Bei den Gewerbeimmobilien scheinen die Positionen zwischen den Spitzenverbänden der Mieter und Vermieter unversöhnlich: Die Spitzenvertreter der Mieter fordern einen kompletten Verzicht auf Gewerbemieten während des Lockdown für direkt oder indirekt betroffene Mieter. Die Vermieterseite will keinesfalls eine nationale Regelung. Aber sie ermuntert ihre Mitglieder, gütliche Lösungen zu suchen.
Auf Bundesebene wurde bisher keine Lösung gefunden. Am Donnerstag vor Ostern fand eine weitere Telefonkonferenz der sogenannten Task Force der Spitzenvertreter statt, geleitet von Martin Tschirren, dem Chef des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO). Über den Gesprächstand wurde Stillhalten vereinbart.
Dem Vernehmen nach kam keine Einigung zustande, obwohl der Bundesrat die Parteien am Mittwoch dazu aufgefordert hatte.
Um wie viel Geld geht es? Auffallend ist, dass keiner der Beteiligten eine Zahl nennen kann oder will. Zwei Experten für Immobiliendaten haben HZ eine Einschätzung gegeben.
Wüst Partner schätzt 430 Millionen
Patrick Schnorf von Wüest Partner schätzt die Summe der jährlich bezahlten Mieten für Gewerbeflächen «auf rund 12 Milliarden Franken» – also rund eine Milliarde Franken pro Monat. Inbegriffen sind die Teilsegmente von Detailhandels- über Büro-Flächen bis zu industriell und kleingewerblich genutzten und angemieteten Räumen. Darin nicht enthalten sind die Nebenkosten und die Summe der Mieten für die Eigennutzung einer Immobilie.
Nicht alle Gewerbeflächen sind vom Lockdown des Bundes betroffen. Zieht Schnorf die nicht betroffenen Branchen ab, so resultierte laut Wüest Partner «ein Gesamttotal von aktuell rund 430 Millionen Franken pro Monat an Mietzinsen, die für nicht oder nur stark eingeschränkt nutzbare Flächen im Zuge der Covid-19-Verordnung-2 bezahlt werden.»
Der Experte zog sämtlich Register. Er verwendete die Daten «sämtlicher Branchen anhand der möglichen Einschränkungen, anhand der Anzahl Beschäftigen, des Mietzinsanteils am Umsatz jedes Beschäftigten, des Flächenbedarfs pro Beschäftigten sowie der Mietzinsniveaus».
Seine Schätzung liege auch dem federführenden Bundesamt für Wohnungswesen und dem Immobilienverband Svit vor, so Schnorf. Der Svit ist Teil der sogenannten Taskforce des Bundes, die Bundesrat Guy Parmelin eingesetzt hatte; sie vertritt dort die Vermieterseite.
Iazi kommt auf 283 Mio. Franken
Neben Wüest Partner führt auch das Unternehmen IAZI sehr viele Immobiliendaten. Die Beratungs- und Forschungsfirma geniesst den privilegierten Zugang zu Dutzenden Immobilienfirmen und etlichen Versicherungen. Ihr Chef, Donato Scognamiglio, hat exklusiv für HZ eine grobe Schätzung veranlasst. Er geht von einem jährlichen Volumen aller Gewerbemieten von 17 Milliarden Franken aus, also rund 1,5 Milliarden Franken monatlich. In der Annahme, dass 20 Prozent der Flächen behördlich stillgelegt sind, aber vermietet, kommt er auf 283 Millionen monatlich.
Diese Summe wird von Gewerbemietern derzeit geschuldet, ohne dass sie ihrer Tätigkeit nachgehen könnten.
Fazit: Die Schätzungen von Wüest Partner und Iazi bewegen sich im Spektrum von 280 bis 430 Millionen Franken monatlich. Um dieses Geld wird zwischen Gewerbemieter und -Vermietern auf Bundesebene gestritten.
Wer sind die Vermieter?
Laut Medienberichten sind Vermieter sehr unterschiedlich entgegenkommend. Der Anwalt und Vizepräsident des Verbandes der Gewerbemieter, Armin Zucker sagt, dass «grosse Immobilienbesitzer wie die Credit Suisse und gewisse private Vermieter tendenziell am meisten Entgegenkommen zeigen, was Mietzinserlasse angeht». Unnachgiebigkeit seien oft mittelgrosse private Vermieter, beobachtet Zucker.
Doch wer sind die Vermieter von Gewerbeflächen? Wüest Partner sagt, dass bei Gewerbeflächen institutionelle Eigentümer und die öffentliche Hand «eher übervertreten» seinen, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Donato Scognamiglio von Iazi bestätigt, dass es keine genaue Zahl gebe. Sein Ausgangspunkt sind die Eigentümerverhältnisse bei Mietshäusern: Dort sind 49 Prozent in privater Hand, 32 Prozent gehören Versicherungen und Pensionskassen, rund 7 Prozent sind bei Bauunternehmen sowie Immobiliengesellschaften. Den Rest könne man nicht zuordnen.
Auch Scognamiglio glaubt, dass bei Gewerbeimmobilien die Zahl der institutionellen Vermieter höher sei und dafür der Anteil der Privaten etwas tiefer.
Wäre ein Mietzins-Erlass tragbar?
Beide Experten sehen einen kurzzeitigen Ausfall der Mieten bei Vermietern als verkraftbar. Derzeit spricht man von einem Vollausfall von 1,5 Monatsmieten (von Mitte März bis Ende April). Scognamiglio errechnet für diese Periode eine durchschnittliche Renditeeinbusse auf 0.3 Prozent der Jahresrendite. Der Netto-Cashflow dürfte im Jahr 2020 demnach um rund zehn Prozent sinken, das heisst im Schnitt würde die Rendite von 3.3 Prozent auf 3 Prozent der Anlage sinken, so der Iazi-Experte.
Ein solche Einbusse mache «den Braten nicht feiss». Die allermeisten Vermieter dürften einen solchen Verlust stemmen können, so der Experte. Über die Laufzeit von 100 Jahren einer Immobilie wäre dies gar ein fast vernachlässigbarer Verlust.
Folgen auf Buchwerte der Immobilienfirmen
Doch sollte sich die Wirtschaftskrise bis in den Winter hinein ziehen und tiefgreifend sein – so wie es der Bund am Mittwoch skizziert hat – sieht der Experte gröbere Folgen: «Eine erste Bilanz werden wir per Ende des Quartals und zum Jahresende ziehen können». Ende Jahr müssen die Versicherungen und kotierten Immobilienfirmen ihre Bewertungen in den Bilanzen dem Marktwert anpassen.
Ein solches Szenario fürchten die Eigentümer. «Eine länger andauernde Einschränkung könnte bei Vermietern zu Problemen führen.» Auch sie müssen Kapitalkosten bedienen und die Rechnungen bezahlen. Darunter fallen Hypothekarzinsen, Betriebskosten, Kosten für die Instandhaltung- und Rückstellungen. Für Pensionskassen wäre der Geldfluss, der durch Mieten sichergestellt ist, kleiner. Die Bedienung der Alters- und Invalidenrenten würde schwieriger werden, als dies in der Vergangenheit war.
Szenario nach dem Lockdown
Für Gewerbemieter ist schon heute klar, dass ihre Tätigkeiten sich nach Ende des Lockdowns nicht von einem auf den anderen Tag hochfahren lassen. Der Hauptgrund sind die sanitarischen Vorschriften des Bundes zum Social Distancing. Restaurants, die bisher vielleicht 100 Gäste pro Abend hatten, dürfen unter den neuen Abstandsregeln vielleicht noch 20 Gäste gleichzeitig bewirten dürfen.
Das Gleiche gilt für Läden oder für Gesundheitsanbieter. Zucker schätzt, ausgehend von Beispielen aus seiner Beratung, dass die Umsätze vieler Betriebe, Läden und Dienstleister mit Kundenkontakt, bloss vielleicht noch 5 bis 20 Prozent der Umsätze im Vergleich zu vor dem 16. März erreichen dürften.
Entsprechend könnten die heute vereinbarten Mietkosten nicht mehr gedeckt sein, solange die Bundesregeln zu Social Distancing gelten.