Die Gewerkschaften und der Gewerbeverband gehören zu den Verlierern dieses Wahlsonntags: Sowohl der Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, Jean-François Rime, wie auch der Direktor, Hans-Ulrich Bigler, verloren ihren Sitz in Bern.
Bei den Gewerkschaften traf es Unia-Spitzenkandidat Corrado Pardini, Travail-Suisse-Präsident Adrian Wüthrich und Philipp Hadorn, Sekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals – alle drei verpassten die Wiedwahl.
Das schlechte Abschneiden der fünf Interessenvertreter ist aus Sicht des Politikexperten Louis Perron kein Zufall.
Gleich mehrere Vertreter einflussreicher Organisationen haben die Wiederwahl verpasst. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Es ist ein klares Muster erkennbar, obwohl es bei jeden der fünf Fällen zu nuancieren gilt. Die Wirtschaftslage spielte in diesem Wahlkampf eine Nebenrolle. Die Sozialpartner standen ergo weniger im Fokus. Thema waren vielmehr das Klima und die Gleichstellung der Geschlechter. Das war für diese Organisation und deren Aushängeschilder nicht gerade förderlich.
Ihre Kernthemen spielten dieses Jahr keine grosse Rolle. Aber haben sich diese Politiker ihre Abwahl auch selber zuzuschreiben?
Der Gewerbeverband muss über die Bücher. Er ist vor allem bei den Abstimmungen über die Radio- und Fernsehgebühren/NoBillag in Erscheinung getreten. Ich habe mich immer gefragt: «Ist das wirklich die grosse Sorge des Gewerbes?» Die Strategie des Verbands scheint auch bei den eigenen Leuten nicht angekommen zu sein.
Das Resultat von Hans-Ulrich Bigler interpretiere ich als direkte Abwahl. Er hat im Kanton Zürich weniger Stimmen eingesammelt als zwei andere FDP-Politiker mit schlechteren Listenplätzen. In Freiburg hat die SVP zwar als Partei einen Sitz verloren. Dass es Jean-François Rime traf, ist trotzdem bemerkenswert. Immerhin war Rime das Aushängeschild der SVP in der Westschweiz.
«Das Resultat von Hans-Ulrich Bigler interpretiere ich als direkte Abwahl. Er hat im Kanton Zürich weniger Stimmen eingesammelt als zwei andere FDP-Politiker mit schlechteren Listenplätzen.»
Was heisst die Abwahl von Bigler und Rime für den Gewerbeverband?
Es ist ein herber Verlust, es trifft den Präsidenten und den Direktor. Deren Mandate waren wichtig für den Informationsfluss, sie waren nah am Ball. Ich warne nun vor Aktionitis bei den Volksinitiativen und Referenden. Zuerst ist eine selbstkritische Analyse der Arbeit der letzten Jahre nötig.
Und wie erklären Sie die Abwahl der Gewerkschaftsvertreter?
Ihre Abwahl hat viel mit der Schwäche ihrer Parteiliste zu tun. Corrado Pardini und Adrian Wüthrich traten für die Berner SP an. Die Partei hat im Kanton zwei Sitze verloren. Beide Sitze gingen auf Kosten der Männerliste, für die die beiden ins Rennen stiegen. Pardini muss sich allenfalls fragen, ob seine Opposition gegen das Rahmenabkommen, so wie es momentan vorliegt, die richtige Strategie war.
Und für die Unia, deren Spitzenmann Corrado Pardini den Sitz abgeben muss?
Für sie ist es etwas weniger dramatisch, weil sie sich in erster Linie über die gewerkschaftliche Arbeit ausserhalb des Parlaments definiert, beispielsweise mit Aktionen und Streiks. Für Pardini persönlich ist es natürlich eine herbe Enttäuschung.
Ist für diese Männer ein politisches Comeback möglich?
Bei Adrian Wüthrich ist es aufgrund des Alters durchaus möglich. Er hatte nicht viel Zeit, sich politisch im Rat einzuarbeiten, er war erst 2018 in den Nationalrat nachgerutscht. Trotzdem hat er ja mit dem Kompromiss zum Vaterschaftsurlaub einen Erfolg eingefahren. Sollte die SP in vier Jahren im Aufwind sein, könnte ich mir eine Wahl von Wüthrich vorstellen.
Sehen Sie Verbände oder Organisationen, die bei diesen Wahlen an Einfluss gewonnen haben?
Da kommen mir Alliance F und Helvetia ruft in den Sinn. Der Frauenanteil im Parlament hat sich markant erhöht, da ist etwas passiert. Der Frauenstreik, die Präsenz in den sozialen Medien und eben auch die Kampagne Helvetia ruft haben offensichtlich gewirkt.