Gut eine Woche vor der US-Präsidentenwahl ist die Anspannung an der Wall Street gestiegen. Viele Anleger hielten sich am Montag zurück, weil der Ausgang wieder ungewiss ist. Hillary Clintons Vorsprung in den Umfragen nimmt wieder ab.
Die jüngsten Umfragen zur US-Präsidentenwahl kommen zu einer Zeit, in der Meinungsforschungsinstitute sich aufsehenerregende Fehleinschätzungen geleistet haben. Dazu gehören die Brexit-Abstimmung in Grossbritannien sowie das Referendum über das Friedensabkommen in Kolumbien.
Grosse Differenzen
Ein Blick auf die Zusammenfassung der Erhebungen zur US-Wahl von RealClearPolitics zeigt das Problem auch hier: Demnach reicht die Spanne von einem Vorsprung von 13 Prozentpunkten für Clinton bis zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Republikaner Donald Trump.
Experten verweisen in diesem Jahr auf vier Faktoren, die Vorhersagen in den USA erschweren:
Unbeliebt wie nie
Derart unbeliebte Präsidentschaftskandidaten wie Clinton und Trump hat es in der jüngsten US-Geschichte nicht gegeben. Das könnte sich auf die Wahlbeteiligung auswirken: Von 60 Prozent wie in den vergangenen Abstimmungen könnte sie auf 52 Prozent fallen, sagt der Politikwissenschaftler Cliff Zukin von der Rutgers University. Das Problem sei nun, vorherzusagen, wer am 8. November zu Hause bleiben werde.
Handy löst Festnetz ab
Etwa die Hälfte aller US-Bürger haben nur noch ein Handy und sind damit über Festnetz nicht zu erreichen. Das US-Recht verbietet aber automatische Anrufe - auf Englisch «robocalls» genannt – an Mobiltelefone. Pew Research zufolge können die Kosten für Mobiletelefon-Umfragen deswegen doppelt so hoch sein. Zudem können Handy-Besitzer leichter sehen, wer sie anruft und das Gespräch abblocken. Die Meinungsforscher können daher nur noch mit zehn Prozent der Angerufenen tatsächlich sprechen. Vor einigen Jahrzehnten waren es noch 80 Prozent. Als Folge dieses Faktors geben sich einige Institute mit kleineren Stichproben zufrieden.
Online schafft Probleme
Viele Erhebungen – darunter die von Reuters/Ipsos – finden über das Internet statt. Zwar können damit viel mehr Menschen billiger befragt werden. Allerdings sind die Teilnehmer oft Freiwillige, die nicht die Gesamtbevölkerung abbilden. Wie bei den Umfragen über Mobiltelefone müssen die Forscher dann Gewichtungen vornehmen. Dies könne schwierig sein, sagt Robert Groves von der Georgetown University. In diesem Jahr kommt hinzu, dass Trump viele Anhänger hat, die in der Vergangenheit entweder gar nicht oder nur sporadisch gewählt haben. «Wir können die Modelle aus den Jahren 2008 und 2012 nicht auf 2016 übertragen», sagt Ashley Koning von Rutgers.
Umfragen beeinflussen
Soziologen gehen davon aus, dass die veröffentlichten Zahlen selbst einen Einfluss auf das Wahlverhalten haben. Besonders wenn ein Kandidat deutlich in Führung liege, könnten dessen Anhänger es nicht mehr für nötig halten, tatsächlich ihre Stimme abzugeben. Da die Wahl in den USA auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten organisiert ist, werden deren Ergebnisse zum Teil schon veröffentlicht, wenn in anderen Zeitzonen die Wahllokale noch geöffnet sind.
Allerdings sehen Politikwissenschaftler bei diesem Faktor nur begrenzte Auswirkungen. Bei einem Abstand von zwei Prozentpunkten könnte er vielleicht greifen, sagt Douglas Schwartz von der Quinnipiac University. «Aber wenn man sieht, wie alle diese qualitativ hochwertigen Umfragen durchgehend einen Vorsprung für Clinton ausmachen, kann man ihnen meiner Meinung nach trauen.»
(sda/jfr)