Die seit Wochen schwelende Regierungskrise in London hat sich am Mittwoch erheblich verschärft. Nachdem sich Premierministerin Liz Truss bei der Fragestunde im Parlament am Mittag noch trotzig gezeigt hatte und einen Rücktritt ablehnte, schien am Abend die Lage ausser Kontrolle zu geraten.

Zuerst verlor die konservative Regierungschefin mit dem wohl erzwungenen Rücktritt von Innenministerin Suella Braverman ihr zweites Kabinettsmitglied innerhalb von Tagen. Später trat Berichten zufolge ein Teil der Fraktionsführung zurück, nachdem die Regierung eine Abstimmung im Parlament zunächst zur Vertrauensfrage erklärt hatte, in letzter Minute aber zurückruderte.

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Die Lage für Truss scheint damit erheblich schlechter als noch am Tag zuvor. Die 47-Jährige, die erst seit sechs Wochen Premierministerin ist, kämpft um ihr Amt, nachdem sie mit geplanten Steuererleichterungen ein Finanzchaos ausgelöst hatte und eine Kehrtwende hinlegen musste.

Laut unbestätigten Berichten legte die für die Einhaltung der Fraktionsdisziplin zuständige Chefeinpeitscherin (Chief Whip) Wendy Morton ihr Amt kurz nach einer Abstimmung im Unterhaus nieder. Der Antrag der oppositionellen Labour-Partei wurde zwar mit grosser Mehrheit abgelehnt. Doch viele konservative Abgeordnete sollen nur äusserst widerwillig gegen den Vorstoss gestimmt haben, der ein Gesetzgebungsvorhaben zum Fracking-Verbot einleiten sollte. Es dürfte auch eine ganze Reihe Enthaltungen gegeben haben.

«Erbärmliches Licht» auf Tories

Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant und weitere Oppositionsmitglieder erhoben ausserdem den Vorwurf, konservative Abgeordnete seien teilweise mit Schreien und Stössen in eine bestimmte Richtung gedrängt worden und hätten nicht frei und ungehindert wählen können.

In der konservativen Fraktion sind die Nerven zum Zerreissen gespannt. Das Chaos werfe «in jeder Hinsicht ein erbärmliches Licht auf die konservative Partei und die aktuelle Regierung», sagte der Abgeordnete Charles Walker im Interview mit der BBC. Aus dieser Situation gebe es kein Zurück mehr, in seinen 17 Jahren im Parlament habe er noch nie etwas Vergleichbares gesehen. «Das ist ein Scherbenhaufen und eine Schande. Ich bin unfassbar entsetzt, ich bin wütend», so Walker.

Erst am vergangenen Freitag hatte Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und mit dem früheren Aussenminister Jeremy Hunt ersetzt. Hunt machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik wieder rückgängig. Er kündigte an, die eigentlich für zwei Jahre vorgesehene Energiepreisdeckelung auf sechs Monate zu beschränken. Den Posten Bravermans übertrug Truss Ex-Verkehrsminister Grant Shapps, der ebenfalls als erfahren gilt. Doch ob sie damit ihr Amt retten kann, gilt als fraglich.

Rücktrittsforderungen, Spott und Häme

«Ich bin eine Kämpferin und keine Drückebergerin», hatte Truss noch am Mittag im Parlament gerufen, als sie wegen des Finanzchaos von der Opposition erheblich unter Druck gesetzt und zum Rücktritt aufgerufen wurde. Sie erntete heftigen Spott und Häme von den Oppositionsbänken.

Mehr Kritik kam später im Rücktrittsschreiben von Braverman. Wichtige Versprechen an die Wähler seien gebrochen worden und sie habe auch «grosse Bedenken hinsichtlich des Bekenntnisses dieser Regierung zu unserem Wahlprogramm, wie die Gesamtzahl der Einwanderer zu begrenzen und illegale Migration zu stoppen, besonders die gefährlichen Bootsüberquerungen», schrieb Braverman.

Die Ex-Innenministerin gehört zum extremen rechten Flügel der Partei. Sie machte immer wieder mit Äusserungen zu ihren Plänen für ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen von sich reden. Kürzlich wetterte sie im Parlament gegen «Tofu essende» Linke.

Als Grund für ihren Rücktritt gab Braverman «einen technischen Bruch» von Geheimhaltungsregeln an. Sie habe ein offizielles Dokument von ihrer persönlichen E-Mail-Adresse an einen «vertrauten parlamentarischen Kollegen» weitergeleitet, schrieb Braverman. Viel daraus sei bereits bekannt gewesen, trotzdem sei es «richtig für mich, zu gehen». Erwartet wird nun, dass sie von den Hinterbänken aus gegen Truss arbeitet. In ihrer Antwort auf das Rücktrittsschreiben, liess Truss wissen, es sei wichtig, die Vertraulichkeit im Kabinett zu respektieren.

(sda/ink)