Bill Gates bezeichnet Ihr Buch als «augenöffnend». «Not the End of the World» heisst es. Was stimmt Sie angesichts des aktuellen Zustands der Welt so positiv?
Heutzutage ist ja vieles schwarz-weiss. Die Welt ist aber nicht nur schrecklich und wird immer schlimmer. Genauso glaube ich allerdings auch nicht, dass alles grossartig ist und nur noch besser wird. Beide Positionen sind falsch. Es ist wichtig, dass wir Ambivalenz aushalten. Beim Klimawandel etwa sehen wir Rekordtemperaturen und Rekordkatastrophen. Das sollte uns natürlich zutiefst besorgen. Aber es gibt gleichzeitig Grund für vorsichtigen Optimismus, weil wir die schlimmsten Folgen nach wie vor verhindern können.
Wo sehen Sie Raum für Optimismus?
Zum Beispiel bei den sinkenden Kosten für emissionsarme Technologien. Was den Klimawandel und unsere Fähigkeiten, ihn aufzuhalten, betrifft, sind wir heute in einer ganz anderen Lage als noch vor zehn Jahren. Wir müssen natürlich schneller vorankommen, aber wir stehen zumindest schon an der Startlinie. Und ich denke, wir haben die Fähigkeiten, um das Problem tatsächlich schnell anzugehen.
Warum machen wir es dann bisher nicht?
In der Vergangenheit stand die Bekämpfung des Klimawandels oft im Widerspruch zu anderen kurzfristigen Zielen wie Energiesicherheit, Wirtschaftswachstum oder den Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher. Spielt man diese Dinge in einer Bevölkerung gegeneinander aus, gewinnt oft der kurzfristige Vorteil. Mittlerweile aber decken sich viele der kurzfristigen und langfristigen Interessen.
Ein Beispiel bitte.
Die Solar- und die Windenergie. Die Kosten für Solarstrom sind innerhalb der letzten zehn Jahre um 90 Prozent gesunken, die für Wind um 70 Prozent. Vor einem Jahrzehnt war beides deutlich teurer als Energie aus fossilen Quellen. Heute sind die Preise der Erneuerbaren in vielen Teilen der Welt wettbewerbsfähig oder sogar günstiger als die Preise der fossilen Energie. Menschen werden sich also allein aus ökonomischen Gründen dafür entscheiden – egal, ob es ihnen um den Klimawandel geht oder nicht. Die Entwicklung kann ausserdem sehr schnell gehen, das sehen wir zum Beispiel an China.
Hannah Ritchie (31) ist stellvertretende Herausgeberin von «Our World in Data» und leitet die wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit. Die an der Universität Oxford entstandene Open-Source-Datenplattform wurde in der Corona-Krise weltweit bekannt. Selbst die WHO nutzte die Impfstatistiken des Teams. Ritchie hat an der Universität Edinburgh zu globalen Food-Systemen und deren Auswirkungen auf die Umwelt promoviert. Im Januar 2024 erschien ihr erstes Buch «Not the End of the World: How We Can Be the First Generation to Build a Sustainable Planet».
Das ehemalige Kohleenergieland China gilt mittlerweile als führend beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bis 2026 könnte es laut Analystinnen und Analysten über mehr als 80 Prozent der weltweiten Solarproduktionskapazitäten verfügen.
Im vergangenen Jahr hat China so viele Solar- und Windkraftanlagen installiert, dass sie das Vereinigte Königreich oder Frankreich mit Strom versorgen könnten, und sie bauen gerade eine noch nie dagewesene Grössenordnung auf. Ähnliches sehen wir bei Elektroautos. Vor ein paar Jahren gab es noch gar keine, jetzt machen sie in vielen Ländern einen Drittel oder sogar die Hälfte der Neuwagen aus. Der Kernpunkt ist, dass viele dieser Technologietrends nicht linear verlaufen. Sie skalieren und können sehr, sehr schnell skalieren. Wir Menschen tun uns allerdings schwer, Veränderungen zu verstehen, die nicht linear verlaufen. Wir neigen einfach dazu, immer linear zu denken. Und wenn man dies aus einer linearen Perspektive betrachtet, dann sieht das Ergebnis sehr, sehr schlecht aus. Aber so funktionieren diese Trends einfach nicht.
Sind Sie sicher, dass die positive Entwicklung anhält?
Nein, wir können nicht sicher sein. Es hängt davon ab, was wir tun. Und wenn wir den guten Fortschritt weiterführen wollen, besteht die Herausforderung oft darin, dass wir das Gefühl haben, dass nichts, was wir bisher getan haben, jemals funktioniert hat. Ich glaube, dass Untätigkeit oft daher kommt.
Weil man sich angesichts all der Negativnachrichten fragt: Warum sollte es dieses Mal klappen?
Genau. Diese Vorstellung, dass nichts funktioniert, versuche ich zu bekämpfen. Es funktioniert. Es muss nur noch viel, viel schneller gehen.
Schaffen wir dann auch noch das 1,5-Grad-Ziel?
Nein, weil wir die Emissionen nicht mehr schnell genug reduzieren können. Dafür sind wir zu spät, und die erforderlichen Reduzierungen sind viel zu hoch. Derzeit bewegen wir uns auf 2,5 bis 3 Grad zu, was inakzeptabel ist, und wir müssen diese Kurve in den Griff bekommen. Schon unter 2 Grad zu kommen, wäre extrem ehrgeizig, aber ich bin einigermassen optimistisch, dass wir nahe herankommen oder vielleicht sogar knapp darunter bleiben.
Wenn die Länder ihre Netto-null-Zusagen einhalten.
Es gibt leider keine Garantie dafür, dass die Länder tatsächlich das tun, was sie versprechen. Aber zumindest gibt es diese Zusagen der Regierungen, und es liegt in unserer Verantwortung als Bürger und Bürgerinnen, sie so gut wie möglich daran zu erinnern. Es wird allerdings einfacher, weil es mit der Weiterentwicklung von Technologien und fallenden Preisen zunehmend wirtschaftlich sinnvoll ist.
«Unternehmen müssen sich darauf konzentrieren, ihre Emissionen zu reduzieren. Auch jene in der Lieferkette.»
Worauf sollten wir jetzt einen Fokus legen?
Ein Teil des Pessimismus rührt daher, dass wir nur die Spätindikatoren betrachten, zum Beispiel die weltweiten CO2-Emissionen. Diese steigen noch immer, wenn auch langsamer. Besser wäre es, wenn wir uns auf die Frühindikatoren konzentrieren. Wie zum Beispiel auf die Kosten für notwendige Technologien und darauf, wie schnell sie eingesetzt werden.
Also fehlt in Politik, Medien und Gesellschaft ein gewisses Verständnis für die sinnvolle Nutzung von Daten?
Es ist für viele Menschen zumindest schwierig, zu erkennen, wie schnell sich gewisse Trends verändert haben. Darum denken viele immer noch, dass die nachhaltige Transformation einfach zu teuer ist und ein Opfer für die Wirtschaft wäre. Journalisten und politische Entscheidungsträgerinnen spielen eine Schlüsselrolle, der Öffentlichkeit eine andere Botschaft zu vermitteln. Damit sie das Vertrauen hat, dass es sich auch wirtschaftlich auszahlt, wenn sie mehr in Solar- oder Windenergie oder Elektrofahrzeuge investiert.
Wo sehen Sie die Verantwortung von Unternehmen?
Sie müssen sich darauf konzentrieren, ihre Emissionen zu reduzieren. Auch jene sogenannten Scope-3-Emissionen in der Lieferkette. Ausserdem diktieren sie in gewisser Weise die Art und Weise, wie sich Produkte und Industrien bewegen. Ich glaube zudem, dass viele dieser Branchen eine wichtige Rolle bei der Innovation spielen können. Auch hier sehe ich übrigens wieder Grund für Optimismus. Vor 10, 15 Jahren war es selten, dass man einen Umwelt- oder Klimaexperten in seinem Team hatte. Heute ist es für viele Unternehmen selbstverständlich, dass man einen oder mehrere Nachhaltigkeitsbeauftragte in einem bestimmten Team hat, weil das jetzt einfach ein Kernbestandteil des Geschäftsmodells ist. Das ist auch eine Reaktion auf den öffentlichen Druck. Denn die Menschen erwarten, dass sich auch die Unternehmen darum kümmern.
Sie sagten kürzlich in einem Interview, dass wir zehn Milliarden Menschen auf der Erde ein gutes Leben bieten können. Geht das ohne Einschränkungen beim Lebensstil?
Es geht auf jeden Fall nicht ohne Veränderungen. Wir können nicht weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen. Zentral für mich sind ausserdem Lebensmittel. Wenn wir zehn Milliarden Menschen nachhaltig und mit geringen Umweltauswirkungen ernähren wollen, müssen wir unsere Ernährungsgewohnheiten wirklich grundlegend ändern. Man kann das als Opfer sehen, ich würde es eher als Chance betrachten.
Wir Schweizerinnen und Schweizer haben einen vergleichsweise hohen CO2-Fussabdruck. Wir essen gerne Fleisch, konsumieren kräftig und reisen viel.
Den Leuten einfach zu sagen, dass sie nie in den Urlaub fahren können, würde natürlich nicht funktionieren. Das führt nur zu Widerstand. Besser ist es, sich auf sehr kohlenstoffintensive Verhaltensweisen und sehr, sehr kohlenstoffintensive Lebensstile zu konzentrieren. Anstatt ein Verbot auszusprechen, sodass niemand mehr in den Urlaub fahren kann, würde man sich auf wirklich hohe Steuern für Vielfliegerinnen oder Privatjets oder die oberste Schicht konzentrieren. Meiner Ansicht nach gibt es gute Argumente, eher ein Verursacherprinzip zu berücksichtigen, als Familien anzuvisieren, die einmal im Jahr in den Urlaub fahren.
Welche Daten interessieren Sie gerade am meisten?
Ich beschäftige mich im Moment ziemlich viel mit dem Zusammenhang von Energie und Klima. Wir müssen in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten die Energiewende sehr schnell vorantreiben. Es gibt allerdings viele Desinformationen, welche die Entwicklung verlangsamen. In einigen Fällen handelt es sich dabei um berechtigte Bedenken, aber auch um unzureichende Informationen, zum Beispiel über Bodenschätze, Grundstücke oder Kosten – oder ob Wärmepumpen auch bei Kälte funktionieren oder Elektroautos tatsächlich einen niedrigeren Emissionsverbrauch haben. Ich arbeite hart daran, Daten und Forschungsergebnisse zu nutzen, um den Menschen wirklich klare Informationen über viele dieser Bedenken zu geben, damit der Umstieg auf saubere Energie nicht verzögert wird.
Bei der Weltklimakonferenz in Dubai hat sich die Weltgemeinschaft statt auf ein klares Ende der Fossilen nur auf einen «Wandel» geeinigt.
Immerhin aber haben wir zugegeben, dass die fossilen Brennstoffe den Klimawandel vorantreiben. Diese schrittweisen Fortschritte sind wichtig. Das Ziel, die erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und die Energieeffizienz im selben Zeitraum zu verdoppeln, sind sogar sehr wichtig. Weil sie kurzfristig sind, bedeutet es, dass wir jetzt direkt mit der Arbeit beginnen. Im Gegensatz zu Zielen im Jahr 2050 schaffen diese kurzfristigen Ziele Anreize, tatsächlich zu handeln.
Dieses Jahr stehen viele richtungsweisende Wahlen an. Unter anderem die US-Präsidentschaftswahlen. Inwiefern könnte das die globale Entwicklung beeinflussen?
Das könnte in zweierlei Hinsicht Auswirkungen haben. Da ist zum einen die Frage, was innerhalb der USA mit der Energiewende passiert. Ich denke, dass die Auswirkungen dort nicht so verheerend sein werden, wie die Leute erwarten. Es wird zwar Rückschritte geben, aber die Art und Weise, wie das Klimapaket umgesetzt wurde, ruft selbst bei den Republikanern nur wenig Widerstand hervor. Auf lokaler Ebene sehen auch viele republikanische Politikerinnen und Politiker die wirtschaftlichen Anreize, neue Jobs und einen Aufschwung der Produktion. Mehr Sorgen bereitet mir die Wahrnehmung der USA auf der Weltbühne und wie sich das auf die Ambitionen anderer Länder auswirkt.
Trump ist schon einmal aus dem Pariser Klimavertrag ausgetreten.
Die USA müssten wirklich versuchen, eines der Länder zu sein, die in diesem Bereich eine Führungsrolle übernehmen, weil sie in der Vergangenheit der grösste Emittent waren und die grösste Volkswirtschaft sind. Das Risiko besteht darin, dass, wenn sich die USA zurückziehen, andere Länder das Gefühl haben, dass sie sich zurückziehen können und dass unser globaler Fortschritt dadurch behindert wird.