Trotz massiver Rücktrittsforderungen aus seiner eigenen Partei und Regierung scheint der britische Premierminister Boris Johnson weiterhin nicht gewillt, sein Amt abzugeben. «Der Premierminister ist in einer optimistischen Stimmung und wird weiterkämpfen», sagte Johnsons parlamentarischer Assistent James Duddridge dem Sender Sky News am Mittwochabend.

Johnson habe bei der vergangenen Parlamentswahl das Mandat von 14 Millionen Wählern bekommen und «so viel zu tun für das Land». Zuvor hatte eine ganze Reihe von Kabinettsmitgliedern dem Premier nahegelegt, sein Amt aufzugeben. Mehrere Minister gaben zudem ihre Posten ab, auch Dutzende konservative Abgeordnete legten aus Protest gegen Johnson ihre Regierungs- und Fraktionsämter nieder.

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Johnson hatte am Mittwochabend mehrere Minister empfangen, die ihn zum Rücktritt drängten. Berichten zufolge lehnte er das aber ab und warnte vor Chaos und einer Niederlage für die konservativen Tories bei der nächsten Parlamentswahl.

Rishi Sunak und Sajid Javid lösen Rücktrittswelle aus

Von der einstigen Geschlossenheit in den eigenen Reihen scheint nichts mehr übrig: Insgesamt traten binnen zwei Tagen mehr als 40 Abgeordnete aus Protest gegen Politik und Führungsstil des Premiers von ihren Regierungsämtern zurück, darunter Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid. Am Mittwochabend folgte der für Wales zuständige Minister Simon Hart.

Chefjustiziarin Suella Braverman gehört zu einer Gruppe von Kabinettsmitgliedern, die dem Premier den Rücktritt nahelegte, ohne die eigenen Ämtern aufzugeben. Sie forderte nicht nur Johnsons Rückzug, sondern bot sich auch gleich für dessen Nachfolge an. «Wenn es eine Wahl zum Parteichef gibt, werde ich mich bewerben», sagte Braverman dem Sender ITV.

Regeln für eine Abwahl des Parteichefs sollen geändert werden

Wohnungs- und Bauminister Michael Gove wurde hingegen von Johnson entlassen. Auch er hatte den Premier dazu aufgefordert, zu gehen. Keinen Rauswurf gab es zunächst für den erst kürzlich ins Amt berufenen Schatzkanzler Nadhim Zahawi, Innenministerin Priti Patel, Verkehrsminister Grant Shapps und Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng, obwohl sie alle Johnsons Rücktritt gefordert haben sollen.

Für Johnson, der schon etliche Krisen ausgestanden und seine Macht stets behielt, könnte spätestens am kommenden Dienstag das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Bis dahin will ein einflussreiches Komitee, das die Regeln für eine Abwahl des Tory-Parteichefs festlegt, den Weg für ein zweites Misstrauensvotum freimachen.

Belästigungsskandal um Chris Pincher

Johnson hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion knapp überstanden. Den bisherigen Regeln der Tory-Partei zufolge darf für die Dauer von zwölf Monaten nach der Abstimmung kein neuer Versuch unternommen werden, den Vorsitzenden zu stürzen. Durch eine Regeländerung wäre aber bereits in der kommenden Woche ein neues Misstrauensvotum möglich. Es gilt als wahrscheinlich, dass Johnson dieses Mal verlieren dürfte.

Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von den Anschuldigungen gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.

(sda/gku)