strukturen schaffen und den verfassungsgebenden Prozess abschliessen – danach kann ich dort meine Erfahrungen sehr gut einbringen.
Sie widmen sich auch vermehrt Ihren Hobbys: Sie sind im Laientheater «kleine Bühne Schaffhausen» aktiv - was für eine Rolle spielen sie dort?
Momentan nur eine Vorstandsrolle. Ich bin Beisitzer im Vorstand und versuche mich dort einzuarbeiten. Gewünscht war, dass ich sofort Präsident werde – doch ich konnte den jetzigen Präsidenten davon überzeugen, noch ein Übergangsjahr anzuhängen. Wir haben einen festen Platz im Programm des Stadttheaters, und die Aufführung der «Drei Groschen Oper» dieses Jahr ist beim Publikum sehr gut angekommen. Es ist eine tolle Aufgabe.
Sie haben bereits zwei Krimis veröffentlicht und am 13. Dezember wird Ihre dritte Kurzgeschichte Vernissage feiern. Eine politische Abrechnung?
Es ist völlig unpolitisch: eine Phantasiegeschichte. Der Verleger nennt es eine Kriminalgeschichte. Es stimmt, es hat kriminelle Energie in dem Buch. Es ist sehr lokal verwurzelt und geschrieben für meine Freunde und alle, die es lesen wollen.
Es ist schon interessant: Ihr Vorgänger als Bundesanwalt ist Maler, Sie sind Schriftsteller – wie kommt das?
Vielleicht von der Trockenheit der Materie? (Lacht) Peter Rothenbühler von «Le Matin» hat mir einst gesagt: «Wenn ich schaue, wer Bundesanwalt gewesen ist, dann sind das alles Spinner. Der eine malt und der andere schreibt.» Vielleicht hängt es damit zusammen. (Lacht herzlich)