Mit einer massiven Erhöhung der Staatsausgaben will China gegen die Abschwächung der Konjunktur durch die Pandemie mit dem neuen Coronavirus ankämpfen. «Dies sind aussergewöhnliche Massnahmen für ungewöhnliche Zeiten», sagte Regierungschef Li Keqiang am Freitag zum Auftakt der Jahrestagung des Volkskongresses in Peking zu der dafür nötigen starken Erhöhung der Staatsverschuldung. Er warnte, die Epidemie «ist noch nicht zu Ende», auch wenn China grosse Fortschritte im Kampf gegen das Sars-CoV-2-Virus gemacht habe.
Die rund 2900 Abgeordneten sassen alle mit Mundschutz in der Grossen Halle des Volkes, während die kommunistische Führung auf dem Podium auf Gesichtsmasken verzichtete. Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten gab der Ministerpräsident in seinem Rechenschaftsbericht kein Ziel für das Wachstum der zweitgrössten Volkswirtschaft in diesem Jahr vor. Er verwies auf die «grossen Unsicherheiten» hinsichtlich der Covid-19-Pandemie und der weltweiten Wirtschaftskrise. China sehe sich Faktoren gegenüber, «die schwer vorherzusagen sind».
Militärausgaben wachsen kräftig
«Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor», schwor Li Keqiang die Delegierten ein. Im ersten Quartal war die Wirtschaft um 6,8 Prozent eingebrochen, nachdem sie im Vorjahr mit 6,1 Prozent innerhalb der Vorgabe der Regierung von 6,0 bis 6,5 Prozent gewachsen war. Wegen der rückläufigen Einnahmen und der steigenden Ausgaben wird die Staatsverschuldung über die kritische Schwelle von drei Prozent der Wirtschaftsleistung auf 3,6 Prozent ansteigen. Geplant sind besondere Anleihen sowie eine weitere Senkung von Steuern und Abgaben.
Trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage wird China seine Militärausgaben in diesem Jahr kräftig um 6,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern. Schon früher war der Verteidigungshaushalt höher als das Wirtschaftswachstum ausgefallen. Die Steigerung geht allerdings im Vergleich zum Vorjahr zurück, als der Militäretat noch um 7,5 Prozent angehoben wurde. Vor dem Hintergrund der Spannungen mit den USA und Pekings Drohungen gegenüber dem demokratischen Taiwan wird der Ausbau des chinesischen Militärs mit Sorge beobachtet.
«Rechtzeitig» Informationen zur Verfügung gestellt
Wegen der Ausbreitung des Coronavirus hatte die Jahrestagung im März zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte der Volksrepublik verschoben werden müssen. Indem das Treffen jetzt nachgeholt wird, demonstriert China als Ursprungsland der Pandemie, dass es im Kampf gegen das Virus weit vorangekommen ist. Trotzdem gab es strenge Sicherheitsvorkehrungen, um Infektionen unter den Angereisten zu vermeiden. Delegierte mussten sich zwei Corona-Tests unterziehen. Das Treffen wurde von sonst knapp zwei auf nur eine Woche verkürzt.
Der Ministerpräsident verteidigte den Umgang Chinas mit dem Virus. Es habe eine «offene, transparente und verantwortliche Haltung» in der internationalen Kooperation eingenommen und «rechtzeitig» Informationen zur Verfügung gestellt. Er reagierte damit auf Vorwürfe besonders von US-Präsident Donald Trump, den Ausbruch anfangs vertuscht, nicht ausreichend kooperiert und damit zur starken Ausbreitung des Virus weltweit beigetragen zu haben.
«Ein Land, zwei Systeme» am Ende?
Der Regierungschef warb auch für die kontroversen Pläne der kommunistischen Führung, ein eigenes Sicherheitsgesetz für Hongkong zu erlassen. Die prodemokratische Opposition in der chinesischen Sonderverwaltungsregion fürchtet, zum Ziel dieses Gesetzes zu werden. Es wird sich voraussichtlich gegen Aktivitäten richten, die Peking als subversiv empfindet oder die auf eine Unabhängigkeit abzielen könnten. Kritiker sehen einen Angriff auf den Grundsatz «ein Land, zwei Systeme», nach dem die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 an China autonom verwaltet wird.
Der Volkskongress soll über das Gesetz beraten und seinem Ständigen Ausschuss am Ende der Tagung am 28. Mai einen Auftrag zur Verabschiedung geben. Das Vorgehen ist besonders umstritten, weil Peking damit das Parlament Hongkongs umgehen würde, das sich bisher nicht auf ein solches Gesetz einigen konnte. Die Pläne waren 2003 auf Eis gelegt worden, als mehr als eine halbe Million Menschen dagegen protestiert hatten. Das Vorhaben dürfte die Demonstrationen in Hongkong anfachen, das ohnehin seit vergangenem Sommer andauernde Proteste gegen den wachsenden Einfluss Peking erlebt hat.
In der Corona-Krise wappnen sich viele Länder gegen Übernahmen – insbesondere aus China. Das sagen Schweizer Politiker zum brisanten Thema. Mehr hier. Abo
(sda/gku)