Chinesische Firmen suchen verzweifelt nach Beamten, die ihnen helfen, die Kampagne der Regierung gegen den Privatsektor zu bewältigen. Diese hat einige der bekanntesten Firmen des Landes in Schwierigkeiten gebracht. Jetzt werben die Firmen Mitarbeiter in den chinesischen Ministerien und bei den Aufsichtsbehörden ab. Am begehrtesten sind die Beamten der zuständigen Aufsichtsbehörden und der Ministerien für Handel, Industrie und Information. Sie erhalten laut Headhuntern Gehälter von bis zu einer halben Million Dollar, das entspricht etwa dem 60-fachen des durchschnittlichen Beamtenlohns, wie die Wirtschaftsagentur «Bloomberg» berichtet.
Die Einstellung von Mitarbeitern, die einen Einblick in das undurchsichtige chinesische Regulierungssystem haben, ist schon immer wichtig gewesen. Jetzt ist sie aber dringender denn je: Peking befindet sich mitten in einer umfassenden Regulierungskampagne, die sich vor allem gegen seine Technologieriesen richtet. Die Gründe dafür sind offiziell Fragen der Datensicherheit und des Kartellrechts. Die Massnahmen haben Investoren auf der ganzen Welt aufgewühlt: Viele fragen sich, wer als Nächstes dran ist.
Jacqueline Qin arbeitet in Shanghai als Direktorin der Personalvermittlungsfirma Michael Page. Sie sagt, dass einige Firmenkunden mehr als 3 Millionen Yuan also rund 463'000 Dollar oder praktisch ein «unbegrenztes Budget» für den richtigen Kandidaten bieten würden.
Lange Wartefristen
Wie die ausufernden Gehälter zeigen, ist es in China nicht leicht, einen Spitzenbeamten zu bekommen. Die Regierung prüft genau, wie sich ehemalige Beamte verhalten, wenn sie in die Privatwirtschaft wechseln. Die Unternehmen brauchen aber hohe Mitarbeiter, die mindestens auf der Stufe eines stellvertretenden Abteilungsleiter standen. Diese sind laut Headhuntern Mangelware. Sie müssen nämlich bis zu drei Jahre warten, um nach ihrem Ausscheiden eine Stelle in den Unternehmen anzunehmen, die sie früher beaufsichtigt haben. Für Beamte der unteren Ränge verkürzt sich diese Frist auf zwei Jahre.
Die Arbeit für die Firmen wird immer komplexer: Es braucht ein tiefes Wissen, um Änderungen der Vorschriften vorauszusehen. Dazu gehört auch Lobbyarbeit und Krisenmanagement zum Anforderungsprofil. Und anders als beispielsweise in den USA gibt es in China keine Drehtür zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Wenn ein Beamter einmal in die Unternehmenswelt gewechselt ist, gibt es kaum eine Chance, wieder zurückzukehren.
Seit Monaten ist Chinas Tech-Sektor unter massiven Druck der Regierung. Dem Staatsapparat ist die wirtschaftliche Macht und Dominanz von Tech-Konzernen wie Alibaba und Tencent zu viel geworden. Die Folge davon? Er reguliert den Sektor immer stärker. Zur Analyse.
«Wenn ein Regierungsbeamter die Ebene eines Abteilungsleiters erreicht hat, ist eine politische Karriere sichtbarer und sicherer», so Qin. «Es ist nicht leicht für sie, diese für Geld aufzugeben. Sie wissen auch, dass die Arbeit heute sehr anspruchsvoll ist und die Forderungen der Unternehmen manchmal unerfüllbar sind.» Trotzdem gibt es einen stetigen Strom von Beamten, die in die Geschäftswelt wechseln.
Deng Ge, der ehemalige Sprecher der chinesischen Wertpapieraufsichtsbehörde CSRC, wurde letztes Jahr zum Präsidenten der Guosen Securities ernannt. Guo Xudong, ein weiterer CSRC-Beamter, trat letztes Jahr als stellvertretender Vorsitzender in die Wuhan Dangdai Science & Technology Industries ein. Zeng Chen, Vizepräsident des Online-Marktplatzes JD.com, ist laut «People's Daily», einem Parteiorgan der Kommunistischen Partei, ein ehemaliger Beamter des Handelsministeriums.
Durchschnittliches Gehalt verdoppelt
Das durchschnittliche Gehalt eines Spezialisten für Regierungsbeziehungen hat sich in den Unternehmen von etwa 500'000 Yuan im Jahr 2016 auf etwa 1,2 Millionen Yuan verdoppelt, so Jackie Yang, Direktor für Fintech-Rekrutierung bei Shanghai Brightway Consulting. Das ist viel im Vergleich zu den 48'000 Yuan pro Jahr die Beamte der Zentralregierung laut offiziellen Daten von 2019 verdienen. Darüber hinaus erhalten die Beamten jedoch eine Reihe von Vergünstigungen, wie zum Beispiel Zuschüsse für Aussendiensttätigkeiten und Unterstützung bei den Heizkosten.
«In manchen Situationen ist der Handlungsspielraum selbst für die obersten Führungskräfte sehr begrenzt.»
Jackie Yang
Finanzunternehmen waren schon immer sehr daran interessiert, ehemalige Beamte einzustellen. Aber jetzt gibt es eine wachsende Nachfrage von Technologiefirmen, die das Hauptziel der jüngsten Razzien waren, so Yang. Die Unternehmen sind besonders daran interessiert, Beamte aus Ministerien abzuwerben, die für Technologie und Verkehr zuständig sind, da Peking mehr Kontrolle darüber anstrebt, wie Unternehmen mit Daten umgehen, so Yang.
Autovermittler Didi will Kontrolle über Daten aufgeben
Didi Global zum Beispiel erwägt, die Kontrolle über seine wertvollsten Daten aufzugeben, um Peking zu besänftigen. Der Autovermittlungsgigant hat seine Börsennotierung in den USA trotz der Einwände von Beamten vorangetrieben. Diese befürchten, dass eine ausländische Börsennotierung zu Datenlecks führen und die nationale Sicherheit untergraben könnte, so eine mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber «Bloomberg».
Grenzüberschreitende E-Commerce-Firmen und die Unterhaltungsindustrie, wie z. B. die Spieleindustrie, suchen ebenfalls nach Regierungsspezialisten. Und auch Private-Equity-Firmen, die in eine breite Palette von Unternehmen investiert sind, beginnen laut Yang, solche Mitarbeiter einzustellen.
Aber auch die Möglichkeiten dieser Spezialisten sind begrenzt – was der Unternehmenswelt nicht entgangen ist und die Vergütung wahrscheinlich in Grenzen halten wird. «Wenn der Sturm kommt, liegt es eher an den Führungskräften als an einer Person im Bereich Regierungsangelegenheiten, das Blatt zu wenden», so Yang.
(brb | Bloomberg)