Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen polarisiert. Das liegt auch an der Arbeit der Initianten, deren Wahlkampf Popkultur gleicht: Mit goldenem Tesla und Gratis-Geld schaffen sie es immer wieder in die Medien – In Cafés, im Freundeskreis, an allen Ecken hört man selbst Politik-Uninteressierte aufgeregt über die Initiative debattieren.
«Es ist uns in den letzten Monaten gelungen, dss Grundeinkommen zur mit Abstand bekanntesten und am meisten diskutierten Abstimmungsvorlage zu machen», sagt Mitinitiant Daniel Häni. Schimpfen die einen die Abstimmung eine Ablenkung von wichtigeren Themen, feiern die anderen die Initiative als Anstoss zur lebensnotwendigen Debatte.
Starinvestor und Künstler werben fürs Grundeinkommen
Die Diskussion führt derweil zu unerwarteten Allianzen: Da ist der Starinvestor aus dem Silicon Valley, Albert Wenger, der zusammen mit Künstler Enno Schmidt und Kaffeehausleiter Daniel Häni auf verschiedenen Veranstaltungen für die Idee wirbt. Dort der Drogeriemarkt-Gründer Götz W. Werner, der das Grundeinkommen einen «Akt der Befreiung» (siehe Bildstrecke) nennt und WEF-Legende Klaus Schwab, der sich in einem Interview mit dem «Blick» zu Jahresbeginn für ein «Mindesteinkommen für alle» aussprach*.
Auch die Politik lässt das Thema nicht los: Zwar haben alle Parteien bis auf die Grünen die Nein-Parole gefasst, Bundesrat und Parlament empfehlen die Ablehnung. Dennoch gibt es sowohl vom linken als auch vom rechten politischen Spektrum Befürworter für das Grundeinkommen.
Gegen die Partei-Parole
Selbst innerparteilich sind sich längst nicht alle einig über die Linie zum Grundeinkommen: Anita Fetz, SP-Ständerätin aus Basel-Stadt, spricht sich entgegen ihrer Partei-Parole dafür aus. «Als Realpolitikerin sind mir zunächst sämtliche Argumente gegen das Grundeinkommen eingefallen», sagt sie im Gespräch mit handelszeitung.ch.
«Dann habe ich aber überlegt, wie die Arbeitswelt in 20 Jahren aussehen wird. Diese verändert sich in Zeiten der Digitalisierung derart schnell, dass viele Jobs verloren gehen werden – besonders auch im qualifizierten Mittelstand.» Um gegen diese neue Form der Prekarisierung vorzugehen, brauche es ein Grundeinkommen.
«Grundeinkommen ist eine Herdprämie»
Dem wiedersprechen Gegner wie Rudolf Minsch, Chefökonom der liberalen Denkfabrik Economiesuisse: Es würden zwar Jobs verloren gehen – dafür würden aber auch neue Tätigkeitsfelder entstehen, sagte Minsch im Streitgespräch mit Fetz an der langen Nacht des Grundeinkommens in Basel vor wenigen Tagen. Zudem herrsche in der Schweiz jetzt schon ein Fachkräftemangel und kaum Arbeitslosigkeit, so Minsch.
Tatsächlich sehen immerhin über 40 Prozent der Nutzer von handelszeitung.ch im Grundeinkommen einen «wichtigen Schritt in die richtige Richtung», da die Digitalisierung viele Jobs in der Schweiz gefährde. 38 Prozent der 360 Umfrageteilnehmer finden das Grundeinkommen falsch. Jeder Fünfte glaubt nicht daran, dass die Digitalisierung per Saldo zu einem Abbau an Jobs führe.
Minsch jedoch geht noch weiter: Er hält das Grundeinkommen für eine Herdprämie und rechnete dies in Basel an einem Beispiel vor: «Angenommen in einem Haushalt arbeiten Mann und Frau je 50 Prozent, jeder verdient 3500 Franken. Mit einem Grundeinkommen würde einer der beiden dann Vollzeit arbeiten und 7000 Franken verdienen. Zusätzlich würde die andere Person 2500 Franken vom Staat erhalten, insgesamt hätten sie also 9500 Franken - 2500 Franken mehr als zuvor.»
Schrittweise Einführung des Grundeinkommens
Dem widerspricht Sarah Schilliger, Soziologin von der Universität Basel: Ein Grossteil der Leistungen in der Gesellschaft fänden ohne Lohn statt - die Arbeit der Mütter, ihre Kinder aufzuziehen, das Management des Haushalts. Ständerätin Fetz pflichtet ihr bei: Nicht alles im Leben funktioniere nach dem klassischen Anreizdenken, das Ökonomen oft verwendeten. Zumal das heutige Steuersystem bereits falsche Anreize stecke und der Lohn von teilzeitarbeitenden Frauen fast komplett für Steuern und Kinderbetreuung draufgingen.
Damit der Anreiz zu arbeiten und die Sozialleistungen dennoch nicht verloren geht, schlägt Fetz vor, das Grundeinkommen schrittweise einzuführen. Sie führt gegenüber handelszeitung.ch aus: «Ich würde nicht mit 2500 Franken anfangen, wie es die Initianten genannt haben, sondern vielleicht mit 1000 Franken. Diesen Betrag könnte man dann je nach Lage am Arbeitsmarkt schrittweise hochschrauben.»
Finanzierung über Computersteuer?
Auch bei der Finanzierung divergieren ihre Vorstellungen von denen der Initianten: Sie schlägt vor, das Grundeinkommen über eine Computersteuer zu finanzieren. «Wir können nicht die Arbeit immer mehr besteuern, wenn Maschinen anfangen, unsere Arbeit zu verrichten. Dann muss man diese eben besteuern», sagt sie. Konkrete Vorstellungen, wie das aussehen soll, hat sie noch nicht: «Pro Gerät oder Einheit, vielleicht. Oder pro Byte», so Fetz.
Gemäss der Ständerätin existiere das Grundeinkommen in der Schweiz bereits: In Form der Subvention an die Bauern. «Wir leisten uns eine Subvention von sieben Milliarden Franken für eine Berufsgruppe, die ökonomisch nicht überleben könnte.» Dem stimmt Economiesuisse-Chefökonom Minsch zwar zu, gibt aber zu bedenken, dass eine solche Subvention nur möglich sei, weil die Schweiz eine reiche, exportfähige Wirtschaft hat. «Man kann nicht alles subventionieren», sagt er. «Die Anreize für Unternehmen, hier zu produzieren, müssen bestehen bleiben.» Seit Aufhebung des Mindestkurses hätten Unternehmen ohnehin zu kämpfen – deshalb müsse man aufpassen, diese nicht mit zu vielen Abgaben zu belasten und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit einzuschränken.
Das sagen Leser zum Grundeinkommen:
Solidarität oder Perversion?
Das Grundeinkommen überstrapaziert laut Minsch den Solidaritätsgedanken. Die Initiative verlange, dass man Leute subventioniere, die auf eigenen Beinen stehen könnten, es aber nicht wollten. «Es ist Gift für eine Gesellschaft», so Minsch, «wenn immer mehr Personen diese Solidarität ausnutzen und sich in die soziale Hängematte legen». Das Grundeinkommen schaffe seiner Meinung nach «perverse Anreize, nicht mehr zu arbeiten.»
Auch Fetz geht davon aus, dass einige entscheiden würden, mit weniger Geld auszukommen. Das sei aber kein Skandal. Ein Skandal sei, dass UBS-Chefs heute immer noch Hundert Mal so viel verdienten wie etwa eine Krankenschwester, deren Job sehr viel mehr zur Gesellschaft beitrage, so Fetz.
«Konkrete Utopie»
Damit eines der skizzierten Szenarien eintreten könnte, müsste das Grundeinkommen zuerst angenommen werden. Danach sieht es gemäss den letzten Erhebungen aber nicht aus. Was bleibt, ist eine «konkrete Utopie», wie Soziologin Schilliger die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens nennt. Für die Initianten sind die Umfragewerte noch lange kein Grund zum einknicken. Im Gegenteil: War ihr erklärtes Ziel doch, die öffentliche Debatte über das Grundeinkommen zu befeuern - schweizweit, europaweit, weltweit.
«Das Grundeinkommen ist ein Kulturimpuls. Es geht um die Weiterentwicklung des wirtschaftlichen Systems und des Kapitalismus», sagte Mitinitiant Enno Schmidt bei der Vernissage zu seinem neuen Buch «Grundeinkommen von A bis Z». Diskutierten erstmal alle über die Idee, verbreite sich diese wie ein Lauffeuer – und lasse die Bürger nicht mehr los, so die Idee der Grundeinkommen-Fans. Ein Stück weit haben sie ihr Ziel bereits erreicht: Der Funke glimmt - auch über die Schweizer Grenzen hinaus.
* In einer ersten Version des Artikels hiess es, WEF-Gründer Klaus Schwab habe in einem Pamphlet ein Mindesteinkommen für alle gefordert. Richtig ist, dass er in einem Interview mit dem «Blick» sagte: «Es braucht Lösungen, die allen ein Mindesteinkommen garantieren. Wie das geht, wissen wir noch nicht. Klar ist: Wir müssen ganz neu denken.»