Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker sieht sich an vorderster Front im Kampf gegen fragwürdige Steuerregelungen - dies, nachdem er sich früher nicht gerade als Vorkämpfer profiliert hatte. Spätestens nach den «Panama Papers» hat der Wind gedreht.
«Faire Steuerregeln sind ein Kernstück der Kommissions-Agenda!» Die Brüsseler EU-Behörde hat eine klare Position zur Steuergerechtigkeit in Europa. Schon zum Amtsantritt des Teams um den früheren luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker im Jahr 2014 rückte die Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt: Juncker-Plan, Investitionsfonds, und eben Steuerregeln. Gut zwei Jahre später kämpft die EU-Kommission an mehreren Fronten.
Kampf gegen Steuerdumping
Zunächst einmal ist da einer der Machertypen der von Brexit-Hickhack und Flüchtlingspolitik arg gebeutelten Kommission: Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Die dänische Sozialliberale hat sich den Kampf gegen unfaire Geschäftspraktiken in Europa auf die Fahnen geschrieben. Fiat, Starbucks, Google, Facebook - die Liste der Konzerne, gegen die sie vorgegangen ist beziehungsweise vorgeht, liest sich wie das Who-is-Who der internationalen Wirtschaft.
Steuerfragen gehören eigentlich gar nicht ins Kernressort der streitbaren Dänin, die sich vor allem um illegale Marktkartelle und Unternehmensübernahmen kümmert. Doch über den Weg der unerlaubten staatlichen Beihilfen nimmt sie zahlreiche Steuerdeals der EU-Länder mit Grosskonzernen ins Visier.
Zustimmung für Apple-Busse
Als Vestager Ende August den iPhone-Konzern Apple wegen einer Steuervereinbarung mit Irland zu einer Nachzahlung von mehr als 13 Milliarden Euro verdonnerte, kam aus nahezu allen der oft zerstrittenen politischen Lager im Europaparlament grosse Zustimmung.
«Sie und Ihre 18 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in diesem Bereich verdienen wirklich einen Orden», urteilte etwa der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. «Frau Vestager hat Mut bewiesen», lobte der konservative Europaparlamentarier Werner Langen. Und die liberale Abgeordnete Cora van Nieuwenhuizen erklärte Vestager gar zur Superheldin.
Schwarze Liste für Steuerparadiese
Doch nicht immer trifft Brüssel auf derartige Begeisterung. Ein anderes Steuer-Prestigeprojekt der EU-Kommission kommt nämlich nur sehr schleppend voran: die schwarze Liste für Steuerparadiese.
Die Idee hatte nach dem sogenannten Panama-Papers-Skandal zunächst an Fahrt gewonnen. Anfang April hatten Medien weltweit über Tausende von einer Kanzlei in Panama gegründete Briefkastenfirmen berichtet, in denen Politiker, Prominente und Sportler ihr Vermögen geparkt haben sollen. Angesichts teils diffuser Rechtslage war jedoch unklar, inwieweit es sich dabei um illegale Praktiken handelte.
Rückenwind dank Panama Papers
«Panama verleiht unserem Programm zur Bekämpfung von Steuerbetrug noch mehr Legitimität», meinte damals der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici. Noch 2016 sollte ursprünglich eine gemeinsame EU-Liste von Ländern mit zweifelhaften Steuerpraktiken erstellt werden.
Doch die Idee traf nicht überall gleichermassen auf Enthusiasmus. «85 Steueroasen hat Portugal auf seiner Liste, Deutschland Null. Das ist natürlich ein bisschen wenig», beklagte Moscovici etwa im April im Europaparlament in Strassburg. EU-weite Steuerprojekte sind stets ein schwieriges Unterfangen, da Entscheidungen von den EU-Staaten einstimmig gefällt werden müssen.
Fortschritte nach Brexit-Votum blockiert
Zuletzt kamen weitere Hindernisse hinzu. Vor dem Hintergrund des Brexit-Votums blockierten die Briten Fortschritte im Kampf gegen Steueroasen, berichtete der «Spiegel». Bei der Erstellung der schwarzen Liste sträubten sie sich dagegen, dass ein Steuersatz von null, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, als Verdachtskriterium zähle.
Mehrere britische Überseegebiete - wie Bermuda, die Cayman Islands und die British Virgin Islands - lockten so Steuersparer aus der ganzen Welt an. Angesichts etlicher offener Fragen peilt die EU-Kommission mittlerweile Ende 2017 als Zieldatum für die Liste an.
Steurregime wird vereinheitlicht
Zu guter Letzt hatte die EU-Kommission noch eine Reihe an kleineren und grösseren Gesetzesvorhaben angestossen, um Steuerregeln zumindest innerhalb Europas einheitlicher und übersichtlicher zu gestalten. Schätzungen zufolge entgehen Ländern in der Europäischen Union nämlich jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro an Einnahmen durch Steuervermeidung.
Um dagegen vorzugehen, sollen beispielsweise multinationale Konzerne mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro künftig durch sogenanntes «Country-by-Country-Reporting» Steuern in dem jeweiligen Land bezahlen, in dem Gewinne entstehen. Ausserdem wagte die Brüsseler Behörde im Oktober einen zweiten Vorstoss für eine sogenannte gemeinsame Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage. Ein erster Versuch dazu war vor einigen Jahren wegen mangelnder Zustimmung der EU-Staaten versandet.
Keine einheitlichen Steuersätze
Der jüngste Kommissions-Vorschlag sieht keine einheitlichen Steuersätze vor, legt aber fest, wie der zu versteuernde Betrag ermittelt würde. Zur Berechnung der Körperschaftssteuer, die im Prinzip eine Einkommenssteuer für Unternehmen darstellt, sollten demnach in allen EU-Staaten dieselben Faktoren gelten, wie etwa Gebäude, Maschinen oder die Beschäftigtenzahl. Unternehmen könnten schlussendlich eine einzige Steuererklärung für ihre Aktivitäten in der gesamten EU abgeben.
Zudem soll das Verschieben von Gewinnen über EU-Grenzen hinweg nicht mehr möglich sein. Die Vorschläge müssen aber noch von den EU-Staaten und dem Europaparlament diskutiert werden. Der Ausgang: offen.
Juncker in der Kritik
Nicht alles läuft also reibungslos. Und gerade Juncker war es, der als einstiger Finanz- und Premierminister Luxemburgs nach den «Luxleaks»-Enthüllungen Kritik auf sich zog. Tausende Seiten enthüllten die Steuerdeals vieler Firmen in dem Grossherzogtum.
Ein von EU-Skeptikern und Populisten initiiertes Misstrauensvotum gegen Juncker im Europaparlament scheiterte - aber die von ihm geführte EU-Kommission begann, gegen «aggressive Steuervermeidung» vorzugehen.
(sda/mbü/me)